Balance halten im Arbeitsalltag

„Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere“ – eine Leseprobe

Als ich vor über zehn Jahren das erste Mal über Väter schrieb, habe ich viele männliche Journalistenkollegen irritiert. Einige wussten, dass ich ein kleines Kind hatte und mir die elterlichen Aufgaben mit meiner Partnerin teilte – aber was sollte das mit den Inhalten meines Berufes zu tun haben? Schließlich hatte ich mich in Zeitungen und im Radio doch stets mit den „hard facts“, den harten Fakten beschäftigt – und die „weichen Weiberthemen“, wie sie auf den Redaktionsfluren abschätzig hießen, meistens anderen überlassen. „In Ihrem Buch geht es doch um Arbeitszeitmodelle, nicht wahr?“, fragte mich einer meiner Auftraggeber damals wohlwollend – und in der Gewissheit, dass es sicher auch diesmal richtig schön sachlich zugehen würde. Politik und Wirtschaft, damit kannte ich mich doch aus!


Als das Buch dann erschienen war, wuchs die Irritation noch. Denn was es da zu lesen gab, drehte sich bestenfalls am Rande um Arbeitszeitmodelle. Statt dessen ging es um das ganze Leben, um die männliche Identität, um Beziehungsprobleme, um väterliche Gefühle zu kleinen Säuglingen – nichts also, was schnell und einfach „in den Griff“ zu kriegen war. In der Wahrnehmung weniger wohlwollender Kollegen war ich gar beim „Gedöns“ gelandet – und hatte mich damit angreifbar gemacht. Denn in meinem Berufsfeld finden es Männer (und erst recht Karrierefrauen) furchtbar peinlich, die scheinbar „privaten“ Themen ins Blatt oder Programm zu hieven. Mit Familie kann man doch in den wichtigen Ressorts nicht punkten! So was gehört in randständige Rubriken wie „Panorama“ oder „Buntes und Vermischtes“, bleibt der sprichwörtlichen „Sozialtante“ vorbehalten. An der eigenen Biografie entlang recherchieren, wie es die Journalisten despektierlich nennen: Das tun doch nur Mütter, die ihren Job nicht mehr richtig ernst nehmen!
Ich muss den KollegInnen zu Gute halten, dass das Thema „Väter“ damals in der Öffentlichkeit vollkommen unterbelichtet war. Weder in den Medien noch in der Politik – und schon gar nicht in den Unternehmen – spielte es eine nennenswerte Rolle. In den neunziger Jahren war es in Deutschland unvorstellbar, dass eine christdemokratische Ministerin die väterliche Rolle in der Familie mit gut bezahlten und exklusiven „Papamonaten“ unterstützte. Unter Wissenschaftlern und betrieblichen Entscheidungsträgern fehlte so gut wie jede Debatte darüber, dass auch Männer ein „Vereinbarkeitsproblem“ haben könnten. Es gab keine Titelgeschichten in der Wirtschaftspresse, die beschrieben, wie sich Führungskräfte „zwischen Kind und Karriere aufreiben“ (Manager Magazin). Und politische Wochenmagazine stellten nicht die Frage „Bin ich ein guter Vater?“ oder gaben gar „Anleitungen für gestresste Männer“, die feststeckten „zwischen Zeitnot, Job und Familie“ (Focus).
Mit der Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf schlugen sich dem Anschein nach nur Frauen herum, und die damit verbundenen Schwierigkeiten hatten am Arbeitsplatz nichts zu suchen. Berufsorientierte Mütter unternahmen alles, um ihre Kinder weitgehend unsichtbar zu machen. Und die Väter? Die meisten spürten offenbar keinen Leidensdruck, zumindest ließen sie sich nichts anmerken. Sprach man sie direkt auf das Thema Familie an, drucksten sie herum, bis sie leicht verschämt zugaben, dass eigentlich ihre Frau alles für sie regle. Männer, die ihre privaten Interessen und Verpflichtungen nicht verleugneten, diese sogar offensiv und fordernd im betrieblichen Alltag benannten, waren eine kleine Minderheit. Und an ihrem Arbeitsplatz machten sie sich damit wenig Freunde; sie galten als Exoten, als störende Ketzer.

Irritation und Empörung

Als ich Vater wurde, war ich bereits in die Selbstständigkeit gewechselt und damit nicht mehr „weisungsgebunden“. Abhängigkeiten und Reibereien gab es trotzdem. Meine erste berufliche Erfahrung als „freier Journalist mit Kind“ machte ich wenige Monate nach der Geburt meiner Tochter. Ich sollte einen nicht tagesaktuellen Beitrag mit Originaltönen für einen Hörfunksender produzieren. Reine Routine, ich schrieb also das kurze Stück und sendete es an die Redaktion. Mein Auftraggeber, ein junger Kollege mit Zeitvertrag, hatte abgesehen von den üblichen Kleinigkeiten inhaltlich nichts auszusetzen. „Kommen Sie doch rüber und sagen Sie das gleich auf, ich will das morgen früh senden“, teilte er mir telefonisch mit. Auch das eigentlich normale Routine. Nur: Für die Väter von Kleinkindern ist eben vieles nicht normal.
Der Anruf des Redakteurs erreichte mich um zwei Uhr mittags in meinem Journalistenbüro, einem gemeinschaftlichen Zusammenschluss von Freiberuflern. Die Kinderlosen unter meinen KollegInnen waren gerade zum Mittagessen in unser Stammlokal um die Ecke verschwunden. Ich war auch im Aufbruch, aus anderem Grund: Um halb drei wartete zu Hause die Tagesmutter auf Ablösung. Da mein Radiobericht nicht brennend aktuell war, sagte ich den Aufnahmetermin für heute ab. Ich begründete das mit meinen Familienaufgaben – und löste mehr als Irritation, nämlich Empörung aus. Die war so groß, dass der Redakteur mein Verhalten zum Thema einer Abteilungskonferenz machte. Dort allerdings stießen die Beschwerden zu seiner Überraschung auf Widerspruch – der Frauen sowieso, aber auch einiger Männer. Die kannten mich, den angeblichen Arbeitsverweigerer, und schätzten die langjährige Zusammenarbeit.
Eine Geschichte mit glücklichem Ende also, die ermutigend, aber leider nicht typisch ist. Allzu oft musste ich ihn üben, den Spagat zwischen Kind und Karriere. Im Ballett ist das bekanntlich eine Körperhaltung, bei der die in entgegengesetzter Richtung gespreizten Beine eine Linie bilden. Wie soll das funktionieren im alltäglichen Chaos? Wenn ein wichtiger Termin ansteht, das Team der Tagesstätte aber am selben Tag Betriebsausflug macht oder sich eine Fortbildung gönnt? Von dem in Kindergartengruppen und Schulklassen regelmäßig ausgerufenen Läusealarm oder von plötzlich ausbrechenden Infektionen ganz zu schweigen? Das Ergebnis war stets das gleiche: Entweder Mama oder Papa blieben zu Hause. Wir versuchten uns abzuwechseln, doch die zeitliche Beweglichkeit des Vaters war größer als die der Mutter, die fast jeden Tag gut fünfzig Kilometer pro Strecke zu ihrer festen Stelle pendelte.

Memory statt Artikel schreiben

So war ich es dann häufig, der malte oder Memory spielte, statt den dringenden Artikel weiterzuschreiben. Auch der Termin morgens beim Kinderarzt, die Theateraufführung, die aus unerfindlichen Gründen in der Mittagszeit stattzufinden hatte, oder der Fahrdienst zur Reitstunde am Nachmittag blieben mir auf diese Weise meist überlassen. Von den manchmal unerfreulichen Arztbesuchen abgesehen, habe ich das meiste gerne getan. Mensch-ärgere-dich-nicht, Mühle, Malefiz & Co. können aber auf Dauer ziemlich langweilig werden. Und wenn dann endlich der lange erwartete Anruf eines vielbeschäftigten Experten kam, den ich für meine nächste Reportage unbedingt zitieren wollte, quengelte meine Tochter lautstark im Hintergrund, weil gerade ihr roter Lieblingsstift abgebrochen war. Am anderen Ende der Leitung klang das nicht gerade professionell.
Im Gegensatz zu Frauen haben Männer in vielen Situationen die Chance, mit ihrer Vaterschaft zu kokettieren. Demonstrativ nehmen sie ihr Notebook mit, wenn sie einen Vormittag im Wartezimmer des Kinderarztes verbringen. Sie sitzen mit dem Handy auf dem Spielplatz und geben das in den dort geführten beruflichen Gesprächen sogar offen zu. Bei weiblichen Kolleginnen kommt die Sandkasten-Nummer manchmal gut an. Wenn sich dagegen Mütter ähnlich verhalten, sehen sie sich schnell dem Verdacht ausgesetzt, sie praktizierten einen ineffektiven und kaum ernst zu nehmenden Bettkanten-Journalismus. Besonders pikant wird dieser Vorwurf, wenn er aus dem Mund von Männern kommt, die sich den täglichen Balanceakt zwischen Kind und Karriere mit Hilfe einer nicht erwerbstätigen Hausfrau vom Leib halten.
Vorgesetzte und Auftraggeber schätzen ihre Mitarbeiter, wenn diese mobil und flexibel sind. Eltern sind weder mobil noch flexibel, aber dafür gute Logistiker. Sie sind auch mal bereit, zu ungewöhnlichen Zeiten einzuspringen. Doch weil der Nachwuchs den Stundenplan diktiert oder zumindest mitprägt, stehen sie nicht beliebig zur Verfügung. Die Mischung aus festen Planungsanforderungen im Beruf und familiärem Durcheinander führt zu einem engen Tageskorsett, das einschnürt – und ein schlechtes Gewissen aufgrund liegen gebliebener Arbeit hinterlässt. Für mich als Hörfunkautor konnte es unangenehm werden, im Sender anzurufen und den Wunsch zu äußern, ich bräuchte zwar ganz dringend einen Studiotermin, es ginge aber leider nur zwischen 9 und 14 Uhr. Nicht jede Disponentin hat Verständnis dafür, dass ihr (männlicher!) Gesprächspartner ein Kind zur Schule bringen muss und allerspätestens um 15 Uhr die Übermittagbetreuung endet. Auf die gut gemeinten Vorschläge, dann doch abends oder am Wochenende zu erscheinen, habe ich bei Gelegenheit zurückgegriffen – sie hinterließen aber auch das (vielen Selbstständigen geläufige) Gefühl, eigentlich nie Feierabend zu haben
In den Medienberufen – und selbstverständlich auch anderswo – existieren Abläufe und Zwänge, die schlicht und einfach kinderfeindlich sind. Wer Beruf und Familie täglich unter einen Hut kriegen will, sollte zum Beispiel lieber darauf verzichten, Fernsehbeiträge zu produzieren. Kinder brauchen ihre Eltern regelmäßig, nicht im Schichtbetrieb. Eine Woche Dreh in Jottwehdeh, eine Woche von morgens bis abends im Schneideraum, dann eine Woche nichts zu tun: Diese aufreibend-aufregende Arbeits- und Lebensweise mag dem ungebundenen Jungfilmer gefallen; für Leute, die von ihren Kindern im Alltag etwas mitbekommen wollen, ist sie eher ungeeignet.
Sich das eigene Pensum frei einteilen zu können, wenn auch in den von beruflichen Gegebenheiten gesetzten Grenzen, ist ein großes Privileg in einer immer noch von Anwesenheitspflicht und Zeitdisziplin bestimmten Arbeitswelt. Etablierte Freiberufler, falls sie sich nicht gerade im aktuellen Nachrichtengeschäft tummeln, haben in der Regel mehr Spielraum als Festangestellte, die manchmal zu Recht klagen, dass sie ihre Kinder fast nur noch am Wochenende sehen. Die Arbeitszeiten etwa von Tageszeitungsredakteuren dehnen sich häufig in die Abendstunden aus und kollidieren so mit der „Familien-Kernzeit“ zwischen 17 und 21 Uhr. Auch viele Hörfunk- und Fernsehkollegen sind in starre Pläne eingebunden: Die eigene Sendezeit passt dummerweise überhaupt nicht zu den Öffnungszeiten der Kindertagesstätte.
Reduzierte Stellen, die nicht automatisch einen Abstieg in der Hierarchie bedeuten, sind in meinem Berufsfeld bisher die große Ausnahme. Engagierte Zeitpionierinnen haben in Verlagen, Funk- oder Zeitungshäusern unkonventionelle Modelle durchgesetzt – etwa, indem sich drei Mitarbeiterinnen zwei Stellen teilen. Die rein weibliche Schreibweise ist an dieser Stelle Absicht: Erst der wachsende Frauenanteil in den Medien hat dazu geführt, dass die Herren in den Personalabteilungen das Thema Familie nicht mehr einfach ignorieren können. Journalistinnen, die nach Schwangerschaft und Elternzeit an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, müssen allerdings damit rechnen, dass dieser anders aussieht. Denn die Branche ist schnelllebig: Sendereihen werden eingestellt, Talkshows abgesetzt, Ressorts umstrukturiert.

Beides hat seinen Preis

Wem nicht nur der Beruf, sondern auch das Private wichtig ist, zahlt einen Preis. Darüber kann auch die wolkige Beraterrhetorik, die den „familienfreundlichen Betrieb“ preist, nicht hinweg täuschen. Wer für seine Kinder Zeit haben will, macht nicht die steile Karriere des ehrgeizigen Kollegen, der sich voll und ganz seiner Aufgabe verschrieben hat. Wer in größerem Umfang Haus- und Erziehungstätigkeiten übernimmt, muss am Arbeitsplatz mit Nachteilen rechnen. Wer in Elternzeit geht und danach seine Stelle reduziert, hat vielleicht eine Jobgarantie, aber keineswegs die Sicherheit, einen spannenden Job zu haben. Er sollte das Risiko einkalkulieren, sich in diesen Jahren beruflich kaum verändern zu können. Der Aufstieg auf der Leiter ist reserviert für Kinderlose beiderlei Geschlechts – und für jene Männer mit Familie, denen eine fürsorgliche Gattin alles abnimmt, was sie vom Geldverdienen abhalten könnte.

 

Buchtipp

Thomas Gesterkamp: Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere – So kann die Balance gelingen
Herder Verlag, Mai 2006, 160 Seiten, Kartoniert 8.90 Euro (D) / 16.70 sFr,
ISBN 3-451-05752-2,
ISBN 978-3-451-05752-6

 
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