Betriebsräte auch für Freie

Kundgebung der streikenden Journalistinnen und Journalisten auf dem Rathausplatz in Esslingen
Foto: ver.di/Markus Klemt

Selbstständige auf dem Weg in die Festanstellung begleitet

In mehreren Regionalzeitungsverlagen machen Betriebsräte mittlerweile ihren Vertretungsanspruch für arbeitnehmer-ähnlich freie Journalist*innen geltend, die sogenannten festen Freien. Auch wenn dies auf den ersten Blick im Betriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehen scheint. Mithilfe der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di kämpfen freie Lokaljournalist*innen um höhere Honorare.

In den Redaktionen von Zeitungen arbeiten insbesondere in der regionalen Presselandschaft viele arbeitnehmerähnliche freie Journalist*innen nach §12a Tarifvertragsgesetz (TVG). Hierfür sind erhebliche, normalerweise gut ein Drittel der Einkünfte von einem Auftraggeber, die Voraussetzung. Dazu gehören auch die nach Tagespauschalen vergüteten Freien, sie gelten als „Pauschalisten“.

Im Verlauf des Jahres 2016 kam es jedoch zu einer Festanstellungswelle, insbesondere in den großen Verlagshäusern wie etwa DuMont und der Süddeutschen Zeitung. Warum? Die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles legte Ende 2015 einen Gesetzesentwurf vor, der den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen eingrenzen sollte. Verlage fürchteten nun verschärfte Betriebsprüfungen auf Scheinselbständigkeit durch den Zoll und die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Ihnen drohen hohe Nachzahlungen für nicht abgeführte Sozialabgaben, sogar Strafzahlungen.

Auch wenn der Gesetzentwurf nicht so wie geplant kam, blieb doch eine höhere Aufmerksamkeit gegen den Missbrauch von Werkverträgen. Ein neuer §611a im BGB bestätigte seit April 2017 die laufende Rechtsprechung. So kam es weiterhin zu Einzelfallprüfungen von Zoll und DRV nach den bestehenden rechtlichen Kriterien der Sozialversicherung.

Davon aufgeschreckt witterten Verlagshäuser Festanstellungsklagen von Freien, die in redaktionelle Arbeitsabläufe eingebunden waren. Man legte ihnen eilig Arbeitsverträge vor, meist befristet und zu miesen Konditionen. Vorherige Monatseinkünfte verminderten sich bis zu 25 Prozent. Dies rief mitunter Betriebsräte (BR) der Zeitungsverlage auf den Plan, auch wenn sie laut Betriebsverfassungsgesetz zunächst kein ausdrückliches Mitbestimmungsrecht für Freie haben. Drei Beispiele verdeutlichen, wie sich BR für arbeitnehmerähnlich freie Journalist*innen eingesetzt haben.

Klaus Schrage, Redakteur und Betriebsratsvorsitzender des Verlags Nürnberger Presse (Nürnberger Nachrichten) berichtet, dass man die Pauschalisten-Strategie im Hause ab 2016 aufgegeben habe. In Bayern sei die Intensität der Betriebsprüfdienste zwar weniger hoch als in anderen Bundesländern, trotzdem wollte die Verlegerfamilie Schnell keine hohen Nachforderungen riskieren. Der Betriebsrat begleitete drei freie Journalisten auf dem Weg in eine Festanstellung zu Tarifbedingungen. Zuvor hatte die dju in einer Veranstaltung über die rechtliche Situation in Sachen Scheinselbstständigkeit informiert und den Freien so den Rücken gestärkt. Zum Jahreswechsel sollen außerdem, so Schrage, etwa zwanzig bisher in einer tariflosen GmbH beschäftigte Onliner als regulär bezahlte Redakteur*innen in den Verlag übernommen werden.

Freie auf den Wählerlisten

Ein anderes Beispiel: Im April 2016 wurden die Redaktionen der Stuttgarter Nachrichten und der Stuttgarter Zeitung zusammengelegt. Der Betriebsrat hielt an seiner Linie fest, weiterhin den Vertretungsanspruch für die festen Freien wahrzunehmen, berichtet der BR-Vorsitzende Michael Trauthig. Man habe sie schon früher bei der Stuttgarter Zeitung stets auf die Liste der BR-Wahlen gesetzt und mitwählen lassen. So gelang es auch, Regelungen für die festen Freien zu erreichen. „Wir konnten zum Beispiel für die Betriebsvereinbarung zu Stellenausschreibungen durchsetzen, dass die festen Freien im Hause als interne Bewerber gelten und den externen vorzuziehen sind“, berichtet Trauthig. In der Redaktionsgemeinschaft kam es dann zu einem Einstellungsprogramm, wohl auch weil die DRV den Status der festen Freien überprüfte. Bei vielen freien Kolleg*innen wurde der Status des sozialversicherungspflichtig Beschäftigten festgestellt. Die anderen Freien habe man aus den Blattmacherdiensten herausgenommen. Heute gelten fast nur noch Korrespondenten als feste Freie. Rund 40 freie Journalist*innen wurden fest eingestellt. „Das mit dem BR verabredete und von der Südwestdeutschen Medienholding erarbeitete Einstellungsprogramm war tarifgebunden und lief insofern vorbildlich“, sagt Michael Trauthig.

Besonders Regionalblätter im Osten der Republik arbeiten nach wie vor mit Pauschalisten. „Die Freien scheuen Statusfeststellungsklagen. Das Risiko ist sehr hoch, arbeitslos zu werden, denn der Arbeitsmarkt ist hier ziemlich überschaubar“, berichtet Christoph Hohlfeld, Betriebsratsvorsitzender der Ostsee-Zeitung. Wenn es zu Neuanstellungen komme, geschehe dies in Ostdeutschland weitgehend in tariflosen Tochterunternehmen. Bei der Ostsee-Zeitung stehen stark in die Betriebsabläufe eingebundene Pauschalist*innen seit Jahren bei Betriebsratswahlen auf der Wählerliste, so Hohlfeld. Obwohl es sich aus Sicht der Geschäftsleitung um „freie Mitarbeiter“ handelt, habe der Verlag die Wahl nicht angefochten. Hierzu ist anzumerken, dass der mit dem Zeitungsverlegerverband abgeschlossene Flächentarifvertrag für freie Journalist*innen in den sogenannten neuen Bundesländern, aber auch in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Hessen nicht gilt.

Laut Betriebsverfassungsgesetz haben Betriebsräte nur einen begrenzten Einfluss auf Vergütungsordnungen von Arbeitnehmer*innen. Für die freien Journalist*innen und Fotograf*innen kann nur eine Gewerkschaft verhandeln und mit dem §12a Tarifvertrag Honorartabellen für journalistische Texte und Fotos aufstellen. Aber das gilt eben nur für arbeitnehmerähnliche Freie eines Verlages. Selbstständige mit unterschiedlichen Erträgen von einzelnen Verlagen sind auf die „Gemeinsamen Vergütungsregeln“ nach dem Urhebervertragsrecht angewiesen. Die letzte Einigung der Tarifpartner auf diese Vergütungsregeln für Freie an Tageszeitungen stammt aus dem Jahr 2010 für Text und 2013 für Fotos. Sie werden jedoch häufig missachtet, die Verlagshäuser zahlen, insbesondere den Lokal-journalist*innen, erheblich weniger. Mit der Begründung, der Honoraretat reiche nicht aus.

Die in der dju in ver.di organisierten freien Journalist*innen des Bezirks Mittelfranken bereiten zurzeit einen offenen Brief an regionale Multiplikatoren in der Politik und Kulturschaffende vor, um auf ihre schlechte Vergütung aufmerksam zu machen. Ohne sie würde die aufwändige, lokale Berichterstattung zusammenbrechen, denn sie sind es, die über das Geschehen vor Ort, zum Beispiel die langen Gemeinderatssitzungen, informieren. Die meisten Autor*innen können mit ihrer Arbeit nicht ihre Existenz sichern und fordern deshalb die Einhaltung der Mindeststandards gemäß der „Gemeinsamen Vergütungsregeln“. Zusätzlich verlangen sie eine Vereinbarung über eine Mindestzahl von Aufträgen pro Monat.

Klaus Schrage unterstützt als Vorsitzender der dju-Tarifkommission die Aktion: „Für die Nähe zu den Menschen und den Ereignissen braucht es fähige freie Kolleg*innen. Aber Qualitätsjournalismus braucht auch angemessene Honorare. Wer hier knausert, spart sein Produkt kaputt.“ Der Entwurf des Schreibens wurde jetzt auch dem dju-Bundesvorstand vorgelegt. Nachahmung empfohlen, lautete die Empfehlung für die Aktiven in anderen Regionen.

Die freien Autor*innen der Eßlinger Zeitung gingen sogar weiter, sie nahmen im Juni 2018 zwei Wochen lang keine Aufträge mehr an – ein echter Freien-Streik und eine absolute Seltenheit! In der Tarifrunde für Tageszeitungsjournalist*innen traten sie an der Seite der festangestellten Redakteur*innen in einen Solidaritätsstreik. Nachdem die Leser*innen von den niedrigen Honoraren erfahren hatten, empörten sie sich, darunter auch der Bürgermeister. Der Arbeitskampf führte mithilfe von ver.di schließlich zum Erfolg, das heißt: zu höheren Honoraren.

 

 

 

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