Olympia total – ganz großes Kino?

ZDF-Moderator Jochen Breyer spricht über Silbermedaillengewinnern Malaika Mihambo. Screenshot

Mit 240 Stunden Live-Berichterstattung warteten ARD und ZDF bei den Sommerspielen in Paris vom 26. Juli bis zum 11. August auf. Auch bei Eurosport 1 konnten die Zuschauer Olympia-Highlights live im Free-TV und zeitgleich im Live-Stream der Mediatheken erleben. Der Pay-TV-Kanal Eurosport 2 konzentrierte sich auf die Übertragungen der jungen Trendsportarten, auch auf dem Streaming-Angebot discovery+ gab es alle Wettbewerbe live und auf Abruf. 

Kurz nach der Fußball-EM war das Interesse auch an diesem Event riesig. Neben den täglichen Live-Übertragungen in den klassischen TV-Programmen von ARD und ZDF erwartete das Publikum rund 1.500 Stunden in Livestreams online, in den Mediatheken der beiden Sender. 16  Olympiatage mit einer ununterbrochenen Abfolge von außergewöhnlichen sportlichen Spitzenleistungen –  das dürfte selbst leidenschaftliche Sportfans an die Grenzen ihrer Aufnahmekapazität gebracht haben.

Quotenknüller der ersten Woche: das umkämpfte Viertelfinalspiel der deutschen Fußballfrauen gegen Kanada. Den 4:2- Sieg nach Elfmeterschießen verfolgten knapp sechs Millionen Zuschauer*innen. Auch andere Mannschaftswettbewerbe wie Handball und Volleyball begeisterten Millionen Sportfans. Episch der dramatische Last-Second-Sieg der deutschen Handball-Männer im Viertelfinale gegen Frankreich. Ganz oben in der Gunst der Fans auch die Leichtathletik-Wettbewerbe mit regelmäßig mehr als acht Millionen Zuschauer*innen und TV-Marktanteilen von über 30 Prozent. Nervenkitzel selbst in den technischen Disziplinen: etwa beim Diskuswerfen, wo völlig überraschend für die meisten Experten der Jamaikaner Roje Stona Gold gewann.

Nervenkitzel und Aussetzer

Nicht immer zeigten sich die Sender auf der Höhe des sportlichen Geschehens. Mehrfach blendete sich etwa das ZDF in dramatischen Momenten unerwartet aus und gab völlig unsensibel ab nach Mainz, zu Werbung und News. So beim dramatischen Halbfinale der deutschen 3×3-Basketballerinnen gegen Kanada, als es – gerade mal 25 Sekunden vor der Entscheidung – plötzlich hieß: Und nun zu den „Heute“-Nachrichten. Was für eine Anti-Klimax! Auch den finalen fünften Satz beim spannenden Volleyball-Viertelfinale Deutschland-Frankreich bekam man nach Unterbrechung zeitversetzt serviert. Eine Praxis, die auch nach einem Shitstorm in sozialen Medien nur zögerlich korrigiert wurde.

Für Unmut sorgte gelegentlich die Bildregie des Olympic Broadcasting Service (OBS). Beim Gruppenspiel der deutschen Fußball-Frauen gegen die USA hatte die Regie immer wieder jubelnde Fans auf der Tribüne eingeblendet und dafür auf Zeitlupenwiederholungen von umstrittenen Szenen verzichtet. Offenbar sollte der Eindruck einer rauschenden Fußballparty erweckt werden. Tatsächlich waren die Ränge im Stade Vélodrome jedoch nur dünn besetzt. Dass Veranstalter großer Sport-Events zu solchen Manövern greifen, um Negativbilder zu vermeiden, ist leider gängige Praxis. Was die Sache nicht besser macht. 

Licht und Schatten bei Reporterleistungen

Begonnen hatte das zweiwöchige Spektakel mit einer – trotz Dauerregens – begeisternden Eröffnungsshow. Stark getrübt wurde das Vergnügen allerdings durch die verbale Diarrhoe des ARD-Kommentatoren-Tandems Tom Bartels und Friederike Hofmann. Fehlende Harmonie untereinander kompensierten sie mit einem Redefluss, der noch die ergreifendsten Momente der Feier mit Banalitäten überschwemmte. Unangenehm auch das zwischen Paternalismus und Mansplaining changierende Verhalten Bartels‘ gegenüber seiner Kollegin Hofmann. 

Als offen sexistisch blamierte sich ARD-Reporter Dominik Vischner beim Interview mit Schwimmerin Isabel Gose. Die hatte kurz zuvor im Finale über 400 Meter Freistil mit neuem deutschen Rekord den fünften Platz erkämpft. Was den ARD-Mann nicht hinderte, sie als erstes auf den Olympiasieg ihres früheren Freundes Lukas Märtens anzusprechen. Statt Goses Platzierung oder den deutschen Rekord einzublenden, war im TV-Bild allen Ernstes nur „Ex-Freundin“ unter ihrem Namen zu sehen.

Auch sonst gab es Licht und Schatten bei den Reporterleistungen. Live-Sport zieht sich, da erliegt so mancher Berichterstatter der Versuchung, seine Performance mit reichlich unnützem Wikipedia-Wissen zu strecken. Dass die Reportage über das Luftgewehrschießen teilweise in eine Art Waffenkunde ausartete („Janßen schießt mit einer Walther LG 500, ihr Partner Ulbrich mit einer Feinwerkbau 900“), dürfte eher was für Spezialisten sein, entspricht aber wohl dem Zeitgeist. Und dass Bogenschießen-Silbermedaillengewinnerin Michelle Kroppen von Oma Anni („sie spricht plattdeutsch!“) an den Sport herangeführt wurde, währende Mama Sandra „extra kellnern ging“, um dem Töchterchen den Besuch der Sportschule in Jena zu ermöglichen, wollte man vielleicht gar nicht so genau wissen. 

Das Lächeln im Gesicht der Stute

Zweifellos Geschmacksache sind die verbalen Ergüsse des ewigen ARD-Reitkommentators Carsten Sostmeier. „Er tanzt durch den Schlosspark, er reitet nicht“, begeisterte dieser sich beim Goldmedaillenritt von Michael Jung auf Chipmunk. Und pries, mit fast brechender Stimme „dieses perfekte Menuett der feinfühligen Emotion und Reitkunst, die sie hier über das Grün hinwegschweben lassen“. Beim Dressurreiten vermeinte Pferdeflüsterer Sostmeier „im Gesicht der Stute“ Galera gar „ein Lächeln zu erkennen“.

Auch ein identitätspolitischer Sport“skandal“ durfte in Paris nicht fehlen. Am Beispiel der algerischen Boxerin Imane Khelif entzündete sich – speziell in den sozialen Netzwerken – eine wütende Auseinandersetzung. Bei der WM 2023 war Khelif wegen eines umstrittenen Geschlechtstests (angeblich wies sie erhöhte Testosteronwerte auf) ausgeschlossen worden, in Paris durfte sie aufgrund der IOC-Regeln (es gelten nur die Angaben im Reisepass) antreten. Für einige Medien ein gefundenes Fressen, um mal wieder in die Niederungen eines unappetitlichen Kulturkampfes herabzusteigen. Ein fader Beigeschmack bleibt.

Kein großes Sportereignis ohne leidenschaftliches Nachhaltigkeitsgelöbnis. Die „grünsten Spiele“ ever versprachen die Organisatoren von Paris – im Vergleich zu London 2012 oder Rio 2016 werde man die CO2-Emissionen halbieren. Eine lohnende Rechercheaufgabe für engagierte Klima-Reporter*innen, sollte man meinen. Allein der interkontinentale Flugverkehr der olympischen Familie und ihrer Fans dürfte massive fossile Fußabdrücke hinterlassen. Auch auf ein Bad in der Seine sollten Paris-Besucher einstweilen wohl verzichten. 

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