Die syrische Kultur befinde sich außerhalb Syriens, heißt es. Noch gebe es sie aber auch in ihrer Heimat, betonen die Regisseure Ziad Adwan und Mohammad Abou Laban. Grund für sie, gemeinsam mit einem Berliner ein Magazin zu gründen, das kein eigentliches Flüchtlingsblatt ist. Vielmehr will „A Syrious Look“ die unterschiedlichen Perspektiven nutzen, um mit Kreativität den historischen Moment auszuloten, den man hierzulande teilt: ernsthaft und syrisch.
Das erste Heft der englischsprachigen Zeitschrift ist Ende November in Berlin erschienen. Natürlich findet darin der Krieg statt, etwa in solchen Bildern: Der höchste Teil des Steinkolosses liegt im Goldenen Schnitt, herabgefallene Betonquader und Schutt bilden eine Horizontale. Der Himmel wolkenlos, viel Licht, wenig Schatten. Die Ästhetik des Fotos überzeugt. Das Abgebildete erschüttert: Der Fotograf Samer Al Hussein lichtete das zerbombte Museum in Maarat al-Nu’man ab. Weitere Aufnahmen zeigen ein zerstörtes Kulturzentrum, eine Schule, ein Kino. Fotos in Syrien zu machen sei momentan riskant, steht als Erklärung voran. Die teilweise niedrige Auflösung möge der Betrachter als „Testament der Umstände“ bei der Entstehung verstehen.
Ein „Testament der Umstände“ liefert die gesamte Publikation, die „Syrier in Deutschland“ betrifft und ein Magazin „About Culture in Exile“ sein will. Tatsächlich geht es – modern aufgemacht, auf dickem, matten Papier – um schöne Künste: Um Fotografien und Installationen, Theaterprojekte oder Gemälde, die momentan in der Fremde entstehen. Auf acht Seiten wird Lyrik geboten. Ein Comic erzählt „About Creating a new Home in Berlin“. Bilder wie die expressiven von Yaser Safi oder die sarkastischen von Fadi al Hamwi künden von individueller Reflexion. Filmemacher_innen und Schauspieler_innen erzählen von aktuellen Projekten, mit denen sie auch ihre Lebenssituation verarbeiten. „We feel that home is each other, beeing together“, sagt der preisgekrönte Dokumentarfilmer Talal Derki („Return to Homes“) über die momentanen “Umstände“. Die Stückeschreiberin Liwaa Yazji beschreibt den „Kulturschock“ nach ihrer Ankunft in Deutschland: „I heard too much Arabic on the streets of Berlin.“ Der 82-jährige Philosophieprofessor Sadek J. al-Azam spricht aus, was sich Jüngere – wie die Choreografin Mey Seifan – momentan bestenfalls als Traumprojekt zugestehen: „Syrien ist nicht verloren.“ Er wolle kein Intellektueller im Exil sein, „but I will definitely return“, sagte der inzwischen in Berlin Verstorbene im Interview.
Das Magazin also wesentlich ein Heimweh-Projekt? Man sieht sich quasi „on the Road“. Selbstreflexion und Verständigung untereinander sind ein Ziel. Doch klammert man nicht-syrische Leser_innen bewusst nicht aus, sondern macht Angebote zum Kennenlernen. Das gilt auch in umgekehrte Richtung, etwa wenn David Hermann die Historie seine Familie in Europa als „Fluchtgeschichte“ beschreibt. Insofern wohnt „A Syrious Look“ perspektivisch mehr Diskussionspotenzial inne als etwa der serviceorientierten Internetzeitung „Abwab“, die auch von geflüchteten Arabern in Deutschland gemacht wird.
Von „sehr schöner Resonanz“ auf die erste Ausgabe berichtet Mitherausgeber und „Kreativunternehmer“ Mario Münster („Rosegarden“). Auch internationales Feedback habe der „Pilot“ erfahren, der einen „unbesetzten Fleck“ ausfülle und als Beitrag gesehen werde, „Geschichte mit anderen Augen zu lesen“. Vor allem betont Münster die mediale Chance, „unsere neuen Mitbürger nicht als Gegenstand, sondern als Subjekt von Berichterstattung zu erleben“. Geht es nach den Wünschen des Machertrios, sollen 2017 zwei weitere Hefte erscheinen, das nächste allerdings „vermutlich nicht vor dem Frühsommer“. Bis dahin will man die finanziell und organisatorisch nötige Infrastruktur schaffen, sich an private Stiftungen wenden und öffentliche Fördermöglichkeiten ausloten, um nach dem einmaligen Sponsoring vor allem durch die Metro-Group eine zukunftsfähige finanzielle Grundausstattung zu schaffen. Inhaltlich würde man „gern größer denken“ als die deutsch-syrischen und syrisch-deutschen Bezüge das bisher umreißen. „Das Thema Exil begleitet unseren Alltag in verschiedensten Formen und nicht nur auf Syrien begrenzt“, sagt Münster. Zwar sollen der Migrationsproblematik die authentische Stimme und der Erfahrungshorizont der Syrer hinzugefügt werden, jedoch möchte man die Magazin-Grenzen ausweiten und zu einer Art „Story-Telling-HUB“ werden. Das Printformat könne neben Videoproduktion, Veranstaltungen oder Kongressen als eine Ausdrucksform fortentwickelt werden. Auch der Vertrieb der Zeitschrift – momentan empfiehlt sich Internetbestellung oder der Kauf in ausgewählten Läden – müsse noch verbessert werden. Denn der Zeitschriftenhandel tue sich hierzulande eher schwer mit englischsprachigen Magazinen. Doch sind die Macher und ihr Projekt ambitioniert genug, sich nicht entmutigen zu lassen. Zumal sie mit den Verkaufserlösen je zur Hälfte kulturelle Aktivitäten in Syrien und das Zustandekommen eines Art- und Acting-Workshops für junge syrische Flüchtlinge in Deutschland fördern wollen.