Ausgebrannt

Vieles spricht dafür, dass auch in der Medienbranche immer mehr Menschen vom Burn-out-Syndrom betroffen sind. Das hat viel mit dem Wandel der Berufe zu tun. Mit der Veränderung von Redaktionswelten, dem immer größer werdenden Arbeitsdruck, sinkenden Honoraren und Einkommen und wachsender Arbeitsunzufriedenheit. Psychische Faktoren schlagen durch, wenn die vermeintlich Furchtlosen Angst bekommen und den Anforderungen im Beruf nicht mehr gewachsen sind. Rund zehn Prozent aller Ausfalltage in der deutschen Wirtschaft entstehen inzwischen durch seelische Belastungen. EU-Schätzungen zufolge werden in knapp 15 Jahren psychische Erkrankungen in Industriestaaten Platz zwei in der Liste der häufigsten Ursachen für Fehltage einnehmen. Ein Thema mit Zukunft also.

Gesundheit und Wohlbefinden, Belastbarkeit und Ausgeglichenheit sind wesentliche Voraussetzungen für Qualitätsjournalismus. Das klingt wie eine Binsenweisheit, die allerdings bei vielen Entscheidern in der Medienbranche nicht bekannt zu sein scheint. Der Arbeitsalltag eines großen Teils der Medienschaffenden ist von Termindruck, Überstunden, Überforderungssituationen, undurchsichtigen Hierarchien, Stress, mangelnder Anerkennung, Verdichtung von Arbeitsabläufen, Abbau von Mitspracherechten und Lohn-Dumping gekennzeichnet. Freie Journalisten jobben nebenbei in Büros, Kneipen, Tankstellen. AlG-II-Empfänger aus der Branche versuchen sich als 1-Euro-Schreiber.
2007 suchte der LandesjournalistInnentag Baden-Württemberg nach Antworten auf die Frage, wie man der wachsenden Zahl von stresskranken Medienschaffenden begegnen könne. Widerwille oder Gleichgültigkeit als bestimmendes Lebensgefühl, extremer Zynismus, ständige Gereiztheit oder Müdigkeit – dies alles seien ernstzunehmende Symptome, die für ein fortgeschrittenes Burn-out-Syndrom sprechen, erklärte die Diplom-Psychologin Dr. Petra Schuhler während der Veranstaltung.

Der 7. Oktober 2008 wurde von Gewerkschaften als weltweiter Aktionstag für menschenwürdige Arbeit ausgerufen. Damals konstatierte der DGB-Vorsitzende des Bezirkes Berlin-Brandenburg, Dieter Scholz, dass sich laut DGB-Index „Gute Arbeit“ 48 Prozent der Beschäftigten leer und ausgebrannt fühlten.
ver.di rief die arbeitszeitpolitische Initiative „Gesund arbeiten – Gut leben“ aus, um der Arbeit wieder ein gesundes Maß zu geben. Das ver.di Bildungswerk Hessen bietet inzwischen regelmäßig eine offene Sprechstunde zum Thema „Mobbing und Burnout“ im Chat an (siehe Infokasten).
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Landesämter für Gesundheit, Fachverbände, Krankenkassen, Vereine stellen Dossiers, Leitsätze und Hilfestellungen online für Menschen, die ihre Arbeit nicht mehr bewältigen, weil der psychische Druck zu groß geworden ist.

Ein Paradoxon

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Mitnichten. Das meiste steht erst auf Anfang. Im September 2005 reichte Judith Pfeuffer an der Katholischen Universität Eichstätt im Studiengang Journalistik eine Diplomarbeit mit dem Titel „Macht der Journalistenberuf krank?“ ein. Der Arbeit lag eine Untersuchung zugrunde, die sich auf die Befragung von dju-Mitgliedern in München im Bereich Presse stützt. Etwa ein Fünftel der Befragten, die den Fragebogen ausgefüllt zurückgeschickt hatten, leidet, so ein Ergebnis der Studie, unter hohem Burnout. Nur die Hälfte der Befragten gab an, noch eine Trennung zwischen Berufs- und Privatleben aufrecht erhalten zu können. Frauen und Freiberuflerinnen und -berufler hatten die höchsten Burnout-Werte. Eine Krankheit, die einmal ausschließlich sogenannten helfenden Berufen „vorbehalten“ war, hat offensichtlich in der Medienbranche Fuß gefasst. Dies zu konstatieren ist das eine. Verschwiegen werden darf nicht: Judith Pfeuffers Studie ergab auch, dass 78 Prozent der Befragten ihren Beruf wieder ergreifen würden, weil sie ihn gern ausüben und interessant finden. Klingt nach einem Paradoxon.
Schon vor vielen Jahren belegten Studien und Untersuchungen, dass Journalisten die hohen Arbeitsbelastungen und den damit verbundenen schnellen Verschleiß psychischer und physischer Kräfte sublimieren, indem sie Stress geradezu zur Aura ihres Berufes stilisieren. Das ist auch heute noch so. Jürgen Leinemann hat es in seinem Buch „Höhenrausch“ eindrucksvoll beschrieben. Hinzu kommt, erklärt Judith Pfeuffer in ihrer Arbeit: „Journalisten sind oft ehrgeizig und erfolgsorientiert, engagieren sich stark, sind nervös und unruhig.“ Sie gehörten somit häufig zur sogenannten Typ-A-Persönlichkeit, die durch Leistungsstreben, Konkurrenzdenken, Ungeduld, Perfektionismus, großes Verantwortungsbewusstsein, Hektik, Aggressionsbereitschaft und starke Zielorientiertheit geprägt ist. Höchste Suchtgefährdung: Arbeitssucht. Zu den inneren Bedingungen kommen dann – beispielsweise für freie Journalisten – härter werdende äußere Konditionen des Arbeitens. Tatsächlich geleistete Arbeit wird nicht bezahlt, viele Freie haben keine Altersvorsorge, die Wochenarbeitszeiten steigen.
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ergab schon vor Jahren, dass 24 Prozent der Freelancer zwischen 60 und 100 Stunden pro Woche arbeiten. Ein wachsender Teil dieser Zeit muss für die Akquise neuer Aufträge verwendet werden, was erst einmal keinen Cent Honorar erbringt. Judith Pfeuffer zitiert in ihrer Arbeit das Schreiben einer Journalistin, die den Fragebogen beantwortet hatte: „Es gibt Tausende von arbeitslosen Journalisten, die alle um Aufträge kämpfen. (…) Es geht ums nackte Überleben. Meine Kollegen und ich sind nicht mehr durch zu viel Arbeit und zu enge Termine gestresst, sondern dadurch, dass es zu wenige Aufträge gibt und dass die Honorare nicht zum Leben reichen. (…) Dass die Zeiten für Menschen, die mit Schreiben ihren Lebensunterhalt verdienen, mal so schlecht werden würden, hätte niemand geahnt.“
Burnout ist zwar der Höhepunkt eines langen Leidensweges, aber natürlich gibt es sowohl Möglichkeiten der Vorbeugung, als auch Wege aus der Krise (siehe Interview mit Bernd Sprenger).

Hilfe annehmen

Institutionelle Rahmenbedingungen ändern sich meist – wenn überhaupt – nur langsam. Und oft leider auch noch hin zum Schlechteren. Also ist der erfolgversprechende Weg, mit sich und an sich zu arbeiten. Heißt: Hilfe rufen, Hilfe suchen, Hilfe annehmen.
Eine Möglichkeit ist die Supervision. Die Zahl der Angebote in diesem Bereich wächst und es ist nicht einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Supervisionsprozesse brauchen Zeit, kosten Geld und helfen, sich über seine Situation klar zu werden und im besten Fall überzogene Anspruchsorientierung durch neuen Bezug zu den eigenen Bedürfnissen zu ersetzen. Gute Supervisoren schaffen es, institutionelle Bedingungen und individuelle Faktoren für Burnout zu verbinden und Hilfestellungen zu geben, aus der Krise zu kommen.
Work-Life-Balance versucht, vier Lebensbereiche im biografischen Kontext auszubalancieren: Arbeit und Leistung, Kontakt, Freunde und Familie, Körper und Gesundheit, Sinn, Lernen und Wertebezug. Das Eine wie das Andere kann vor allem in jenen Phasen nützlich sein, da das Burn-out-Syndrom noch nicht voll ausgebildet ist.
Wer unter dem Syndrom leidet braucht fast immer, da sind sich Fachleute einig, therapeutische Hilfe und es bedarf oft eines stationären Aufenthalts. Spezialisiert sind hier unter anderen die Oberberg-Kliniken. Selbsttests im Internet, mit deren Hilfe man herausfinden kann, ob eine Burnout-Gefährdung vorliegt, gibt es in unterschiedlichster Güte. Viele sind unzulänglich. Empfohlen werden kann: www.swissburnout.ch/Selbsttest?lang=de.
Wer allerdings im Internet nach einem Test sucht, um zu überprüfen, inwieweit er bereits Kriterien für ein beginnendes oder voll ausgebildetes Burn-out-Syndrom erfüllt, hat den Weg der Selbsterkenntnis bereits beschritten. Und der ist bekanntlich bereits Teil der Lösung.

Stress-Syndrom: to burn out

Unter Burnout (engl: to burn out – ausbrennen) verstand man ursprünglich ein Stress-Syndrom der helfenden Berufe. 1974 beschrieb der US-amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger das Burn-out-Syndrom und dachte dabei vor allem an Sozialarbeiter, ehrenamtliche Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Ärzte. Freudenberger unterteilte den Prozess der Erkrankung in zwölf Phasen. Die müssen nicht alle und nicht in der beschriebenen Reihenfolge ablaufen, auch die Dauer der einzelnen Phasen variiert. Der klassische Ablauf nach Freudenberger sieht so aus:

  1. Der Zwang sich selbst zu prüfen,
  2. härter arbeiten,
  3. Verleugnung eigener Bedürfnisse,
  4. Verdrängung von Konflikten,
  5. Korrektur von Werten,
  6. Verleugnung auftauchender Probleme,
  7. Rückzug und Reduzierung der Sozialkontakte,
  8. offensichtliche Verhaltensänderungen,
  9. Persönlichkeitsverlust,
  10. innere Leere,
  11. Depression,
  12. vollendetes Burn-out-Syndrom.

(basierend auf einem Artikel im US-amerikanischen Wissenschaftsmagazin „Scientific American Mind 2006)

 

Links

Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Initiative Qualität der Arbeit
Deutscher Gewerkschaftsbund DGB

ver.di
https://www.verdi.de/themen/arbeit/gute-arbeit

Burnout-Beratung Hessisches Bildungswerk
http://mobbing-und-burnout.sozialnetz.de/

Klinik
www.oberbergkliniken.de

Literatur

Fabach, Sabine: „Burn-out. Wenn Frauen über ihre Grenzen gehen“, Orell Füssli, Zürich 2007
Ruhwandl, Dagmar: „Erfolgreich ohne auszubrennen“, Klett Cotta, Stuttgart 2007
Schröder, Jörg-Peter: „Wege aus dem Burnout“, Cornelsen, Berlin 2006
Unger, Hans-Peter, Kleinschmidt, Carola: „Bevor der Job krank macht“, Kösel

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