Freund oder Feind der Demokratie?

Leipziger Buchmesse: Gesprächsrunde „Demokratiefeind Social Media?“ (v.l.n.r.: Lena Falkenhagen, Holm Gero Hümmler, Utz Anhalt und Alexander Waschkau) Foto: Gisela Wehrl

Soziale Medien ermöglichen Aktivismus – und gleichzeitig sehen in einer NDR-Umfrage vom Februar knapp zwei Drittel darin eine Gefahr für die Demokratie. Zur diesjährigen Leipziger Buchmesse diskutierte eine Gesprächsrunde des Schriftsteller*innen-Verbandes in ver.di (VS) unter dem Motto „Demokratiefeind Social Media?“, ob und wie Social Media reguliert werden könnte.

Die Problemfelder sind vielfältig: Algorithmen, Propaganda, fehlende Medienkompetenz. In der Runde um Moderatorin Lena Falkenhagen (Bundesvorstand Verband deutscher Schriftsteller*innen VS in ver.di), kam trotzdem kein plumper digitaler Kulturpessimismus auf: Holm Gero Hümmler (Physiker, Vorsitzender Skeptix),  Utz Anhalt (Journalist, Chefredaktion Gegen-Hartz.de) und Alexander Waschkau (Publizist, Hoaxilla-Podcast) sind wie Falkenhagen intensiv auf Social Media unterwegs und konnten daher die Gefahren gut reflektieren.

Von Aufbruchsstimmung, Algorithmen und gezielter Propaganda

Die Aufbruchsstimmung ist noch nicht so lange her. Anhalt erlebte zum ersten Mal, welche Möglichkeiten und Macht das Internet für die Demokratie haben kann, im Rahmen der G7-Proteste 2001 in Genua: „Stunden, bevor Berlusconis Fernsehsender anfingen zu lügen, kursierten die Bilder des ermordeten Demonstranten längst im Internet.“ Mittlerweile würden totalitäre Regime wie China und Russland diese Macht bewusst nutzen. „Es liegt an uns selbst, wie viel Macht wir Social Media am Ende zuschreiben“, sagte Waschkau, der aber gleichzeitig die Gefahren der hybriden russischen Kriegsführung mit Troll- und KI-Farmen klar beschrieb: „Wenn die gezielt feuern, dann reagieren die deutschen Rezipient*innen darauf. Und auch die Redaktionen.“

Erschwerend kommt hinzu, dass die Algorithmen als Geschäftsgeheimnis der Unternehmen gewertet werden. „Niemand weiß, was dieser TikTok-Algorithmus eigentlich tut“, betont Hümmler, aber offensichtlich ist: „TikTok honoriert Empörung mit Reichweite. Die AfD lebt sehr stark von leerer Empörung.“ Das ist keine gesunde Entwicklung für die Demokratie, weil man so keinen Diskurs führen könne. Und hinter den Algorithmen stecke nicht immer eine politische Agenda, wie Utz Anhalt von seiner Arbeit bei Gegen-Hartz.de berichtet. Bei Veränderung des Google-Algorithmus’ brechen regelmäßig die Nutzungszahlen der Homepage ein und es erfordert Anpassung. Doch die Plattformen können leicht einen Schritt weitergehen, erzählte Waschkau. Nachdem Zuckerberg ankündigt habe, Trumps Politik mitzugehen, seien US-Posts auf Instagram zu Schwangerschaftsabbrüchen unscharf gestellt worden. „Der Konzern Meta hat aktiv eingegriffen und Bilder verändert“, so Waschkau.

Lösungsansätze für Social Media

Einigkeit herrschte in der Runde, dass es vor allem eine bessere Regulierung unter gleichzeitiger Wahrung der Meinungsfreiheit braucht. Unter den alten Meta-Regularien wurden z.B. klar antifaschistische Bilder gesperrt, wenn sie beispielsweise ein Foto von Himmler zeigten, erzählte Anhalt. Die Hauptfrage für Hümmler liegt darin, was mit Desinformation passiert. Musks Plattform „X“ hat sich von Fact-Checking verabschiedet. Zwar gibt es nun Community Notes, diese würden aber über einen Algorithmus an vermeintlich „rechte“ und „linke“ User ausgespielt, damit diese User über die vermeintliche Qualität der Notes abstimmen. Aber, so waren sich alle einig, Wahrheit beruht auf Tatsachen und lässt sich nicht demokratisch entscheiden.

Und eigentlich, so betonte Waschkau: „Im EU-Recht ist vieles ganz klar geregelt. Aber es nützt nichts, wenn sich die Plattformen nicht daranhalten, und das auch nicht sanktioniert wird.“ Die Abschaltung von Servern wäre da eine effektive Möglichkeit, betonte Hümmler. Schweden geht noch einen Schritt weiter und führte 2022 die staatliche Agentur „Psychological Defence Agency“ ein, die sich gegen Desinformation und „psychologische Kriegsführung“ wehren soll. Obwohl Ideen für europäische Plattformen nicht geklappt haben, gäbe es noch einen weiteren Ansatz, betonte Waschkau: „Dezentralisierung ist ganz wichtig, dann damit demokratisieren wir Social Media wieder ein Stück weit.“ Beim Netzwerk Mastodon liegt der Server nicht in einer Hand, sondern es gibt viele Server und Betreibende. Auch, wenn es manchmal so scheinen mag: „Wir sind nicht machtlos“, schloss Falkenhagen die Diskussion.


Die Gesprächsrunde „Demokratiefeind Social Media?“ gibt es auf Hoaxilla zum Nachhören

Neben medien- und gesellschaftspolitischen Fragen veranstaltet der Verband deutscher Schriftsteller*innen in ver.di (VS) auf der Leipziger Buchmesse Gespräche für Autor*innen, z.B. über Nebenrechte, Kulturfinanzierung, Klimakrimi oder Recherche oder Erotik & Gewerkschaft. Die Veranstaltungen des VS vom eigenen Messestand stehen auf dem Twitch-Kanal zur Verfügung

 

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