VR-Formate im Dokumentarfilm

Blick in die Zukunft Foto: Shutterstock/A. Solano

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).

Es ist ein freundlicher, sonniger Tag in Dallas. Der Blick schweift über grüne Wiesen, eine mehrspurige Fahrbahn und Gebäude. Für die Nutzer*innen von „JFK Memento“ fühlt es sich so an, als ob sie tatsächlich auf dem Dealey Plaza in Dallas am 22. November 1963 stehen würden – in Front des Texas School Book Depository, von dessen sechsten Stock mutmaßlich gleich John F. Kennedy erschossen wird.

Es sind eindrucksvolle Szenen eines Dokumentarfilms, der auf eine neue, räumliche Art mittels Meta VR Brille die Geschehnisse um das Attentat auf den US-Präsidenten vermittelt. Die Produktion projiziert Archivmaterial passgenau und perspektivisch korrekt in eine 3D-Szenerie und integriert dabei weitere Informationen, etwa Zeitzeugeninterviews. Präsentiert wurde das vielfach preisgekrönte Projekt, neben vielen weiteren VR-Dokus, jetzt auch auf dem wichtigsten internationalen Treff der Branche: Die Sunny Side of the doc in La Rochelle mit über 2000 Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt hatte innovativen Erzählformen diesmal einen besonderen Schwerpunkt gewidmet.

„Letters from Drancy“

„Virtual Reality wird mehr und mehr benutzt“, erklärte Messe-Organisatorin Maïté Labat diese Entscheidung. Unter den zahlreichen Beispielen für diese immersiven, non – linearen Erzählformen auf der Messe befand sich auch „Letters from Drancy“ über ein jüdisches Mädchen in Frankreich. Während ihre Mutter in Auschwitz ermordet wird, gelingt es dem Kind, ihren Nazi-Häschern zu entkommen. Beauftragt wurde der Film vom Illinois Holocaust Museum & Education Center in den USA, wo er jetzt dauerhaft zu sehen ist.

„Es ist eine Möglichkeit für die Konsumenten Teil der Geschichte zu sein, in die Geschehnisse einzutauchen, diese noch besser mitzuerleben und zu verstehen“, ist sich Labat sicher. Vor allem die jüngere Genration könnte damit angesprochen werden, auch auf Plattformen wie YouTube. Die Programmdirektorin des US-Senders PBS Diana El-Osta verwies dabei auf über 3,6 Millionen Abrufe von „Can we cool the planet?” über den Klimawandel.

Zeitgemäße Form der Wissensvermittlung

Dass es diesmal viele Verantwortliche von Museen nach La Rochelle geführt hat, beispielsweise vom Musee D’Orsay sowie dem Louvre oder der britischen Science Museum Group, liegt für Ulrich Kernbach vom Deutschen Museum auf der Hand. „Es gibt verbindende Elemente von Dokumentarfilmproduzenten und musealen Präsentationen“, sagt der Bereichsleiter Ausstellungen und Sammlungen, „wir sind immer auf der Suche nach Innovationen. Die Szene ist unfassbar kreativ. Wir lassen uns hier gerne inspirieren.“ Aktuell plant er eine Augmented Reality – Anwendung für eine neue Musikausstellung, um unter anderem Klänge zu visualisieren.

Und im Juli möchte der Bereichsleiter eine Ausstellung zu dem „anspruchsvollen“ Thema Quantenoptik mit den „enormen medialen Möglichkeiten“ verständlich machen: „Solche Anwendungen, auch Gamification, sind entscheidend für die Zukunft unserer Häuser.“

Inwieweit sich solche innovativen Formen beim „normalen“ Doku-Konsum durchsetzen werden, ist noch umstritten. 20 Millionen VR Brillen sind inzwischen verkauft worden, allerdings haben die verschiedenen Anbieter unterschiedliche technische Standards für diese Headsets.

„Die großen Tech- Unternehmen suchen nach der nächsten Stufe von Computing, alle schauen beziehungsweise suchen das nächste Interface“, ist sich Victor Agulhon sicher. Mit seiner Firma Targo in Paris hat er auch „JFK Memento“ realisiert. „Der VR Markt wächst rasant, auch getrieben durch die Games“ prognostiziert er. Getrieben werde die Entwicklung durch große Technologie-Hersteller wie Apple oder Meta.

Edukative Apps

„Das alles steht noch am Anfang, hat aber ein Riesenpotential“, glaubt Björn Jensen. Der Dokumentarfilmer ist zugleich Repräsentant der deutschen Doku-Community auf der Sunny Side of the Doc und selbst schon auf dem Feld Neue Medien aktiv. Mit „Wildnis AR“ war er an der Entwicklung einer preisgekrönten edukativen App beteiligt, mit der Kindern das Ökosystem Wald nähergebracht werden soll. Mittels eines Smartphones kann ein junges Publikum einen augmentierten Wald, etwa im eignen Kinderzimmer, entstehen lassen und eindrucksvoll erfahren, was es bedeutet, wenn die Schwingen eines Vogels über einen Meter Spannweite haben.

Für Jensen kommen ebenfalls Berührungspunkte zwischen Museen und Dokumentarfilmern fast zwangsläufig zustande: „Die meisten Museen haben wenig Budget, und die Fachleute, die solche immersiven Anwendungen bauen können, wissen nicht wie man erzählt. Und bei den Doku-Machern ist es genau umgekehrt.“ Diese Akteure müssten zusammengebracht werden, denn es gebe noch zu wenig Verbindungen zwischen den Welten: „Und das ist dann nicht nur für Museen interessant, sondern der gesamten edukative Bereich ist dafür prädestiniert – ein Riesenmarkt.

 

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