Die Ausbildung im Bühnenservice läuft – nur eben anders als sonst
Fünf Wochen Shutdown. So wird dieser Corona-Frühling auch in die Biografien der Auszubildenden des Bühnenservice Berlin eingehen. Der Theaterdienstleister unter dem Dach der hauptstädtischen Opernstiftung ist der größte Ausbildungsbetrieb in der Berliner Kulturbranche. Was bedeutet der Ausfall für die angehenden Fachkräfte für Kostüm- und Requisitenfertigung oder Bühnenbildproduktion? Wir fragten vor Ort nach.
Drei sind ausgebremst. In der Montagehalle bauen sie an einer riesigen Dekorationswand für eine Neuinszenierung an der Deutschen Staatsoper. „Neun Meter hoch und zwei Meter breit. Die Wand soll irgendwie einschweben“, wissen sie. Doch gerade fehlt eine Lösung. Und der Mann, der entscheiden müsste, ist wegen Kurzarbeit nicht in der Werkstatt. So muss der Bau pausieren. Wilfried Klingbeil und seine Azubi-Kollegen aus dem zweiten Lehrjahr werkeln deshalb an ihren Hobelbänken, füllen Berichtshefte aus, lesen in Arbeitsmaterialien. In die Berufsschule sollen sie erst Ende Juni wieder. Ob die anstehende Zwischenprüfung abgenommen wird, ist noch unklar. „Dafür können wir ja jetzt hier genug üben“, sagt Wilfried. „Zeit zum Lernen bekommen wir auch.“
Ein hölzerner Werkstattbock, vielfältig zu gebrauchen, sei „ein Knaller zum Bauen“ für angehende Tischler – wegen der vielen schrägen Teile. Heute hat Lehrausbilder Ronny Krause dazu eine seiner Lieblingsaufgaben gestellt: Die Winkel an der Diagonalschräge ermitteln. Knifflige Sache. Nur einmal bisher sei ein Azubi ganz allein auf die Lösung gekommen. „Die drei knobeln noch“, meint Krause mit Blick auf die Auszubildenden des ersten Lehrjahres. „Wir klären das dann gemeinsam.“
Krause, der die Lehrwerkstatt leitet, ist ein exzellenter Fachmann und hat ein gutes Händchen bei der Auswahl seiner Azubis. 230 Bewerbungen sichtet er aktuell für drei Ausbildungsplätze ab Herbst. „Wir nehmen nicht nur Abiturienten. Warum soll jemand mit Hauptschulabschluss kein guter Tischler werden?“ Motivation und handwerkliches Geschick seien das Wichtigste. Gut, einen Blick auf die Noten wirft der Ausbilder natürlich auch. Bestergebnisse bei Prüfungen und Preise bei Berufswettbewerben geben ihm Recht.
Mit dem Niveau seines ersten Lehrjahres ist er erneut sehr zufrieden. Hier geht es zunächst um handwerkliche Techniken, Maschinen kommen später zum Einsatz. Im Lehrprogramm seien sie bisher so gut vorangekommen, dass sie den Ausfall im März und April, der durch die coronabedingte Schließung des Bühnenservice entstanden ist, „ganz sicher kompensieren“ können. Auch Svenja Haarmann-Thiemann, Camilla Schlief und Alexander Stuker sind, was die handwerkliche Seite angeht, optimistisch. Die Praxis sei „nicht das Ding“. Bedenklicher stimmt sie der Unterrichtsausfall in der Berufsschule. „Jein“, heißt es auf die Frage, ob sie zwischenzeitlich Aufgaben bekommen hätten. Theorie-Unterweisungen seien Ausbilder Krause überantwortet worden. Mit den digitalen Möglichkeiten hapere es in der Berufsschule eher noch.
Abteilungsleiter Jörg Wiedemann von der Max-Bill-Schule, dem Berliner Oberstufenzentrum Planen, Bauen, Gestalten, will das bei späterer Nachfrage so nicht gelten lassen. Er verweist auf die Plattform „Lernraum Berlin“, wo Lehrmaterialien eingestellt und Aufgaben auch kontrolliert würden. Doch sei „die Situation für alle neu“ gewesen, 30 Prozent der Lehrer zählten zur Risikogruppe. Man konzentriere sich auf die Abschlussjahrgänge, schon bei den Tischlern an die 200 Azubis. Solange die Berufsschulpflicht ausgesetzt sei, liege die Verantwortung bei den Ausbildungsbetrieben. Doch im Mai habe man Möglichkeiten digitaler Fernbeschulung so richtig ausgetestet. Flächendeckend eingeführt werden soll Unterricht an Computern nach den Sommerferien. Erst dann kommen auch die Azubis des jetzigen ersten Lehrjahres wieder zum Präsenzunterricht an der Schule.
Anfang Mai sind zumindest die Abschlussjahrgänge dorthin zurückgerufen worden. Prüfungsvorbereitung steht an. Vom Bühnenservice betrifft das, nachdem seine zwei Jahrgangskolleginnen vorzeitig ausgelernt haben, nur noch Jonathan Hilliger. Der JAV-Vorsitzende der Stiftung Oper in Berlin weiß über den Stand bei den anderen Auszubildenden im Bühnenservice genau Bescheid. Ihm selbst bringe die Schule momentan „richtig viel“. Mit 1,50 m Abstand und neun Schüler*innen im Klassenraum macht er sich für seine Prüfungen fit. Die Termine im Juni stehen fest. Sein Gesellenstück, einen ausziehbaren Tisch, muss er bis Anfang August fertig haben …
Mit etwas „Sinnvollem“ wurde in der Kostümabteilung die Zwangspause ab Mitte März überbrückt: Wie alle anderen Beschäftigten sind die Azubis auf „mobiles Arbeiten“ umgestiegen und haben auf heimischen Maschinen Masken genäht. Den Prototyp in verschiedenen Varianten zeigt Ausbilderin Monika Krenz. Die Gewandmeisterinnen hätten vor Ort zugeschnitten, die „Näher*innen“, unter die sich auch die Schuhmacher mischten, holten sich Material ab oder bekamen es über einen Shuttle zugeliefert. Fertige Teile kamen zurück. 20.000 Masken entstanden so, die vorwiegend an Alters- und Pflegeheime, Krankenhäuser, Arztpraxen, aber auch in die Berliner Verwaltung gegangen seien. „Zuletzt haben wir 1.800 Stück an die Zentral- und Landesbibliothek geliefert, als die Häuser wieder öffnen durften“, erklärt Geschäftsführer Rolf D. Suhl.
Da Anproben in der Kostümschneiderei bis auf weiteres nicht möglich sein werden, wolle man leerstehende Flächen nutzen, die Arbeitsplätze der Auszubildenden mit Abstandsgebot weiter räumlich zu entzerren. Mehr angehende Damen- und Herrenschneider*innen könnten so zeitgleich wieder an ihren Ausbildungsplatz zurück.
Noch wird rolliert. Die zwei Damen- und zwei Herrenschneider-Azubis des zweiten Lehrjahres üben gerade an Teilen, die für ihre zunächst ausgefallene Zwischenprüfung auf dem Programm stehen. Bei den Herren kann das rechte Bein einer Hose vorgearbeitet werden. Das linke ist dann mit Zeitlimit in der Prüfung zu nähen. Nico Vanni hat die Taschen für seine graue Übungshose fertig und kümmert sich nun um eine Leineneinlage im Bund. Wie seine Jahrgangskollegin Elisabeth Riele investiert er zusätzlich Zeit für die Theorie. Aus dem Oberstufenzentrum Mode kommen Aufgaben: „Für Stoffkunde legen wir gerade ein Stoff-Lexikon an.“ Elisabeth fürchtet keine großen Ausfälle. Sie ist „sehr glücklich“ über ihren Ausbildungsplatz und den hohen Standard. Melissa Roxanne Hebold als angehende Damenschneiderin wird bei der Zwischenprüfung einen Rock mit Taschen und Schlitz anfertigen müssen, soviel ist inzwischen klar. Ihr gefällt in ihrem Metier ein „noch größeres Spektrum“ an gestalterischen Möglichkeiten, vor allem durch Schmucktechniken.
Die werden auch beim Gesellenstück der Azubis aus dem 3. Lehrjahr gefragt sein, wenn es um die Gestaltung eines kompletten „Ensembles“ geht. Die Herrenschneider*innen fertigen dagegen ein Sakko. Ausbilderin Karin Krenz fürchtet für den aktuellen Abschlussjahrgang keine ernsthaften Lücken. Auch das Oberstufenzentrum sei sehr aktiv – „sogar mit Videokonferenzen“. Ein Foto, das die Akteure des dritten Lehrjahres maskentragend bei einer solchen Unterrichtseinheit zeigt, hat sie auf dem Handy. In ihren 40 Dienstjahren an der Staatsoper und beim Bühnenservice gab es so etwas schließlich noch nie.
Seit 22. April sind auch die Auszubildenden in der Schuhmacherei, die angehenden Bühnenmaler und -plastiker, wieder zurück in den Werkstätten. Für sie gilt keine Kurzarbeit. Für die nichtkünstlerischen Beschäftigten des Bühnenservice und der gesamten Stiftung Oper in Berlin dagegen schon. Mit ver.di wurde ein Covid-19-Tarifvertrag vereinbart, der unter anderem das Kurzarbeitergelt auf 100 Prozent aufstockt.
Er sei froh, dass mit einem entsprechenden Hygiene- und Sicherheitskonzept ab 11. Mai zunächst der Betrieb in der Tischlerei und den gesamten Dekorationswerkstätten wieder hochgefahren werden konnte. „Alles, was wir nun für künftige Premieren vorproduzieren, wird zunächst eingelagert“, erläutert Bühnenservice-Geschäftsführer Suhl. „Wir haben immer sehr intensiv ausgebildet, auch um die theaterspezifische Qualifikation und das Know-how zu sichern.“ Die Ausbildungsplätze seien einmalig und begehrt, speziell im handwerklichen Bereich. 30 Auszubildende gibt es im Bühnenservice aktuell, im Stiftungsdach fast nochmal so viele. Dort werden vorrangig Kaufleute für Büromanagement und Fachkräfte für Veranstaltungsmanagement ausgebildet. Es sei „immer wieder toll, wie viel die jungen Leute lernen. Sie bringen auch Munterkeit und Dynamik ins Haus.“, Man könne so gut wie allen Ausgelernten eine Übernahme anbieten – teilweise befristet. Das dürfte so bleiben, „mittelfristig gibt es Personalbedarf“, so der Geschäftsführer.
Kontinuität sei für das kommende Ausbildungsjahr 2020/21 beschlossen worden, auch wenn noch offen ist, ob die bisherige hälftige Förderung der Azubi-Entgelte aus dem solidarischen Finanzausgleich des Berliner Senats fortgeführt wird. Dafür hat sich auch der Personalrat bei der Finanzverwaltung stark gemacht. „Wir wollen den gegenwärtigen Umfang und das Niveau der Ausbildung unbedingt halten“, so das für die Jugendvertretung zuständige Personalratsmitglied Klaus Grunow.
Bühnenservice der Stiftung Oper in Berlin, Lehrwerkstatt für Damen- und Herrenmaßschneider*innen.
Elisabeth (vorn) und Nico nähen Herrenhosen auf Probe für die Zwischenprüfung.