Verschwörungstheorien sind ein Signum unserer Zeit. Besonders in den Sozialen Medien sind sie allgegenwärtig und verbreiten sich oft schnell. Michael Butter ist einer der renommiertesten Experten für das Thema. Er präsentiert die Ergebnisse seiner jahrelangen Forschung. Wir sprachen mit Ihm über Gefahren von Verschwörungserzählungen und das journalistische Gegengift.
Als Forscher mit Schwerpunkt Verschwörungstheorien steigen Sie regelmäßig in trübe Gewässer und beschäftigen sich mit Themen und Gedanken, die viele Menschen schlicht als „verrückt“ abtun. Haben Sie eine Lieblingsverschwörungstheorie?
Das ist nach wie vor die Mondlandungsverschwörungstheorie. Die besagt, dass die Mondlandung der Amerikaner im Fernsehstudio inszeniert wurde – in vielen Versionen sogar durch keinen Geringeren als Stanley Kubrick. Die Mondlandungsverschwörungstheorie habe ich für paar Minuten auch mal selbst geglaubt, als ich ihr 1999 während des Studiums in England in einer Zeitschrift begegnete. Ich saß da und dachte: „Wow, warum hat das nie jemand gesagt, das ist doch völlig überzeugend“ – bis ich die Seite umblätterte und die Gegenbeweise las. Ich mag das Beispiel, weil es zeigt, dass wir alle nicht vor dem Glauben an Verschwörungstheorien gefeit sind und weil es sich hier um eine Theorie handelt, die in der Regel völlig harmlose ist.
Beim Erzählen lächeln sie. Sind das Lächeln, das Lachen oder das Sich-Lustig-Machen gute Strategien gegen Verschwörungserzählungen?
Ich glaube, Lächeln und Lachen sind generell gute Strategien, um mit den meisten Dingen im Leben umzugehen. Sich lustig zu machen über Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, halte ich allerdings grundsätzlich für eine sehr schlechte Idee. Denn darüber versichert man sich doch nur der eigenen Überlegenheit. Das bringt nichts für die Beziehung zu einer Person, die an Verschwörungstheorien glaubt, und sorgt garantiert nicht dafür, dass sie davon abrückt. Viele Verschwörungstheorien sind so absurd, dass sie das durchaus unterhaltsam macht. Genau deshalb werden sie so gerne in Filmen oder Romanen rezipiert. Aber wenn Menschen etwa wirklich an die Weltregierung der Illuminaten glauben, dann halte ich es für sinnvoller zu fragen: Warum glauben die das, welche Funktion erfüllt das für sie?
Nicht alle Verschwörungserzählungen sind gleich – und manche sind alles andere als harmlos.

Verschwörungstheorien muss man in jedem Fall ernst nehmen – und besonders dann, wenn sie sich mit sehr problematischen Vorstellungen verbinden. Sie heften sich dann an sogenannte „dicke Ideologien“ wie zum Beispiel Antisemitismus, Rassismus, Sexismus oder Autoritarismus. In diesen Fällen haben Verschwörungstheorien auch ein sehr konkretes Feindbild und können physische Gewalt gegen andere Menschen legitimieren, weil ihre Anhänger dann meinen, so gegen einen Komplott vorzugehen. In diesen Fällen können Verschwörungstheorien auch zu einem Sicherheitsrisiko werden wie zum Beispiel diejenige vom angeblichen „Großen Austausch“ der weißen Bevölkerung des Globalen Nordens. Oder sie werden sogar zu einer Gefahr für die Demokratie, wie es gerade in den USA geschieht, wo die Verschwörungstheorie von der „gestohlenen Wahl“ das Comeback von Trump möglich machte – und somit alles, was wir derzeit beobachten müssen.
Wie ist das ihrer Einschätzung nach in Deutschland?
In Deutschland sind Verschwörungstheorien derzeit vor allem ein Sicherheitsrisiko. Sie sind auch ein Symptom für die Krise der Demokratie, aber sicher nicht deren Ursache. Dazu werden sie aber im öffentlichen Diskurs oft gemacht, weil hierzulande die Vorstellung weitverbreitet ist, dass Verschwörungstheorien per se gefährlich sind. Und da versuche ich in meinem neuen Buch eine etwas differenziertere Perspektive dagegen zu halten. Denn Verschwörungstheorien können sich durchaus mit demokratiekonformen, liberalen Überzeugungen verbinden. Doch selbst dann müssen wir festhalten: Die Welt funktioniert nicht so wie Anhänger von Verschwörungstheorien glauben.
„Verschwörungstheorie“ ist ein durchaus umstrittener Begriff. Was verstehen Sie darunter?
Verschwörungstheorien sind Erklärungen für geschichtliche, politische Ereignisse oder Prozesse, die diese auf Komplotte zurückführen. Verschwörungstheorien gehen im Grunde immer von drei Grundannahmen aus. Sie behaupten, erstens, dass nichts durch Zufall geschieht, sondern alles von einer Gruppe Menschen geplant und auch erfolgreich in die Tat umgesetzt wird. Verschwörungstheorien gehen, zweitens, davon aus, dass nichts so ist, wie es scheint. Die entscheidenden Dinge passieren demnach im Verborgenen und im Geheimen. Und drittens behaupten Verschwörungstheorien, dass viel mehr, als man sonst miteinander in Verbindung bringen würde, als Ursache und Effekt miteinander zusammenhängt.
Andere ziehen inzwischen Begriffe wie Verschwörungsideologie, -mythen oder -erzählungen vor. Warum bleiben Sie beim Begriff „Verschwörungstheorie“?
Verschwörungstheorien haben mit wissenschaftlichen Erklärungen der Sozial- und Geisteswissenschaften deutlich mehr gemein, als uns das manchmal vielleicht lieb ist. Bei beiden handelt es sich formal gesehen um ein System von Annahmen – nur dass die Erklärungen der Verschwörungstheorien dann empirisch unzutreffend sind. Die Diskussion um die Begrifflichkeit „Verschwörungstheorie“ verstehe ich daher als ein Abgrenzungsmechanismus: Man möchte der anderen Seite nicht mal zugestehen, dass sie Theorien hat, sondern nur Mythen und Erzählungen.
Streng genommen müsste man dann aber auch viele Theorien der Sozial- und Geisteswissenschaften ebenfalls mit diesen Etiketten versehen, da auch sie ihre Annahmen häufig nur verifizieren, aber nicht falsifizieren. Wie dem auch sei: Mit der Weigerung, Verschwörungstheoretikern zuzugestehen, dass sie einer Theorie folgen, sind wir genau bei dem, über das wir zu Beginn unseres Interviews gesprochen haben: Soll man die Leute belächeln, die an Verschwörungstheorien glauben, und sich über sie erheben? Ich denke: man sollte das durchaus erstmal ernst nehmen und sind bewusst machen: So wie wir versuchen auch sie, sich die Welt zu erklären.
Wie verbreitet sind Verschwörungstheorien in Deutschland?
Das wissen nicht so genau. Es gibt zwei Arten von Studien, in denen das abgefragt wird. Zum einen gibt es Studien wie die „Mitte-Studie“ oder die Leipziger Autoritarismus-Studie, die versuchen, eine allgemeine Neigung zu Verschwörungstheorien, eine Verschwörungsmentalität zu messen. Diese Studien haben aber immer das Problem, dass sie nicht nach konkreten Theorien fragen können, sondern allgemein nach Misstrauen oder Komplotten fragen müssen. Dann wird es sehr oft unpräzise und man fragt Aussagen ab, die überhaupt nicht verschwörungstheoretisch im engeren Sinne sind. Beleibe nicht alle, die der Aussage zustimmen, dass geheime Gruppen großen Einflluss auf Entscheidungen haben, meinen das konspirationistisch. Viele denken dabei vermutlich an Lobbyismus. Solche Differenzierungen gehen in diesen Studien aber unter. Daher sollte man Untersuchungen, die von etwa einem Drittel der Deutschen mit Verschwörungsmentalität ausgehen, mit Vorsicht genießen.
Von wie viel Prozent gehen Sie aus?
Basierend auf Studien, die dann sehr konkret nach bestimmten Verschwörungstheorien fragen – so wie „Glauben Sie, dass hinter den Anschlägen des 11. September steckt die amerikanische Regierung selbst?“ oder „Wurde John F. Kennedy Attentat Opfer eines Komplotts?“ – wäre meine Einschätzung, dass wir uns bei den populärsten Verschwörungstheorien in Deutschland in einem Bereich zwischen zehn und zwanzig Prozent bewegen. Das bedeutet aber auch: Verschwörungstheorien sind in Deutschland heute keine allgemein akzeptierte Wissensform – selbst wenn es einem manchmal so vorkommen mag, als würden wir in einem Zeitalter der Verschwörungstheorien leben. Dem ist aber nicht so.
In welcher Tradition stehen Verschwörungstheorien in Deutschland – gerade auch im Vergleich zu anderen Ländern?
In der gesamten westlichen Welt war es über Jahrhunderte hinweg und bis zur Mitte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts völlig normal, an Verschwörungstheorien zu glauben. Hätte man damals Umfragen durchgeführt, wären die Zahlen sicherlich bei 80 oder 90 Prozent gewesen. In den 1920er, 30er Jahren waren es nicht nur die Nazis, die an Verschwörungstheorien glaubten. Der Historiker Richard Evans hat das in seinem Buch über Verschwörungstheorien, die sich um Adolf Hitler drehen, sehr gut beschrieben. Damals hatten auch die anderen politischen Lager ihre Verschwörungstheorien, einfach weil das normal war. Dass die Fantasie der jüdisch bolschewistischen Weltverschwörung unter den Nazis zwölf Jahre offizielle Staatsideologie war und zum Holocaust geführt hat, erklärt meiner Meinung nach die in Deutschland nach 1945 weit verbreitete Annahme, Verschwörungstheorien seien per se antisemitisch und immer rechtsradikal. In anderen Ländern findet man das so nicht.
Woher kommt der Eindruck vieler Deutscher, dass es hierzulande aktuell nur so wimmele vor Verschwörungstheorien und Verschwörungstheoretikern, der sich aber, so wie Sie ausgeführt haben, gar nicht mit der Empirie deckt?
Das ist eine Entwicklung, die vor etwas mehr als zehn Jahren mit den Mahnwachen für den Frieden eingesetzt hat. Darüber wurden vielen Menschen deutlich, dass Verschwörungstheorien in Deutschland kein Ding der Vergangenheit sind. In der Mitte-Studie von 2015 wurde dann zum ersten Mal nach Verschwörungstheorien, nach Verschwörungsmentalität gefragt. Und dann hat sich das Ganze natürlich noch mal vervielfacht durch den Einfluss der Corona-Pandemie. Damals hatten viele Menschen auf einmal den Eindruck, Verschwörungstheorien sind überall. Denn jeder kannte damals jemanden im persönlichen Umfeld, daran glaubte. Ich halte das aber eher für eine Frage der Sichtbarkeit. Denn diese Leute glaubten in den meisten Fällen vermutlich schon vorher an Verschwörungstheorien.
Das erinnert mich an die Zeitdiagnose der gesellschaftlichen Polarisierung. Wird auch die hohe Verbreitung von Verschwörungstheorien manchmal zu einer self-fulfilling prophecy, weil nun die Begrifflichkeit bekannt ist und häufig sehr schnell verwendet wird?
Ich glaube auch, dass man inzwischen auf sehr vage Dinge sehr schnell den Begriff „Verschwörungstheoretiker“ drauflegt. In der Umgangssprache ist das im Grunde auch ein Urteil, ein Mittel der Disqualifikation einer anderen Person geworden. Dadurch, dass der Begriff und das Konzept „Verschwörungstheorie“ mittlerweile medial so weitverbreitet sind und auch in den Schulunterricht Eingang gefunden hat, steht er als Schablone heute viel mehr Menschen zur Verfügung – so etwa beim stereotypen Onkel, der schon immer irgendwelchen Blödsinn erzählt hat, dem man jetzt aber das Label „Verschwörungstheoretiker“ gibt. Und wenn man dann gleichzeitig davon ausgeht, alle Verschwörungstheoretiker sind per se antisemitisch oder rassistisch, erschwert das – in vielen Fällen – die Auseinandersetzung und das Gespräch sehr stark.
Ist guter, aufklärender Journalismus ein Gegengift gegen Verschwörungstheorien?
Ich glaube: ja. Verschwörungstheoretiker*innen kann man mit Fug und Recht entgegenhalten, dass reale Komplotte nicht von ihnen aufgedeckt worden sind, sondern von investigativen Journalisten. Bob Woodward und Carl Bernstein haben sich beim Aufdecken des Watergate-Skandals in den 1970ern in den USA sehr große Mühe gegeben, nicht in den Sog von Verschwörungstheorien zu geraten, sondern haben sich immer davon abgegrenzt. Sie haben damals stets weniger Informationen veröffentlicht, als sie schon hatten, und haben auf keinen Fall irgendwelche Spekulationen angestellt, sondern wirklich nur Dinge publiziert, die sie ganz klar belegen konnten.
Gleichzeitig machen zum Beispiel die Recherchen von Seymour Hersh zur Sprengung der Nord Stream-Pipeline deutlich, dass auch eigentlich seriöse investigative Journalisten ins Verschwörungstheoretische kippen können. Das zeigt für mich, dass niemand von uns so richtig gefeit ist gegen Verschwörungstheorien und vor allem die Menschen an sie glauben, die ohnehin schon misstrauisch sind. Bei Seymour Hersh kann ich mir vorstellen, dass er durch seine Recherchen in den letzten Jahrzehnten, einfach so skeptisch geworden ist gegenüber der amerikanischen Regierung und den Geheimdiensten, dass er ihnen zutraut, vor der deutschen Küste diese Pipelines in die Luft sprengen – obwohl inzwischen, gut aufgearbeitet wurde, dass das nicht stimmt.
In ihrem neuen Buch plädieren Sie für einen Blick auf Verschwörungstheorien, der weder alarmistisch noch relativierend ist. Gelingt das den deutschen Medien aus ihrer Sicht, wenn sie über Verschwörungstheorien und ihre Anhänger berichten?
Ich glaube, dass sich auch die Medienlandschaft in den letzten Jahren ein bisschen hat anstecken lassen von einer gewissen Verschwörungstheoriepanik. Ich kann das auch verstehen. Denn wenn man gesehen hat, wie Journalistinnen und Journalisten in den letzten Jahren zum Beispiel auf den Corona-Demonstrationen, über die sie berichten sollten, angegangen wurden, hat das einen bestimmten Blick auf Verschwörungstheorien geprägt. Ich würde mir aber wünschen, dass man mit ein bisschen Abstand ein wieder nüchterner wieder wird in der Berichterstattung.
Im Zuge des Auftriebs von Verschwörungstheorien der letzten Jahre sind bei den Öffentlich-Rechtlichen die Fakten-Finder-Formate entstanden. Das ist doch ein produktiver Umgang mit Aussagen, die vielleicht nicht immer alle vollumfängliche Verschwörungstheorien sind, aber die in diese Richtung tendieren oder zumindest als Falschbehauptungen und in der Welt sind und rezipiert werden. Da genau drauf zu schauen, die Fakten zu recherchieren und bündig aufzubereiten – das ist doch eigentlich eine gute Sache, oder?
Von den Fakten-Findern bin ich im Allgemeinen nicht immer begeistert. Zum einen, weil das ihr Publikum aus genau denen besteht, die den darin behandelten Verschwörungstheorien ohnehin schon skeptisch gegenübersteht. Menschen, die noch unentschieden sind oder auf der anderen Seite stehen, überzeugt man damit kaum. Und manchmal erhöht man damit auch die Verbreitung von bestimmten Verschwörungstheorien, die eigentlich total unbekannt sind. Mir selbst ist es häufiger passiert, dass Anfragen erhalten habe, mich zu Verschwörungstheorien zu äußern, die absolut randständig sind und von denen ich noch nie gehört hatte. In so einem Fall ist es eher kontraproduktiv, einen Faktencheck zu machen, weil man die Theorie so nur bekannter macht.
Das ist natürlich etwas anderes, wenn behauptet wird, dass die Wahl in den USA „gestohlen“ worden sei, so wie das Donald Trump behauptet. In solchen Fällen muss man natürlich einen Faktencheck machen – einfach, weil das relevante Positionen im politischen Diskurs sind. Faktenchecks können natürlich auch total nach hinten losgehen, etwa wenn man zu sehr unter Zeitdruck steht. So etwa im Fall eines Textes zu Seymour Hersh, in dem wegen eines Fehlers der Übersetzungsmaschine irrigerweise zu lesen war, an den Pipelines sei Sprengstoff in Pflanzenform angebracht gewesen. In so einem Fall läuft man Gefahr, genau die verhärtete Position derjenigen zu bestätigen, die der Auffassung sind, Faktenchecks seien nicht objektiv, sondern sollen nur missliebige Meinungen und Enthüllungen unterdrücken.
Im Kern argumentieren Sie sozialpsychologisch: nämlich, dass hinter dem Glauben an Verschwörungstheorien eine Angst vor Kontrollverlust oder auch eine Erfahrung von Kontrollverlust steht, die im Inneren der Einzelnen durch den Glauben an diese Theorien bekämpft wird. Wo sehen Sie dann die Rolle der Medien, deren ureigentliche Aufgabe es ist, kritisch zu sein? Als Journalist*innen können wir ja nicht einfach die tollsten Geschichten erfinden, wenn wir gleichzeitig gerade erleben, dass die Welt an allen Ecken und Enden aus den Fugen gerät.
Verschwörungstheorien können hoch problematisch sein, und mit diesen Theorien selbst muss man sich dann auseinandersetzen, erst Recht wenn sie sich mit Antisemitismus, Rassismus oder Sexismus verbinden. Das ist mir sehr wichtig zu betonen. Aber gleichzeitig muss man sich immer wieder auch fragen, auf welche gesellschaftliche Missstände uns Verschwörungstheorien vielleicht hinweisen, mit denen man sich auseinandersetzen muss, wenn es etwa um Inflation geht, verödende Landschaften in manchen Teilen Deutschland oder um eine als absurd empfundene Bürokratie. Zudem halte ich es für sehr wichtig, differenziert einzuordnen, wann und in welcher Form welche Verschwörungstheorien gefährlich sind.
Michael Butter
geboren 1977, lehrt Amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er leitet das von der EU finanzierte Forschungsprojekt Populism and Conspiracy Theory. 2021 wurde er mit dem Tübinger Preis für Wissenschaftskommunikation ausgezeichnet.

