Die Reportage-Formate Y-Kollektiv, STRG_F, reporter, follow me.reports und Die Frage gelten als innovative Aushängeschilder des jungen öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks funk. Sie alle praktizierten eine sehr spezielle Form des Journalismus, die auf offenen ‚Subjektivismus‘ und eine konsequente Personalisierung setze. Diese Merkmale bestimmten für viele ihren messbaren Publikumserfolg, seien aber auch immer wieder Anlass für scharfe Kritik, vermeldet die Otto Brenner Stiftung (OBS) anlässlich der Veröffentlichung ihrer Studie „Journalistische Grenzgänger. Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren“.
Untersucht wurde erstmals medienwissenschaftlich die journalistische Machart und Qualität der funk-Produktionen untersucht. Überwiegend gelinge es den Angeboten, kohärente Beiträge zu produzieren und die Stärken ihres journalistischen ‚Subgenres‘ auszuspielen. Hinsichtlich Themenauswahl, Ereignisorten und qualitativen Ansprüchen bestehe jedoch Verbesserungsbedarf, so das Fazit.
„Fast 80 Prozent der Beiträge von Y-Kollektiv & Co. sind als ‚New Journalism‘ zu qualifizieren. Diese kontrovers diskutierte journalistische Strömung wurde in den 1970er Jahren durch Autoren wie Hunter S. Thompson und Norman Mailer berüchtigt“, so Autor Janis Brinkmann, Professor für Publizistik in der digitalen Informationswirtschaft an der Hochschule Mittweida (FH). „Das Subgenre bricht mit vielen der ‚klassischen‘ journalistischen Normen und setzt statt auf nüchterne Information radikal auf Subjektivität, Personalisierung und Emotionen.“ Dadurch erreiche man eine erzählerische Tiefe und Authentizität, die in informationsjournalistischen oder klassisch investigativen Angeboten kaum zu realisieren sei, so Brinkmann weiter. Als Konsequenz müssen aus Sicht des Autors viele Befunde der Studie – etwa über die permanente subjektive Tendenz der Beiträge (97,1 Prozent) oder die gefühlsorientierte Aufbereitung der Themen (90,6 Prozent) – als Ausweis der Kohärenz dieses speziellen journalistischen Reportage-Ansatzes verstanden werden.
Für die innovative Untersuchung wurden erstmals alle YouTube-Beiträge der Formate von 2016 bis April 2022, insgesamt 1.155 Filme und mehr als 325 Stunden Videomaterial, analysiert. Die Studie legt dabei Befunde vor, die auch kritische Aspekte betonen. „Lebensweltliche und zielgruppenspezifische Themen wie ‚Gesundheit‘, ‚Partnerschaft‘ oder ‚Kriminalität‘ machen mehr als 40 Prozent der Beiträge aus. Währenddessen adressiert nicht einmal jeder Fünfte politische und nicht einmal jeder Zwanzigste wirtschaftliche Themen. Das erscheint mir diskussionswürdig“, bilanziert Jupp Legrand, Geschäftsführer der OBS. Öffentlich-rechtliche Angebote müssten ihre Themen schließlich, so Legrand, „immer auch nach gesellschaftlicher Relevanz filtern“ und dürften sich „weder antizipierten Publikumswünschen noch algorithmischen Anreizen unterwerfen.“ Den untersuchten Formaten gelänge dies offensichtlich nicht immer.
Hinsichtlich der Orte und Regionen kreieren die Formate ein eigenes Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit: Die meisten lokalisierbaren Beiträge sind in Großstädten angesiedelt. Ostdeutsche Bundesländer (ohne Berlin) kommen in weniger als fünf Prozent vor. Zugleich zeigen die Ergebnisse, dass auch europäische und internationale Perspektiven (14 Prozent) stark vernachlässigt werden. Handwerkliches Verbesserungspotential sieht die Studie bei der Transparenz und Reflexivität der Beiträge. „Durch das teilweise Ausklammern der großen, internationalen Welt als auch der kleinen, eher dörflichen Sozialräume, reproduzieren die jungen und innovativen Formate erstaunlicherweise klassische blinde Flecken der ‚alten‘ Medienwelt“, resümmiert Janis Brinkmann.
Janis Brinkmann: Journalistische Grenzgänger. Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren, OBS-Arbeitsheft 111, Frankfurt am Main, Mai 2023
Das neue OBS-Arbeitsheft 111 kostenfrei bestellen oder herunterladen: www.otto-brenner-stiftung.de/journalistische-grenzgaenger/