Arbeitslos in der Wachstumsbranche?

Neue Zahlen und Untersuchungen belegen:
Der Anteil der Freien in der Medien-Branche wächst unaufhörlich – die Einkommen halten nicht Schritt.

Uns gehts doch gold – könnte man meinen. Gerademal 4493 arbeitslose Journalisten verzeichnete die Bundesanstalt für Arbeit Ende Januar dieses Jahres. Das sind zwar auf jeden Fall 4493 zuviel. Aber trotzdem: Vorausgesetzt, es gäbe auch jetzt im Frühjahr 1997 nur rund 56000 (RedakteurInnen, VolontärInnen und Freie zusammen), wie sie das im vergangenen Jahr erschienene Lehrbuch „Journalistik II“ des Münsteraner Professors Siegfried Weischenberg aufgrund einer eigenen Studie von 1992 ausweist, stellten diese 4493 Kolleginnen und Kollegen eine Arbeitslosenquote von schlappen 8,02 Prozent dar.

Und selbst die ist noch zu hoch gegriffen, gab es doch zum Zeitpunkt von Weischenbergs Studie in den zwei Dutzend Journalistik- bzw. Publizistik-Instituten der Universitäten, Akademien und privaten Journalisten-Schulen auch noch rund 14000 Studenten, die dem Beruf mittlerweile mehrheitlich zugestrebt sein dürften, genauso wie die nicht zu unterschätzende Menge zusätzlicher Quereinsteiger. Dies auch nur überschlägig berücksichtigt, könnte man die als arbeitslos registrierten Zunft-Genossen nach dem Statisten-Latein leicht als nicht mal 6,5 Prozent von allen verstehen. Bei einer allgemeinen Arbeitslosenquote von durchschnittlich 12,2 Prozent, wie sie Bundesanstaltspräsident Jagoda Anfang März zu vermelden hatte, geradezu rosig wenig. Wer sagt es denn: Wachstumsbranche!

„Insgesamt eine gute Entwicklung“ im Sektor Medien verzeichnet denn auch die Handelskammer Hamburg. Dort faßt Medienspezialistin Andrea Koch gerade die Ergebnisse einer neuen Medien-Struktur-Analyse zusammen, die im April veröffentlicht werden soll. Fakten und Zahlen muß Koch bis dahin hüten wie das Gold von Fort Knox, hebt aber besonders einen bemerkenswerten Aufschwung bei „content providern“, der Inhalte-Lieferanten jeglicher Couleur hervor. Ein Urteil von Gewicht, beherbergt die Elbmetropole mit Gruner+Jahr, Springer und Bauer nebst deren Radio-, Fernseh-, Film-, Digital-, Online- und sonstigen Ablegern doch nicht nur allein drei der ganz großen Medienkonzerne, sondern auch den riesigen NDR sowie Medienunternehmen aller Größen und Gattungen, von Studio Hamburg über den „Spiegel“ (samt dessen TVs), dpa nebst Troß bis hin zu Think-Tanks aller Art, und stellt zusammen mit München, Köln und Berlin über die Hälfte aller Medienarbeitsplätze im Land.

Optimismus verbreitet genauso eine brandneue überregionale Studie, die die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei Rundfunk und Fernsehen (öffentlich-rechtlich und kommerziell) per Ende 1995 hat erheben lassen und in Kürze als Buch vorlegen will. Unter anderem heißt es in einem Vorab-Bericht, die Zahl der Erwerbstätigen (i.e. nicht nur der journalistischen) bei den Privaten (65 TV- und 185 Hörfunkveranstalter) sei im ersten Halbjahr ’95 im Vergleich zum nämlichen Zeitraum des Vorjahres um 33 Prozent bzw. 2250 Menschen gestiegen (d.h. von 6750 auf 9000); die 15 Öffentlich-Rechtlichen hätten gleichzeitig 900 Stellen (von insgesamt gut 31000) abgebaut – per Saldo also 1350 Funk- und Fernsehschaffende mehr in Lohn und Brötchen. Wunderbar.

Gäbe es da nicht einige Indizien, die eher in die entgegengesetzte Richtung deuten – jedenfalls, was die Medien machenden Menschen betrifft.

Indizien – und das ist bereits ein Indiz für sich – können es deshalb nur sein, weil in Teutonien zwar knallhart gezählt, erfaßt, analysiert wird, was das Zeug hält, aber ausgerechnet bei der geschwätzigsten aller Branchen, dem Journalismus, der große Weichzeichner die Szenerie vernebelt. Für die Statistik-Ämter des Bundes und der Länder beispielsweise sind Medienmacher ein weißer Fleck, eine – im Gegensatz zum Putz-Personal – unbekannte Größe unter „allgemein Dienstleistenden“. Bis „irgendwann“, so ein Hamburger Amts-Statistiker, EU-Vorschriften die eingehende Spezifizierung erfordern.

Die Bundesanstalt für Arbeit und ihre Gliederungen hat diejenigen, die sie aus dem in sich „geschlossenen Markt“ Journalismus kennenlernt, bei den „Publizisten und Bibliothekaren“ geparkt und würde am liebsten gar keine Zahlen nennen. Schon die Frage danach birgt den Ruch des Unprofessionellen in sich, so evident erscheint es den Kollegen Pressesprechern, daß die Zahlen absolut nichts aussagen.

Journalistinnen und Arbeitsamt gelten per se als incompatibel, aus Imagegründen, Lesart: ein arbeitsloser Journalist kann gar kein guter Journalist sein. Diesen alten Hut setzen sich unbeirrbar alle auf, die hinter dem Schreibtisch, wie – notgedrungen – die davor auch. Weshalb etwa auch die Arbeitsämter mit ihren Annoncen in „FAZ“ oder „Zeit“ kläglich scheitern, selbst wenn die Kollegen, für die darin eine Position gesucht wird, höchste Qualifikationen vorweisen können. Sie habe „noch keine positive Rückkopplung“, umschreibt eine Fachvermittlerin im Medienmetropolis Hamburg das absolute Null-Ergebnis ihrer Anzeigen-Bemühungen im vergangenen Jahr.

Wer im Journalismus als Profi gelten will, so das ungeschriebene Gesetz, beißt sich selber durch. Deshalb ist die Menge der frei arbeitenden Kolleginnen und Kollegen der weit aussagekräftigere Indikator. Wie drastisch sie seit einigen Jahren zunimmt, spiegelt sich in der Mitglieder-Zusammensetzung der Journalisten-Organisationen. In der Hamburger Fachgruppe Journalismus (dju) unserer Gewerkschaft beispielsweise, die jetzt rund 1800 Mitglieder zählt, stieg die Zahl der Freien, so der Hamburger dju-Vorsitzende Jürgen Bischoff, von 30 Prozent Ende 1991 auf jetzt knapp die Hälfte (49 Prozent). Der Hamburger DJV beobachtet ähnliches: Von dessen 2400 Mitgliedern sind, so DJV-Geschäftsführer Stefan Endter, jetzt etwa 1000 Freie – und damit 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Trend, der das Schlagwort von der „Wachstumsbranche“ in völlig neuem Licht erscheinen läßt.

Das Hamburger Bild ist keine Besonderheit, sondern gibt ziemlich genau die bundesweite Situation wieder: Auch von den insgesamt rund 25550 „journalistisch Tätigen“, die sich in der IG Medien organisiert haben (in den Fachgruppen Journalismus und Rundfunk / Film / AV-Medien, sind mit 12700 in etwa die Hälfte Freie. Daß im Bereich Funk und Fernsehen der Freien-Anteil mit fast 57 Prozent bemerkenswert höher liegt, ist kein Zufall. Ist es doch gerade der Wachstumssektor Elektronische Medien, der in ganz erheblichem Maß auf die risikolos zu erwerbende Leistung Freischaffender setzt – wie die erwähnte DIW-Untersuchung der Rundfunkwirtschaft auch verrät: Mit 7630 arbeiten im privaten Rundfunk schon beinahe genausoviele, nämlich 85 Prozent „freie“ Erwerbstätige wie fest Angestellte, weni-ger als ein Drittel von ihnen (2260 Menschen) mit der relativen Sicherheit der sogenannten „festen Freien“ (siehe auch Seite 20).

Daß es jener Hälfte der Medien machen den Menschen, die ohne Netz und doppelten Boden der Wachstumsbranche auf die Sprünge helfen, ganz und gar nicht gold geht, zeigt ein Blick aufs Geld. So ermittelte das Münchner ifo Institut für Wirtschaftsforschung für die Künstlersozialkasse KSK, die frei schaffende Medienmenschen renten- und krankenversichert, ein Durchschnittseinkommen von gerade mal DM 30000 im Jahr. Zu einem annähernd gleichen Ergebnis führt die Freien-Umfrage, die unsere dju-Kollegen vergangenes Jahr im medien-umtriebigen Nordrhein-Westfalen veranstalteten (vgl. M 7/96). Doch selbst dieser Durchschnittswert – er kommt durch die wenigen „Großverdiener“ (ca. 6 Prozent) zustande, die jährlich DM 70000 und mehr erzielen – „schönt“ die wirkliche Situation nicht unerheblich. Über die Hälfte (54 Prozent) erreichen ihn nämlich nicht einmal. Ein Stichprobenergebnis, gewiß. Doch nimmt man mal die einschlägigen Indizien unter die Lupe, die sich bei der ja nun nicht unerklecklichen Menge unserer journalistischen Mitglieder ablesen lassen, wird es inzwischen nicht nur im gleichfalls gewichtigen Medienstand-ort Hamburg noch übertroffen, sondern auch bundesweit – und zwar nach unten, in den Warnbereich der Existenzbedrohung. Danach haben nahezu drei Viertel (73 Prozent) der Freien ein Netto von jährlich DM 25000 und darunter. Darunter – und das kann auch sehr viel darunter sein – liegen allein fast 30 Prozent. Zusammen mit den 1555 als arbeitslos geführten Kolleginnen und Kollegen sind das allein in unseren Reihen an die 11000 Journalistinnen und Journalisten, die in der Wachstumsbranche Medien ums Überleben ringen müssen.

 

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