Auf dem Weg zum digitalen Kiosk

Sinkende Auflagen und stagnierende Werbemärkte zwingen die Zeitungsbranche zum Umdenken. Vor allem im Internet soll künftig mehr Umsatz gemacht werden. Entscheidend dafür ist, dass die Verlage ihre Leser davon überzeugen, für Online-Inhalte Geld auszugeben. Dabei hoffen die Zeitungshäuser auch auf mobile Endgeräte, mit denen jederzeit auf WWW-Angebote zugegriffen werden kann.

Es geht um E-Publishing und Paid Content, um Digital Devices, Social Media oder Behavioral Targeting. Wenn dieser Tage bei Medienkongressen über die Zukunft der Zeitungen diskutiert wird, stammt das Vokabular aus dem Englischen. Das World Wide Web diktiert die Agenda, und mancher Prophet schwärmt bereits von der papierlosen Zeitung. Noch aber handelt es sich bei den Internet-Aktivitäten fast aller deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage eher um strategische Investments, die durch die Erlöse aus dem Stammgeschäft mit gedruckten Produkten quersubventioniert werden.
„Es gibt in Deutschland bisher kein journalistisches Informationsportal, das eine angemessene Verzinsung auf das eingesetzte Kapital verdient. Die Mehrheit schreibt Verluste“, klagte im September Springers Konzerngeschäftsführer für Public Affairs, Christoph Keese, beim Zeitungskongress in Essen. „Wir alle haben lange Zeit geglaubt, dass man journalistische Inhalte über Online-Werbung refinanzieren könnte. Das klappt definitiv nicht“, ergänzte Burda-Vorstand Philipp Welte bei einem Interview in Horizont.
Der Grund für das Scheitern rein über den Werbemarkt finanzierter Online-Geschäftsmodelle liegt vor allem im überaus großen Angebot freier Werbeflächen, die im Internet unbegrenzt zur Verfügung stehen. Deshalb lassen sich online nur Anzeigenpreise durchsetzen, die lediglich einen Bruchteil der Print-Tarife ausmachen. Hoffnungen der Verlage, im Internet höhere Tausender-Kontakt-Preise (TKP) aufgrund geringer Streuverluste durchsetzen zu können, haben sich bislang nicht erfüllt. Das sogenannte Behavioral Targeting ermöglicht es zwar, Besucher einzelner Websites nur mit Werbebannern solcher Produkte zu konfrontieren, die ihren Interessen entsprechen. Die Summe der so erzielten Werbekontakte aber ist am Ende in der Regel so klein, dass dabei für Zeitungshäuser im Internet kaum nennenswerte Erlöse herausspringen.
Etwa zwei Drittel aller Online-Werbeumsätze landen bei Google. Auf Medien- und Nachrichtenseiten, zu denen auch die Angebote der Zeitungsverlage zählen, entfallen Experten-Schätzungen zufolge lediglich zehn Prozent der Online-Werbeeinnahmen. Während etwa der deutsche Free-TV-Markt gut von den Erlösen seiner Werbespots leben kann, lohnt sich das Geschäft mit dem Online-Advertising nur für wenige, besonders reichweitenstarke Angebote. So gilt etwa Spiegel Online mit inzwischen fast zehn Millionen Nutzern monatlich (Unique User) seit fünf Jahren als profitabel. Ähnlich große Reichweiten aber bleiben für die meisten Zeitungstitel ein Wunschtraum: Etwa die Hälfte aller Blätter verbucht pro Monat nämlich maximal 100.000 Online-Nutzer. Von Erfolgen wie dem des Internetangebotes der New York Times, das im zweiten Quartal etwa 16 Prozent der Gesamterlöse des US-Verlagshauses beisteuerte, können deutsche Zeitungsverleger nur träumen.

Gratis-Mentalität

Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) machen die Online-Einnahmen in der Bundesrepublik noch weniger als zehn Prozent aller Umsätze von Tages- und Wochenzeitungen aus. Darin enthalten sind nicht nur Werbeerlöse, sondern auch andere Geschäftsfelder.
Deutsche Zeitungsverlage, die – wie zum Beispiel die Axel Springer AG oder die Verlagsgruppe Holtzbrinck – im Internet erfolgreich sind, erwirtschaften entsprechende Erträge vor allem in Online-Geschäftsfeldern jenseits ihres journalistischen Stammgeschäftes. Dass etwa bei Springer im ersten Halbjahr der Bereich Digitale Medien ein Viertel des Umsatzes ausmachte, hat der Verlag vor allem Bereichen wie den Online-Rubrikenanzeigen (Immonet, Stepstone) oder dem Internet-Werbevermarkter Zanox zu verdanken. Holtzbrinck setzt auf Social-Media-Plattformen (StudiVZ, SchülerVZ etc.) und hat sich darüber hinaus mit Risikokapital an mehr als vierzig Internetfirmen beteiligt (u.a. MyHammer, Parship, Zalando).
Das ursprüngliche Geschäftsmodell der Zeitungsverlage, bei dem publizistische Inhalte mit der Kombination aus Vertriebs- und Werbeerlösen finanziert werden, scheitert im World Wide Web auch an der weit verbreiteten Gratis-Mentalität. Zwar betreiben bereits mehr als fünfzig Prozent der deutschen Zeitungsverlage kostenpflichtige Angebote im Internet. Doch die Bereitschaft der Leser, für Archiv-Beiträge oder E-Paper-Ausgaben, also PDF-Dateien der Druckausgaben, Geld zu zahlen, ist gering. Hinzu kommt, dass es im Internet an einem einfachen und breit akzeptierten Verfahren zum Bezahlen kleinerer Beträge fehlt, wie sie zum Beispiel für einzelne Artikel abgerechnet werden (Micropayment).

Paid Content

Ohnehin klicke der durchschnittliche Leser nur etwa alle fünf Tage eine Zeitungsseite an, fanden Katja Riefler und Robin Meyer-Lucht heraus, die im Auftrag des BDZV nach Potenzialen für Bezahlangebote (Paid Content) suchten. Angesichts solch niedriger Reichweiten bleiben nur geringe Spielräume. Die Zahl der Abonnements von E-Paper-Ausgaben liegt bundesweit derzeit bei nur etwa 100.000. Auf jedes der 457 unterschiedlichen E-Paper-Angebote deutscher Zeitungen entfallen also durchschnittlich nur etwa 220 Abonnenten.
Riefler und Lucht stellten bei ihrer Untersuchung fest, dass etwa jedes zweite der befragten Zeitungshäuser nicht mehr als 40.000 Euro Jahresumsatz mit Paid Content macht. Nur etwa jeder zehnte Deutsche, so fand die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) heraus, ist bereit, für News im Netz etwas zu bezahlen. Die Berater der Boston Consulting Group hingegen gehen von einer größeren Akzeptanz für journalistische Online- und Mobile-Media-Angebote aus: Sie ermittelten, dass immerhin ein Viertel der Bevölkerung etwa fünf Euro pro Monat zu zahlen bereit sei.
Bei ihren Versuchen, kostenfreie Internetangebote in Paid Content umzuwandeln, befinden sich die Zeitungsverlage in einem Dilemma. So büßte etwa die Londoner Times bis zu zwei Drittel ihrer Online-Nutzer ein, als sie ihr Web-Angebot Mitte des Jahres nur noch für zahlungswillige Kunden zur Verfügung stellte. Mit den verlorenen Reichweiten sinken automatisch auch die Werbeeinnahmen. Deshalb versuchen die meisten Zeitungsverlage, ihre Leser nur ganz vorsichtig an das Bezahlen von Inhalten zu gewöhnen. Zum Beispiel setzen seit etwa einem Jahr die Springer-Blätter Berliner Morgenpost und Hamburger Abendblatt auf eine Mischung aus kostenlosen und kostenpflichtigen Angeboten („Freemium“). Nutznießer in Hamburg war prompt die konkurrierende Morgenpost, die ohne Bezahlbarriere ihre Nutzerzahlen und damit die Werbeeinnahmen steigern konnte.
Im Ausland setzen Titel wie die Financial Times, das Wall Street Journal und die New York Times (ab 2011) auf abgestufte Bezahlmodelle (Metered Payment). Dabei sind zwar alle Artikel grundsätzlich für alle zugänglich. Allerdings dürfen die Nutzer nur eine bestimmte Zahl von Berichten kostenlos abrufen, bevor sie zur Kasse gebeten werden. Auf diese Weise bleiben die Online-Angebote dieser Titel auch weiterhin für Suchmaschinen, Blogger und soziale Netzwerke erreichbar, was sich positiv auf die Reichweite auswirkt.

Mobile Media

Die Zeitungsverlage und alle anderen Anbieter journalistischer Inhalte haben es versäumt, im World Wide Web den Wert ihrer Produkte zu unterstreichen. Die Folge ist oft Qualitätsjournalismus zum Nulltarif. Während die Zahlungsbereitschaft im stationären Internet gering ist, scheinen die Kunden bei mobilen Online-Angeboten hingegen eher bereit, ein Entgelt zu akzeptieren. Deshalb setzen viele Verlage nun große Hoffnungen auf den sogenannten Mobile-Media-Sektor. Vor allem Besitzer moderner Smartphones sind es nämlich bereits gewohnt, für mobile Services wie zum Beispiel iPhone-Applikationen (Apps) Geld zu bezahlen. Nach Angaben des BDZV bieten bereits mehr als vierzig deutsche Zeitungshäuser spezielle Applikationen für das iPhone an, viele davon sind kostenlos.
Zu den Anwendungen des mobilen Internets, die dauerhaft gute Erfolgschancen haben, zählen insbesondere ortsbezogene Dienste. So stellte etwa die Süddeutsche Zeitung im Oktober eine iPhone-App vor, die für 5,99 Euro sechzig ausgesuchte Radtouren illustriert. Dank GPS-Funktion können Smartphone-Nutzer unterwegs jederzeit auf topografischen Karten erkennen, wo sie sich gerade befinden. Und noch ein Beispiel: Eine Applikation des Konstanzer Südkuriers ermöglicht es, dass Nachrichten per GPS jeweils für den Aufenthaltsort von Smartphone-Besitzern regionalisiert werden.
Die meisten Mobile-Media-Applikationen, die von deutschen Zeitungen derzeit angeboten werden, beschränken sich allerdings auf klassische Zeitungsinhalte, die als E-Paper auf Smartphone-Displays übertragen werden. In Apples AppStore befinden sich mittlerweile mehr als dreißig Angebote deutscher Zeitungshäuser. Zu den ersten, die bereits Ende 2009 starteten, gehörten Ableger der Springer-Titel Bild und Welt. Im September meldete der Verlag, seit dem Start seien bereits etwa 240.000 Apps verkauft worden.
Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, der bereits seit mehr als zwei Jahren neue digitale Verlagsgeschäftsfelder forciert, schwärmte Mitte Oktober bei den Medientagen München von einer „neuen Ära der Technologie, bei der wir erst am Anfang stehen“. Gemeint war vor allem die neue Generation der Smartphones und Tablet-PCs (Digital Devices). Voraussetzung aber seien einfache Bedienbarkeit und optimierte Bezahlsysteme. Die neuen Touchscreen-Endgeräte, so lobte Döpfner, kämen traditionellen Lesegewohnheiten entgegen und ermöglichten einen bequemen „Lean-Back-Medienkonsum“. Voraussetzung für geschäftliche Erfolge mit digitalen Inhalten sei allerdings, dass die Branche zwei große Gefahren abwehre: die Gratis-Mentalität von Online-Nutzern und die Konkurrenz der öffentlich-rechtlichen Programmanbieter.

Tagesschau-App

Döpfner forderte in München, ARD und ZDF müssten dazu verpflichtet werden, ihre öffentlich-rechtlichen Mobile-Media-Applikationen ausschließlich gegen eine zusätzliche Gebühr anbieten zu dürfen. Vor allem die geplante Tagesschau-App der ARD ist aus Sicht der Zeitungsverlage ein Angebot, das erstens zur inhaltlichen Konkurrenz avanciert und zweitens erneut der ungeliebten Kostenlos-Philosophie – von Döpfner auch als „Web-Kommunismus“ bezeichnet – Vorschub leistet.
Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Vorsitzender, ist da ganz anderer Meinung. Seiner Ansicht nach müssen die Programmangebote von ARD und ZDF auf allen relevanten technischen Plattformen zur Verfügung gestellt werden. Nur so sei sichergestellt, „dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler auch tatsächlich erreicht. Sie haben mit ihrer Rundfunkgebühr bereits den Beitrag zur Finanzierung des Internetangebotes von ARD, ZDF und Deutschlandfunk geleistet. Deshalb kann dieses nur kostenfrei sein“, argumentiert Werneke, der bei ver.di für den Fachbereich Medien zuständig ist.
Der Online-Marktanteil von tagesschau.de liegt bei etwa vier Prozent, ist also für die Wettbewerber eigentlich keine große Gefahr. Offenbar aber haben die Zeitungsverlage Angst vor einem Dammbruch. „Wenn man das weiterdenkt, dann ist das die Eröffnung der öffentlich-rechtlichen elektronischen Zeitung“, kritisierte BDZV-Präsident Helmut Heinen in Essen. Die Branche droht deshalb erneut mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde hatte mit einem Beihilfe-Verfahren so lange Druck auf die deutsche Medienpolitik ausgeübt, bis es zu einer strengeren Regulierung kam. Die inzwischen für ARD und ZDF per Drei-Stufen-Test verabschiedeten Telemedienkonzepte haben das öffentlich-rechtliche Online-Angebot deutlich reduziert – teilweise, so rechneten die Intendanten vor, um bis zu achtzig Prozent. „Mit den Apps werden keine neuen Angebote geschaffen, sondern wird lediglich deren Auffindbarkeit auf iPhones und vergleichbaren Geräten erleichtert“, warnt Werneke davor, öffentlich-rechtliche Anbieter nicht an neuen technologischen Plattformen partizipieren zu lassen.

Freund und Feind zugleich

Vor allem moderne Tablet-PCs wie Apples iPad, die ähnlich wie die Zeitung überall mit hin genommen werden können, ermöglichen es den Verlagen, in Online-Magazine auch Bewegtbilder zu integrieren (siehe Seite 11). Auf den flachen Touchscreens nähern sich die Medien Print und TV noch weiter an. Erneute Konflikte zwischen Zeitungsverlegern und öffentlich-rechtlichen Programmanbietern sind also vorprogrammiert. Entscheidender aber wird es für die Printbranche sein, sich gegen die Global Player und deren integrierte Wertschöpfungsketten im Internet durchzusetzen. Erst konnte sich Google als mächtiger Gegenspieler etablieren, inzwischen drohen auch Apple oder Facebook zu wichtigen Agenten im Netz zu werden.
„Die tatsächlichen Herausforderungen für die Verlage und Medienkonzerne liegen im Wettbewerb mit den Netzkonzernen selbst, die zu Inhalteanbietern und damit Medienunternehmen werden“, prognostiziert Werneke. Facebook und Google sind für die Verlage Freund und Feind zugleich. Einerseits führen Suchmaschinen und Netzwerke Nutzer zu einzelnen Internetseiten von Zeitungshäusern, andererseits machen sie ihnen aber auch Reichweiten und Werbeeinnahmen streitig, ohne dafür eigene Inhalte produzieren zu müssen. Im Englischen wurde dafür der Begriff „Frenemy“ (als Mischung aus Friend und Enemy) geprägt.

Digitaler Kiosk

Deutschlands Zeitungshäuser müssen sich an ein neues Zeitalter des elektronischen Publizierens gewöhnen. Einerseits lassen sich im Internet Kosten für Druck und Vertrieb sparen, andererseits tauchen ganz neue Wettbewerber auf. Galten aktuelle Printmedien mindestens zwei Jahrhunderte lang als unverzichtbarer Intermediär, also Mittler, zwischen Journalisten und Publikum, kann diese Funktion im World Wide Web auch von Plattformen wie dem AppStore übernommen werden. Apple hat dabei entscheidende Vorteile: Das Unternehmen verfügt bereits über ein Online-Abrechnungssystem, erhält wertvolle Kundendaten, hat kaum Kosten, muss aber an den Einnahmen beteiligt werden.
Mittlerweile müht sich die Verlagsbranche darum, für das Geschäft mit dem mobilen Internet eigene Online-Kioske zu etablieren. Anfang Oktober starteten Bertelsmann und der Deutsche Presse-Vertrieb (DPV) den Dienst Pubbles. Das verlagsübergreifende Angebot soll allen Verlegern offen stehen und Inhalte sowohl für stationäre Online-PCs als auch für mobile Endgeräte offerieren. Noch aber ist das Sortiment gering. Drei Wochen nach der Eröffnung des virtuellen Kiosks konnten Zeitungsleser komplett nur auf das Handelsblatt (2,10 Euro), die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (1,20) und den Nordkurier (1,10 Euro) zugreifen. Damit die Online-Versionen den gedruckten Ausgaben nicht den Rang ablaufen, entsprechen alle Pubbles-Preise denen, die auch im Einzelhandel beim Erwerb der Papierversionen gezahlt werden müssen. Andernfalls, so fürchten die Verlage, könnten die digitalen Versionen die eigenen Printausgaben kannibalisieren.
Alle Pubbles-Exemplare beschränken sich auf reine PDF-Kopien der Originalzeitungen. Zusätzliche Multimedia-Elemente suchen die Kunden vergebens, so dass sich der Mehrwert für die Verbraucher in Grenzen hält, während die Verlage Druck- und Vertriebskosten sparen. Auf die Dauer werden solche Strategien nicht ausreichen, um sich gegen die Konkurrenz weiterer Online-Kioske durchzusetzen. In den USA, wo auch Amazon elektronische Zeitungsabonnements vertreibt, verhandelt Apple derzeit mit wichtigen Verlagen, um multimediale Zeitungsausgaben voranzubringen. Es geht um Software-Lösungen und Abrechnungsmodelle. Die Deutsche Telekom und Vodafone bereiten ähnliche Projekte vor.

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