Global denken, lokal berichten

Planet-Collage

Collage: Petra Dressler

Die Klimakrise wird angeheizt durch soziale Ungleichheit, politisches Zögern und die Beharrungsinteressen der  wirtschaftlich Mächtigen. In dieser Gemengelage versuchen Klimajournalist*innen, über die Bedrohung unseres Planeten durch Erderwärmung und Artensterben aufzuklären und gleichzeitig Handlungsoptionen zu vermitteln. Über das „Wie“ diskutieren sie seit Jahren intensiv.

„Den globalen Themenkomplex Klimawandel auf die lokale Ebene bringen, eine regelmäßige Berichterstattung etablieren und damit vor allem auch solche Leser*innen erreichen, die sich bisher noch nicht damit beschäftigt haben.“ Dafür plädiert die Lokaljournalistin Aline Pabst von der Saarbrücker Zeitung, die zum Team des Netzwerks Klimajournalismus gehört.

„Der menschengemachte Klimawandel geht ursächlich auf das rücksichtslose Wirtschaftssystem zugunsten des konsumorientierten Lebenswandels der Einwohner*innen der westlichen Industriestaaten zurück.“ So der Journalist Lorenz Matzat 2021 im Dlf-Gespräch. Er kritisierte die Klimaberichterstattung als „analytisch flach“, weil das kapitalistische Wirtschaftssystem nicht in Frage gestellt würde. Jürgen Döschner, Klima-Fachjournalist beim WDR, forderte 2023 mehr Rückgrat von Medien-Führungskräften, denn es sei fatal, die Berichterstattung an der Angst vor Shitstorms oder bösen Briefen von Energieversorgern auszurichten. Auf der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche 2024 (nr24) kritisierte er wiederum Chefredaktionen, für die es kein Problem war, zu Demos gegen Rechts aufzurufen, während bei Demos im Hambacher Forst nicht einmal angekündigt werden durfte, wo die Busse abfahren.

Klima als Dimension erfordert interdisziplinäres Arbeiten

Döschner gehört zum Kernteam des Netzwerks Klimajournalismus, das 2021 gegründet wurde und ein Jahr später eine Charta veröffentlichte mit ethischen und ökologischen Leitzielen „für einen Journalismus, der durch Aufklärung zum Erhalt der Lebensgrundlagen auf diesem Planeten beiträgt“. Prämisse ist, dass die Klimakrise nicht als eigenes Thema betrachtet wird, sondern – analog zu Demokratie und Menschenrechten – als „eine Dimension jedes Themas“. Klimafragen berühren politische Entscheidungen, wirtschaftliches Handeln, selbst Sport oder Kultur, sodass die Berichterstattung nicht an Ressort- und Zuständigkeitsgrenzen gebunden sein sollte.

Im Sommer 2023 berichtete die taz in einer Artikelreihe zu „Medien und Klima“ auch über Medienstrategien, Klima als Querschnittsthema zu behandeln. Im Frühjahr wurde zum Beispiel beim Deutschlandfunk ein ressortübergreifendes Team gegründet, das im Zwei-Wochen-Rhythmus tage, um die aktuelle Klimaberichterstattung des Senders zu besprechen und Themen zu koordinieren. Ähnlich arbeite die „Süddeutsche Zeitung“, wo es in allen Ressorts Autor*innen gebe, die dort für Klima zuständig sind. So könne man etwa den Heizungsstreit aus politischer, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Sicht betrachten.

Klimaberichterstattung orientiert sich am Stand der Forschung

Nur wenige Journalist*innen könnten erklären, „wie CO2-Budget, Kipppunkte und die aktuelle Klimapolitik zusammenhängen und was dies für unsere Lebensgrundlagen bedeutet“, kritisierte Sara Schurmann, Mitbegründerin des Netzwerks Klimajournalismus, im vergangenen Jahr. Das sei kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem. Medienhäuser sollten entsprechende Expertise bei ihren Mitarbeitenden aufbauen, denn das notwendige Fachwissen werde in Studium und Ausbildung nicht vermittelt.

Das scheint sich zu ändern – nicht zuletzt, um journalistischen Nachwuchs auch aus dem Umfeld von „Fridays for Future“ und ähnlicher Organisationen zu werben. Im Volo-Ratgeber der dju in verdi, der im Frühjahr 2024 erschien, werden dazu Beispiele genannt. Die Deutsche Journalistenschule bietet für junge Menschen mit technisch-naturwissenschaftlichem Studium das Programm „Tiefgang-Talente“ an. Die Kölner Journalistenschule vermittelt klimajournalistische Fachkompetenzen in Kooperation mit der Universität zu Köln, wo die Schüler*innen jetzt auch Geophysik und Meteorologie und „Physics of the Earth and Atmosphere“ studieren können. Bereits Ende November 2023 führte die Funke Mediengruppe ein „Klima-Volontariat“ ein.

Verzerrte Gewichtungen und Verzögerungsnarrative vermeiden

In der Klimaberichterstattung kommt es immer wieder zu einer „false balance“ – einer fehlgeleiteten Ausgewogenheit, wenn wissenschaftliche Fakten verzerrt gewichtet werden. Bei der Berichterstattung über den menschengemachten Klimawandel ist das der Fall, wenn Klimaleugnende genauso zu Wort kommen wie die Mehrheit der Forscher*innen, die ihn als gesicherten Befund einstufen. Die Medienforscherin Marlis Prinzing gibt zu bedenken, dass eine „false balance“ Akteur*innen mehr Aufmerksamkeit verschaffe, „als es ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entspräche“ und so Schaden anrichten könne, “indem faktenbasiertes Handeln beeinträchtigt wird“.

Faktenbasiertes Handeln wird oft auch durch Verzögerungsdiskurse ausgebremst. Unter solchen „Discourses of Delay“ versteht man Äußerungen, die zwar den Klimawandel anerkennen, aber Nichthandeln oder unangemessene Maßnahmen rechtfertigen. Die Verzögerungsnarrative sollte jede*r Journalist*in kennen und entsprechend kritisch einordnen können, so Sara Schurmann – besonders mit Blick auf fossile Konzerne. Der Lobbyverband „Zukunft Gas“ steht zum Beispiel in der Kritik, die Wärmewende von fossilen zu klimaschonenden Lösungen zu verschleppen.

Klimagerechtigkeit heißt soziale Ungleichheiten beseitigen

Auch sozialwissenschaftliche Expertise ist wichtig für eine Klimaberichterstattung, die eine ganzheitliche Perspektive einnimmt und Ursachen, Folgen und Auswege aus der Klimakrise in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einordnet. Denn die Klimakrise ist kein technisches Problem, sondern ein soziales. Die Studie „Soziale Frage Klimawandel“ der Friedrich-Ebert-Stiftung thematisiert die gesellschaftlichen Risiken des Klimawandels für Deutschland, denn „seine Folgen werden vor allem sozial benachteiligte Menschen besonders stark betreffen. Deswegen ist Klimaanpassungspolitik auch Politik für mehr soziale Gerechtigkeit.“ Dabei gelte es, miteinander verwobene Ungleichheiten entlang von Herkunft, Alter, Armut oder Geschlecht in den Blick zu nehmen.

Aber die Klimakrise ist nicht national zu lösen und deshalb gilt es auch, Wege zu globaler Klimagerechtigkeit aufzuzeigen, fordern die Klimajournalist*innen in ihrer Charta: „Grundlegende Veränderungen unserer Art zu leben und zu wirtschaften sind umgehend nötig, um die Erderhitzung zu begrenzen. Der Globale Norden trägt durch den Kolonialismus und das Wachstumsparadigma seiner Ökonomien historisch die Verantwortung für die Klimakrise.“

Anregungen, wie globale Zusammenhänge vermittelt werden und Journalist*innen sich dabei unterstützen können, gab es auch beim „Tag des Auslandsjournalismus“ 2023. Um Betroffenheit bei den Menschen zu erzeugen, setzte Südostasien-Korrespondentin Lena Bodewein in der Berichterstattung auf Parallelen, etwa zwischen Überschwemmungen in Australien und Flut im deutschen Ahrtal. Mut machen könnten beispielhafte Lösungen, wie das „Zukunftslabor Singapur“, das demonstriere, wie Städte Energie sparen, luftiger und grüner gebaut werden können.

Bodewein hatte auch Anregungen für Journalist*innen, die sich wehren wollen, wenn Medien gegenüber Politik und – insbesondere fossiler – Wirtschaft zu unkritisch sind, wie etwa in der Berichterstattung zu den Lützerath-Protesten gegen den Braunkohlebergbau. Sie verwies auf Australien, wo die dominierenden Murdoch-Medien wegen ihrer Nähe zu Kohleindustrie und Klimaleugnern versuchten, eine kritische Berichterstattung zu verhindern und konstatierte, durch internationale Teams und länderübergreifende Berichterstattung könne der Druck auf nationale Redaktionen erhöht werden, „ressortübergreifend das Klima-Thema zu covern, und Lösungen aus anderen Ländern zu zeigen“.

Klimajournalismus ist konstruktiv und alltagsnah

Ohne konstruktive Komponente sei Klimaberichterstattung heutzutage „gar nicht mehr möglich“, sofern man nicht Abwehr oder Depressionen beim Publikum erzeugen wolle, meinte Klimajournalistin und taz-Mitbegründerin Ute Scheub auf dem dju-Journalismustag 2023. Für die Lokaljournalistin Aline Pabst von der Saarbrücker Zeitung sollte es „eigentlich journalistischer Alltag sein“, Handlungsoptionen aufzuzeigen und Lösungen gegen Erderwärmung wie eine Verdunkelung der Sonne kritisch zu hinterfragen: „Die Leser*innen brauchen Klartext, wenn es um den Klimakollaps geht.“ Und Hinweise, was sie tun können: So werden Tipps zum Energiesparen „supergern gelesen“, sagte sie auf der nr24-Konferenz. Luise Strothmann von der taz betonte, man müsse „das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit“ bedienen, aber die Leser*innen nicht nur zum individuellen, sondern auch kollektivem Handeln animieren – etwa zur Gründung von Energiegenossenschaften.

Es stärkt das individuelle Bemühen um Klimaschutz, wenn strukturelle Hindernisse im Kontext von Alltagshandeln thematisiert werden. So hat das Recherchebüro Correctiv CO2-Kompensationszertifikate vieler deutscher Erdgasversorger als „Ökogas-Lüge“ entlarvt. Die Versorgungsunternehmen ruderten zurück mit „Das haben wir nicht gewusst“ und klimasensible Verbraucher*innen forderten ihr Geld zurück.

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