„Gewerkschaften müssen Schutz bieten“

Marina Weisband in der Sendung "Hart aber fair" 2020. Bild: Wikipedia

Marina Weisband hat zuletzt zusammen mit Doris Mendlewitsch das Buch „Die neue Schule der Demokratie. Wilder denken, wirksam handeln.“ herausgegeben. Die 37-Jährige diskutiert im Gespräch mit M die Rolle von Medien und Gewerkschaften in autoritärer werdenden Staaten und wie das Geschäft mit der Aufmerksamkeit eine ungleiche Machtverteilung befördert.

Frau Weisband, in die neue Bundesregierung wurde ein Medienunternehmer als Bundeskulturstaatssekretär berufen. Die Assoziation zu einer anderen aktuell prominenten Personalie liegt nahe. Was geht Ihnen dazu durch den Kopf?

Ich finde es sehr schwierig, wenn diese Bereiche von Macht vermischt werden. Diese Entwicklung nimmt seit Jahren weltweit enorm zu. Sie vollzieht sich zudem offener. Wir erleben, wie die Konzentration von Geld, Macht und dem Recht des Stärkeren zunimmt. Es gab diesbezüglich bis vor einiger Zeit ein gesellschaftliches Tabu. Dann hat jemand herausgefunden, dass es, wenn dieses Tabu gebrochen wird, nicht wirklich zu Konsequenzen führt. Und genau das fördert die Vermischung von politischer Macht und wirtschaftlichen Interessen dementsprechend weiter.

An welche Konsequenzen denken Sie?

Allein die Empfehlung, Parteien, die diese Entwicklung vorantreiben, dann nicht zu wählen, ist natürlich eine berechtigte und politisch und gesellschaftlich gesehen auch eine richtige Empfehlung. Aber sie auch ist zahnlos, das muss man zugeben. Und Wahlen sind medial beeinflusst. Die nächsten Wahlen in Deutschland werden von Social Media bestimmt werden. Die meisten Social-Media-Unternehmer beugen inzwischen recht offen das Knie vor einem autoritären Regime und sie unterstützen auch autoritäre Parteien, so wie Elon Musk die AfD unterstützt hat. Ich denke, wir sind als Gesellschaft überhaupt nicht drauf eingestellt. Eigentlich müsste man sich diesbezüglich mögliche juristische Instrumente anschauen, die das verhindern könnten. Und da bin ich auch zuversichtlich, dass wenn es eine juristische Handhabe dazu in Deutschland gibt, sie auch ausprobiert werden wird.

Damit im Zusammenhang steht, dass und wie Staaten die ihnen zugeschriebenen Regulierungsaufgaben immer mehr an Plattformen und damit auch an Konzerne abgeben. Was passiert da eigentlich genau?

Zunächst: Wir haben durch das Internet so viel zur Verfügung, an Informationen und Stimmen, dass es nicht mehr darum geht, wer die Informationen hat, sondern wer diese filtert und strukturiert. Allen Plattformen, die sammeln, filtern, strukturieren, gibt das Macht, sie funktionieren wie Monopole. Social-Media-Plattformen funktionieren wie Monopole. Das heißt: Ich arbeite dort, wo alle meine Freunde sind. Das bedeutet, dass ich, wenn es eine neue Plattform gibt, kein Interesse habe, dahin zu wechseln, auch wenn die alte nicht so gut ist. Um das Monopol zu halten, müssen die Plattformen nicht mal Geld hinein stecken, denn der Grund, warum ich dort bin, sind die anderen Nutzer*innen, sie sind der Content beziehungsweise liefern den Content. Die Besitzer von Plattformen haben erkannt, dass sie, wenn sie diese Plattformen ausbauen, die Oberhand gewinnen und die kleineren Konkurrenten einfach aufkaufen können, so wie Meta und Google es getan haben. Diese Macht, die damit einhergeht, geht nun weit über den Social Media Bereich hinaus und greift beispielsweise in den Journalismus ein. Das mag sich inzwischen etwas gebessert haben, aber bis vor einiger Zeit war zum Beispiel Twitter im Grunde eine Art internationale Pressemitteilungszentrale.

Was konkret haben Staaten da inzwischen an Regulierungsmöglichkeiten abgegeben?

Im globalisierten Bereich haben Staaten gegenüber Unternehmen erst einmal überhaupt keine Regulierungskompetenzen, weil sich die Unternehmen aussuchen können, wo sie sich ansiedeln, wenn ihnen die Rechtsgrundlagen in einem Staat nicht passen. Gleichzeitig haben sie damit eine enorme Macht über Staaten. Sie können diktieren – „Wenn ihr uns regulieren wollt, dann bieten wir unseren Service in eurem Land nicht an“. Einzelstaaten haben hier kaum Spielraum, sie sind da einfach zu klein, als dass es diesen Unternehmen wirklich weh tun würde. Eine Ausnahme bildet die EU, die Unternehmen auch ein Stück weit regulieren kann, indem sie deutlich macht: „Wenn ihr euren Service hier nicht anbieten dürft, dann verliert ihr sehr viel Geld.“

Aufmerksamkeit als Geschäftsmodell zerstört Gesellschaft

Das Problem ist meiner Meinung nach nicht die mangelnde Fähigkeit von Staaten, auf diese Plattformen zuzugreifen und sie zu regulieren. Sondern es ist die im Kapitalismus gesetzlich verbriefte Aufgabe dieser Unternehmen, eben nicht Menschen zu vernetzen und Demokratien zu fördern, sondern Geld zu verdienen. Sie verdienen ihr Geld, indem sie unsere Aufmerksamkeit an Werbetreibende verkaufen. Um diese Aufmerksamkeit zu erhalten, müssen sie uns süchtig machen und uns entzweien. Und keine Regulierung der Welt könnte so weit gehen, zu sagen, das dürfen diese Plattformen nicht mehr tun. Das größere Problem ist also das Geschäftsmodell dieser Unternehmen. Es diktiert im Grunde ein zerstörerisches Verhalten.

Und doch scheinen sie so alternativlos zu sein?

Scheinbar. Die Alternativen müssen wir anbieten. Soziale Netzwerke, die nicht in erster Linie die Aufgabe haben, Geld zu verdienen, sondern die die Aufgabe haben, ein öffentlicher digitaler Raum zu sein. Damit dieser Raum erfolgreich sein kann, damit die Leute dorthin wechseln, muss dieser Raum interoperabel sein. Ich muss also auch, wenn ich auf Instagram oder Tiktok bin, die Inhalte dieser neuen Plattform sehen können. Die Plattformen müssen eine gemeinsame Sprache sprechen. Die großen Unternehmen müssen zur Interoperabbilität verpflichtet werden, die wollen das nämlich überhaupt nicht. Eine der neuen Plattformen, die wir dann gründen könnten, wäre eine, die eben nicht dieses für demokratische Gesellschaften ultimativ toxische Geschäftsmodell braucht.

Gibt es Bestehende, denen Sie das Potenzial zutrauen?

Als Plattform noch nicht. Es gibt aber in der EU die Bemühungen, eine Interoperabilität zu erzwingen. Ansonsten gibt es Mastodon. Ich denke, die Technologie ist da und wenn sich die Öffentlich-Rechtlichen anschließen, kann das richtig einen Impact haben.

Sie sind sehr engagiert im zivilgesellschaftlichen Bereich. Welche Schlussfolgerungen können wir denn aus dem Besprochenen für gemeinwohlorientierte Akteure wie Gewerkschaften im Hinblick auf die Entwicklungen der nächsten Jahre bei Demokratiearbeit und Netzwerkarbeit ziehen? Mit welchen Auswirkungen der rechten Raumnahme und destruktiven Dynamiken müssen wir rechnen?

Ich möchte ehrlich sein: Wenn es darum geht, einen aufkommenden Faschismus zu verhindern, habe ich nicht viel Hoffnung in Parteien oder Medien. Da sehe ich eine große Ohnmacht, und auch historisch habe ich da wenig Beispiele, wo das funktioniert hätte. Ich weiß, dass Gewerkschaften oder auch allen anderen Möglichkeiten, bei denen sich Menschen organisieren, wo die Zivilgesellschaft zusammenkommt, eine wichtige Rolle zukommen kann im Widerstand. Gewerkschaften vernetzen Menschen und geben ihnen eine gemeinsame Handlungskraft. Diese wird in der nächsten Zeit sehr viel wichtiger werden, als sie es in der Praxis bis jetzt gewesen ist.

Faschismus will Menschen entzweien und Mißtrauen schaffen

Ein sich etablierender Faschismus möchte ein möglichst breites Mißtrauen schüren und möchte im Prinzip so etwas wie die Wahrheit vernichten. Im Faschismus hat man ein völlig anderes Verständnis davon, was Realität ist. Solange wir uns auf eine Realität einigen können, können wir demokratisch reden. Wir können zum Beispiel fragen, ob die Maßnahmen gegen die Covid-Pandemie angemessen waren oder nicht. Wenn wir aber daran zweifeln, dass es überhaupt eine Pandemie gab, können wir uns über überhaupt nichts mehr unterhalten. Dann brauchen wir einen autoritären Führer, der uns sagt, was wir machen sollen. Und das ist genau das Ziel hinter der Desinformation, hinter den Angriffen auf Journalisten.

Eine Gewerkschaft muss gerade für Journalist*innen, Wissenschaftler*Innen, für alle, die einen Job haben, in dem es darum geht, die Wahrheit festzustellen, Fragen und Befunde zu verbreiten, da sein. Denn alle diese Menschen werden abgewertet und alle diese Menschen müssen geschützt werden. Ich kenne so viele, die sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, aufgrund der Angriffe, die sie erleiden. Da kommen dann Institutionen, Vereine, Verbände ins Spiel.

Insofern diese noch die Schutzaufgabe erfüllen können und nicht selber schon unter direktem Beschuss stehen, oder?

Dennoch braucht es jede Form von Widerspruch Vielleicht glauben Menschen, dass für sie persönlich Faschismus nicht so schlimm ist, weil sie sind nicht behindert, nicht trans, nicht geflüchtet sind. Aber die Regel des Faschismus ist: Irgendwann ist jeder an der Reihe. Das heißt, wenn du an der Reihe bist, ist es wahrscheinlich schon zu spät, etwas zu tun. Das heißt, du musst alle Menschen um dich herum, die potenziell darunter leiden, beschützen, weil sie betroffen sind.

Wenn wir die Blaupause aus den aktuellen Ereignissen in der USA nehmen, wie schauen Sie darauf?

Was die meisten Mitglieder der Demokratischen Partei in den USA betrifft – die können Sie gerade völlig vergessen. Und das liegt auch daran, dass sie zu großen Teilen aus reichen, alten Leuten bestehen. Straßenproteste machen mir trotzdem immer Hoffnung. Auch wenn sie etwas hilflos wirken. Aber es ist sehr wichtig, auf die Straße zu gehen. Die US-amerikanische Gesellschaft hat gegenüber der deutschen einen Nachteil: sie ist noch individualistischer, es ist noch weniger Gewohnheit, Banden zu bilden, zu gegenseitiger Solidarität und direkter Hilfe aufzurufen. Weil man für alles Anbieter hat, man kann alles als Service kaufen, auch Kultur. Das nimmt hier auch zu und das ist die Gefahr: Wenn ich nicht mehr meinen Nachbarn bitte, mich zum Flughafen zu fahren, wenn ich nicht mehr gemeinsam mit Menschen koche, sondern mir Essen bestelle, dann fallen diese menschlichen Berührungsmomente weg und dann bin ich vereinzelt.

„Das beste Mittel gegen Faschismus ist, wenn du deinen Nachbarn kennst.“

Wenn ich kämpfe, dann brauche ich das Zutrauen, dass jemand neben mir kämpft. Das kann ich nicht haben, wenn ich meine Nachbarn nicht kenne. Der beste Schutz, das beste Mittel gegen Faschismus ist also, wenn du deinen Nachbarn kennst. Sich als Gesellschaft zu stärken, Vertrauen zueinander haben und zusammenzuarbeiten. Ich erlebe das jetzt gerade bei meiner Familie in der Ukraine. Das ist sicher eine andere Lage, denn die Not kommt von außen. Aber die Menschen achten aufeinander. Wenn jemand beim Einkaufen Eier gefunden hat, dann werden direkt 80, 90 Stück gekauft und in der ganzen Nachbarschaft verteilt. Da werden Autos, Notvorräte, Bunker geteilt. Das sind wichtige Überlebensmechanismen.

Nun nimmt die Individualisierung gerade in dieser Krisenfixiertheit sehr zu. Und die dabei entstehenden Ängste bedient die Rechte, da muss sie sich nicht mal viel Mühe geben – abgesehen von den Überzeugungen, den tiefsitzenden, ideologischen Beweggründen, sich dem Faschismus anzudienen, das will ich nicht in Abrede stellen. Als Frage an Sie, Frau Weisband: Welche Rolle können Medien in dieser Situation einnehmen? Was ist Ihr Ratschlag?

Wir können noch einmal zurückgehen: Medien schüren die Angst mit oder lassen sich auf rechte Narrative ein, weil das ihrem Geschäftsmodell entspricht. Das ist nicht einmal die Schuld der Medien, das ist die Funktionsweise menschlicher Aufmerksamkeit. In dem Moment, wo mein Geschäftsmodell davon abhängig ist, möglichst viel Aufmerksamkeit an mich zu reißen, muss ich negativ werden. Ich muss alarmistisch werden, weil das rein biologisch die menschliche Aufmerksamkeit fesselt. Wenn Angst verbreitet wird, ist die Gesellschaft anfälliger für Kurzschlussreaktionen, für das sogenannte schnelle Denken, vereinfachte Denkprozesse, die mehr mit Klischees funktionieren, als mit ehrlicher Analyse, weil man mehr unter Druck steht.

Das zweite: Wenn ich die ganze Zeit Negativ-Schlagzeilen mache, über eine demokratische Regierung wie zuletzt die Ampel-Regierung, dann gibt es eine Verzerrung zum Negativen, ohne, dass ich damit sagen will, eine Regierung muss medial gelobt werden. Aber wenn ich alles ignoriere, was an unwahrscheinlichen Erfolgen einer Regierung erbracht wurde, dann erzeuge ich eine Situation, in der sich die Leute zurecht fragen: Wäre da nicht eine andere Politik besser? Und natürlich müsste über jedes andere System genau negativ berichtet werden, aber genau das lässt der Faschismus nicht zu.

„Wir merken uns Dinge, die wir oft hören“

Was können wir also tun? Wir müssen zuerst von dem Geschäftsmodell der Aufmerksamkeit wegkommen. Zum Beispiel mit Genossenschaftsmodellen, bei denen die Zeitung den Leser*innen gehört. Es gibt auch eine Sehnsucht, die viele in dieser Gesellschaft haben, nämlich nach weniger Lärm, weniger tagesaktuellen Nachrichten. Ganz ehrlich, es ist auch Quatsch, hier mit Social Media in Konkurrenz treten zu wollen. Das können sie einfach besser. Klassische Medien sollten das machen, worin Social Media so viel schlechter ist.

Was bringt es denn, jeden Tag Schlagzeilen zu produzieren, darüber was Trump sagt, macht, am nächsten Tag komplett das Gegenteil behauptet? Ich verstehe das nicht. Und das Rechtsradikale einen unhinterfragten Platz in der Aufmerksamkeit haben, für abstruse Forderungen, je unmenschlicher, desto besser, weil es mehr Schlagzeilen gibt? Warum? Nichts bringt das. Aber wir etablieren damit das Gedankengut in der Gesellschaft, auch wenn wir es vermeintlich tun, um es zu widerlegen.Wir wiederholen es ja trotzdem. Und rein psychologisch merken wir uns einfach Dinge, die wir oft gehört haben. Und wir halten sie eher für die Wahrheit als Dinge, die wir noch nie gehört haben.

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