Angriff der Trolle

Illustration: Shutterstock/Alexander Pavlov

Gezieltes Vorgehen gegen Journalisten im Netz

Im Netz sind Journalist_innen gefragt, die innovative neue Ideen einfach mal schnell umsetzen. Sie sind auf allen Kanälen unterwegs. Einige dieser Selbstvermarkter haben es zu einer beachtlichen Bekanntheit gebracht. Doch damit werden sie Zielobjekt von Trollen, sollten ihre Berichte denen in die Quere kommen. Und die bestehenden Gesetze verschärfen die Lage zum Teil noch. Es besteht Handlungsbedarf.

Richard Gutjahr ist ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen und setzt innovative Methoden und Technologien scheinbar spielerisch ein. Und er kommuniziert auf allen Kanälen darüber: vom täglich tausendfach gelesenen Blog www.gutjahr.biz, über Social Media bis zu gefeierten Live-Auftritten. Gutjahr war in der Internetszene schon gut bekannt, als er 2016 in Nizza zufällig Zeuge der Amokfahrt mit einem LKW auf der Promenade wurde. Er hatte den Beginn des schrecklichen Terroranschlags mitgefilmt und diese einzigartigen Zeitzeugenaufnahmen verschiedenen ARD Anstalten überspielt und persönlich in Schalt-Konferenzen für das TV berichtet. Eine Woche später war er dann an seinem Wohnort München, erneut einer der ersten Journalisten am Anschlagsort im Olympia-Einkaufszentrum in München.

Im Netz entwickelten sich darauf schnell Verschwörungstheorien. Auf YouTube wurden seine Bilder sinnentstellend verwendet und mit falschen Behauptungen zu Fake News vermischt. Gutjahr fing an, sich zu wehren und dabei unterlief ihm eine entscheidende Fehleinschätzung. Er nutzte die von YouTube vorgegeben Tools, um anstößige oder rechteverletzende Inhalte zu melden. Dort sollte er auch seinen Namen und Adresse angeben, was er befolgte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Videoplattform diese Daten an die Gegenpartei einfach weiterreichte. Ab diesem Moment begann für ihn ein Martyrium, dass bis heute noch andauert und in das seine ganze Familie hineingezogen wurde.

Hohe Kosten für Verteidigung

Nachdem er zahlreiche Drohungen und Beleidigungen erhielt, wurden ihm von Unbekannten massenweise Pakete von Versanddiensten zugestellt, die er wieder loswerden musste und anderes mehr. Auf Anraten der Polizei, sagt Richard Gutjahr, tilgte er seine Geschäftsadresse umgehend aus seinem Impressum der Webseite. Prompt wurde er daraufhin angezeigt und zahlte eine Strafe von mehreren hundert Euro. Die Pflicht zur so genannten „Anbieterkennzeichnung“ (Impressumspflicht) ergibt sich aus § 5 Telemediengesetz bzw. aus § 55 Rundfunkstaatsvertrag. Dort muss eine ladungsfähige Anschrift des Betreibers stehen. Bei selbstständigen Journalisten ist das aber zwangsläufig auch die Privatadresse.

Aufgrund der Vielzahl der Attacken auf ihn und seine Familie musste er mehrfach Anwälte beauftragen, Gerichtskosten vorstrecken, die er teils von den unterlegenen Gegnern nicht erstattet bekam, Zwangsvollstreckungen beantragen und ist damit seit eineinhalb Jahren beschäftigt. Beschuldigte Täter sind auf der Flucht und er hält ständig Kontakt mit der Staatsanwaltschaft. Er beziffert – auf Anfrage – die aufgelaufenen Kosten auf mehr als 30.000 Euro. Zudem sei er in seiner Arbeitsleistung deutlich eingeschränkt, gibt er an. Auf Schutz oder maßgebliche Unterstützung von Dritten, wie seinen Arbeitgebern – etwa dem Bayerischen Rundfunk – erhielt er nicht.

Das Vorgehen gegen Gutjahr scheint nur auf den ersten Blick als Taten von verwirrten Verschwörungstheoretikern oder versprengten Trollen. Wer im Internet sucht, findet unter dem Stichwort „Memetic Warfare“ Anleitungen zum gezielten Vorgehen gegen den Journalismus. Die Pläne sind perfide, da sie darauf abzielen, immer die wunden Punkte und schwächsten Glieder ins Visier zu nehmen. Das als PDF verbreitete „rechte Handbuch für Medienguerillas“ propagiert ­gezielt Familien oder Frauen in den Fokus zu rücken, um die Gegner „zu demütigen“. Wörtlich heißt es dort: „…junge Frauen, die direkt von der Uni kommen. Das sind klassische Opfer und nicht gewöhnt einzustecken. Die kann man eigentlich immer ziemlich einfach auseinandernehmen“. Diese Schriften wurden zuerst im Mai 2017 veröffentlicht.

Ein anderes Zitat: „ziehe jedes Register. Lass nichts aus. Schwacher Punkt ist oftmals die Familie. Habe immer ein Repertoire an Beleidigungen, die Du auf den jeweiligen Gegner anpassen kannst.“ Richard Gutjahr sieht in diesen Anleitungen das Vorgehen gegen seine Familie gespiegelt. Diese strategisch organisierte Vorgehensweise über die Mobilisierung im Internet wirft die Frage auf, ob es sich um organisierte Kriminalität und Bandenbildung handelt.

Mit Hilfe erfundener Identitäten

Aber auch festangestellte Mitarbeiter_innen können ins Visier dieser auf ihren Webseiten so genannten „memetischen Kriegsführung“ geraten. Dies musste die Redaktion der Tagesschau erfahren. Dort wird der Faktenfinder publiziert. Als sich dieses Format mit ultra-rechten Gruppen beschäftigte, geriet der verantwortliche Redakteur in den Fokus der Trolle. Dabei machten sie sich eine neue Angriffsstrategie zunutze, die einen weiteren Regel-Mechanismus missbraucht, der eigentlich Nutzer_innen im Social Web beschützen sollte.

Zunächst kopierten die Täter Fotos des Redakteurs von dessen privatem Twitter-Account und meldeten diese gestohlenen Fotos als ihre eigenen beim Kurznachrichtendienst Twitter. Dazu benutzten sie zwei frei erfundene deutsche Identitäten, die offensichtlich von dem Dienst nicht detailliert überprüft wurden.

Dem Redakteur flatterten anschließend Aufforderungen nach dem Digital Millennium Copyright Act of 1998 (DMCA) ins Postfach, die ihn aufforderten, die umstrittenen Fotos umgehend zu depublizieren. Als Beweis für das Eigentum der Täter an seinen Fotos sollten Internetseiten von kostenlosen Webdiensten dienen, auf welche die Täter die gestohlenen Fotos hochgeladen hatten. Kurz darauf hatte Twitter die umstrittenen Fotos kurzerhand gelöscht, darunter auch das sogenannte Header-Foto, quasi das Titelbild des Redakteurs bei Twitter.

Missbrauch von Gesetzen

Um seine Unschuld zu beweisen, hätte der Redakteur eine Erwiderung schreiben und seinen Namen und Adresse angeben müssen, die umgehend an die Täter weitergegeben worden wäre. Eine Falle, in die Gutjahr getappt war. Der Redakteur entschied sich, nicht zu reagieren. Dies ist aber verbunden mit der Gefahr, dass er spätestens bei einem nächsten USA-Besuch – und sei es nur auf der Durchreise – als Beschuldigter in dem Rechtsverfahren vernommen werden könnte. Ein Verstoß gegen den DMCA ist keine Kleinigkeit. Wie er dabei die Urheberschaft und das Verwertungsrecht an seinen eigenen Bildern beweisen soll, ist unklar.

Sich auf anderem Wege als durch Preisgabe seiner Adresse gegen die Anwendung von amerikanischem Urheberrecht bei einem deutschen Rechtsverstoß gegen ihn selbst zu wehren, ist kaum möglich. Twitter hat Anfang April bekannt gegeben, dass man die deutsche Niederlassung geschlossen habe und nun mit nur noch wenigen Mitarbeitern an kurzzeitig angemieteten Schreibtischen in einem Co-Working-Space die Geschäfte abwickle.

Wenn Gesetze so strategisch gegen Journalisten und ihre Arbeit eingesetzt werden können, ist das hoch politisch, wenn nicht sogar kriminell. Das ist ein Vorgehen gegen die im Grundgesetz geschützte Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film. Ein Indiz dafür ist, dass in diesen Anleitungen zur „memetischen Kriegsführung“ als Ziel unter anderem „ARD, ZDF, Spiegel und der Rest der Fake-News-Mischpoke“ genannt werden. In Teil 3 des PDF heißt es: „Ziel der ersten Kampagne ist es, die AfD so stark wie möglich in den Bundestag zu hieven.“ Nachdem dies gelungen ist, werden möglicherweise zurzeit weitere Aktionen geplant.

Journalist_innen müssten eine andere Möglichkeit erhalten, um sich rechtskonform gegen solche Angriffe wehren zu können, ohne diesen Trollen ihre eigene Privatadresse bekannt zu geben. Möglich wäre dies durch Agenturmodelle, bei denen eine gemeinschaftliche Büroadresse unterhalten wird, mit bestimmten Dienstleistungen oder Sekretariatsaufgaben.


Fünf Tipps für Fotos in Social Media

  • Es ist sinnvoll, genau nachzudenken wie man Fotos im Netz einsetzt. Natürlich lässt sich eine Urheberschaft vor Gericht auch mit Forensik von Sachverständigen klären, aber dazu wird es bei Streit per Social Media kaum kommen.
  •   Keine Fotos in Social Media an prominenter Stelle (Header/Profilfoto), für die ihr keine Verwertungsrechte habt.
  • Wer sein Foto später noch verwerten (verkaufen) will, sollte nie das beste Foto für Social Media verwenden und die Qualität vor dem Versenden anpassen. Wasser­zeichen hilft, ist aber retuschierbar.
  • Versendet IMMER nur einen Ausschnitt aus eigenen Fotos, sonst könnt ihr die Urheberrechte über eigene Fotos nur schwer nachweisen.
  • Wasserzeichen auch dort einsetzen, wo man sie kaum entdeckt (z.B. klein, in dunklen Bereichen).
  • Die Tipps für Fotos von Journalisten gelten erst recht für Breaking News. Rüstet Euch vorher mit Foto-Apps, die ihr unter Zeitdruck beherrscht.

 

 

 

 

 

Wer im Internet sucht, findet unter dem Stichwort

„Memetic Warfare“ Anleitungen zum gezielten Vorgehen gegen den Journalismus. Die Pläne sind perfide, …

 

 

 

Wenn Gesetze so strategisch gegen Journalisten und ihre Arbeit eingesetzt werden können, ist das hoch politisch, wenn nicht sogar kriminell.

 

Illustration: Shutterstock/AlexanderPavlov

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