München: Wie viel Gewerkschaft braucht die Medienbranche?
Die schwierige Lage der Medienbranche stand im Zentrum der Podiumsdiskussion auf den Münchener Medientagen, zu der connexx.av am 22. Oktober eingeladen hatte. Thema der Runde „Wie viel Gewerkschaft braucht die Medienbranche?“.
„Überlange Arbeitszeiten ohne finanziellen Ausgleich, befristete Arbeitsverhältnisse und Einsatz von Praktikanten als vollwertige Arbeitnehmer gehören inzwischen zum Medienalltag“, so Sandra Goldschmidt von connexx.av. Kaum jemand traue sich gesetzliche oder tarifliche Mindestbestimmungen einzufordern aus Angst um den Arbeitsplatz. „Der große Konkurrenzdruck ist längst von Unternehmensebene auf den einzelnen Medienschaffenden übergegangen. Freie werden gegen Feste ausgespielt, kleinere Produktionsfirmen kämpfen um ihre Existenz, große Medienunternehmen betreiben Outsourcing im großen Stil.“
Sandra Goldschmidt diskutierte mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden von ver.di, Frank Werneke, mit Bavaria Film-Personalchef Erhard Arbogast, Prof. Dr. Johannes Kreile vom Bundesverband Deutscher Fernsehproduzenten, Medienwissenschaftlerin Prof. Dr. Barbara Thomaß und dem ZDF-Journalisten Uli Röhm, der die Runde moderierte.
Frank Werneke sprach beim Thema Hartz-Gesetzgebung von einer „krassen Fehlentwicklung“. Die Filmschaffenden sind besonders betroffen. Er forderte vom Gesetzgeber konkrete Nachbesserungen und mahnte gleichzeitig die Unternehmen an, sich nicht aus den Arbeitgeberverbänden zurückzuziehen, denn eine Aufrechterhaltung der hohen Qualifikation der Medienschaffenden sei auch in ihrem Interesse. Erhard Arbogast und Prof. Dr. Johannes Kreile bestätigten den Trend. Erhöhter Kostendruck und ein weniger leistungsfähiger Markt erfordere nach ihrer Ansicht allerdings die Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen und Beschäftigungsverhältnissen. Entsprechend „mehr Verständnis für die Arbeitgeberseite und weniger Sozialromantik“ verlangte Kreile auf den Medientagen von den Gewerkschaften. Zur Absicherung stabiler Tarifverträge benötige man einen starken gewerkschaftlichen Partner – allerdings müssten die Forderungen dabei kostenneutral bleiben. „Ein Spagat, der wohl nicht im Interesse der Medienschaffenden sein kann“, so Goldschmidt. Und weiter: „Wir sind überzeugt, dass maximale Gerechtigkeit auch mit minimaler Regulierung verbunden sein kann – wenn alle Parteien sich bewegen.“ Dazu zähle die Einhaltung der gesetzlichen und tariflichen Mindestbestimmungen, die Nachprüfbarkeit von Arbeitszeit und die Qualifizierung und Ausbildung von Medienschaffenden.
Die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen, wie sie in der Medienbranche zu beobachten sei, habe nach Ansicht von Prof. Dr. Barbara Thomaß für andere Branchen Signalwirkung und Vorbildcharakter. Sie warnte in diesem Zusammenhang vor einer „Maskulinisierung“ der Arbeitswelt, in der durch den Anspruch ständiger Verfügbarkeit die Verbindung von Beruf und Familie zunehmend schwieriger werde. Die Frage sei daher nicht „wie viel“, sondern „welche Art“ Gewerkschaft brauche die Medienbranche. Hier sei die Lernfähigkeit der Gewerkschaften gefordert, die auch für die veränderten gesellschaftlichen Probleme Antworten finden müssten. Einen ersten Schritt hierzu hat ver.di mit dem Projekt connexx.av bereits getan.