Bilder hinter der Frontlinie

Deutsche Fotojournalisten in der Türkei verhaftet und mit einem Prozess bedroht

Die freien Fotografen Chris Grodotzki, Ruben Neugebauer und Björn Kietzmann waren im Oktober in der türkischen Stadt Diyarbakir unterwegs und hielten Proteste gegen die Kurdistan-Politik der Regierung im Bild fest. Obwohl sie sich als deutsche Fotojournalisten auswiesen, wurden die drei festgenommen. Nach 32 Stunden Haft freigekommen, konnten sie nach Deutschland ausreisen. Dennoch droht ihnen in der Türkei ein Prozess. In der Haft wurde ihnen Provokation, Spionage, Terrorismus und PKK-Propaganda vorgeworfen. Chris und Ruben erhalten als Gewerkschaftsmitglieder von ver.di Rechtsschutz.

(v.l.n.r.) Ruben Neugebauer, Chris Grodotzki, Björn Kietzmann Foto: Selbstauslöser

Was war Euer journalistisches Ziel in der Türkei?

CHRIS | In erster Linie wollten wir eine Multimedia-Reportage über einen privat organisierten Hilfstransport nach Aleppo machen. Dafür hatten wir auch schon konkrete Absprachen mit deutschen Medien, zum Beispiel dem Tagesspiegel. Wir fuhren bis kurz vor die syrische Grenze mit den Helfern mit. Von da ging es zu dritt weiter in die Ost-Türkei. Wir wollten die Situation der Geflüchteten nahe der syrischen Stadt Kobane recherchieren und auch weiter im Landesinnern der Türkei Hintergründe über die kurdischen Proteste. Wir haben die Bilder hinter der Frontlinie im Fokus: Sie sind ebenso wichtig und interessant wie die Fotos der direkten kriegerischen Auseinandersetzung, um die Geschehnisse dort zu verstehen. Und auch dafür hatten verschiedene Medien Interesse bei uns angemeldet. So erreichten wir dann Diyarbakir. Hier war es in den vorangegangenen Tagen zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Kurden, der Polizei und verschiedenen weiteren Gruppen gekommen – darunter türkische Rechte aus dem Spektrum der Grauen Wölfe sowie IS-Sympathisanten. Sie waren inzwischen abgeebbt. Wir besuchten unter anderem ein kurdisches Jugendzentrum und konnten eine Beerdigung kurdischer YPG-Kämpfer dokumentieren.

Aber die Stadt befand sich im Belagerungszustand und es gab auch noch Proteste?

RUBEN | Die Stadt strotzte vor einer massiven Polizeipräsenz, die weitere große Proteste offenbar verhinderte. Nur wenige – vor allem Jugendliche – starteten noch einzelne Aktionen. Nachdem wir an einem Abend das Anzünden einer Barrikade aus alten Möbeln fotografiert hatten und die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern anrückte, zogen wir uns in eine sichere Entfernung zurück.

Wie kam es dann zur Festnahme?

CHRIS | Plötzlich wurden wir in einer Seitenstraße von einer Gruppe Männer umringt, die uns festhielten und anschrien. Dann kreuzte die Polizei auf mit zwei Panzern, Wasserwerfer und Geländewagen. Pässe und Presseausweise wurden uns mit den Worten „Fuck Journalists” aus der Hand geschlagen. Ein offenbar ziviler Polizist ließ eine Schimpftirade ab. Das einzige, was wir verstanden, ist das auch in Deutschland durchaus gebräuchliche „orospu çocuğu” – Hurensöhne. Die Fotoausrüstungen und unsere Rucksäcke wurden in eines der Autos geschmissen und es ging zur Wache. Dort mussten wir etwa anderthalb Stunden mit dem Gesicht zur Wand stehen, dann folgten Verhöre, eine Nacht in der Zelle und am nächsten Tag ging es weiter mit den Vernehmungen. Zwischendurch gelang es uns per Handy, unsere Notfallkontakte und die Botschaft zu informieren. Dann nahmen sie uns auch die zuvor übersehenen Telefone ab.

Das heißt, Ihr wart vorbereitet auf solche Situationen?

RUBEN | Ja, so gut man das nur sein kann. Wir haben schon einige Erfahrungen bei Auslandsreportagen gesammelt. Wir hatten Kurse besucht, Sicherheitstrainings absolviert. Über die Berufsgenossenschaft sind wir, auch was das Ausland betrifft, gut versichert und für den schlimmsten Fall hatten wir Gesundheits- und Generalvollmachten bei Vertrauenspersonen hinterlegt.
Und wir wissen, jeder Konflikt ist anders. Immer ist eine individuelle Vorbereitung notwendig, die zunächst in einer Risikoanalyse vor der Reise besteht. Es ist auch gut, über vertrauenswürdige Kontakte zu verfügen, entweder zu jemandem, der sich in der jeweiligen Region auskennt oder zu jemandem, der vor Ort ist. Im konkreten Fall hat uns vor allem Benjamin Hiller beraten. Ben hat jahrelange Erfahrung in der Region gesammelt und gibt auch Workshops und Seminare zum Thema Krisenjournalismus. Wir haben gemeinsam einen Notfallplan aufgestellt und über die nötige Ausrüstung und Vorbereitung gesprochen. Hiller war auch einer unserer beiden Notfallkontakte. Das heißt, bei ihm haben wir uns jeden Tag, als die Proteste begannen alle zwei Stunden, gemeldet. Er hätte somit auch ohne weitere Informationen von uns gewusst, wenn etwas nicht stimmt. Als wir dann in Gewahrsam waren, hat er beispielsweise Kollegen zu unserem Hotel und der Polizeistation geschickt, um unseren Aufenthaltsort und die Lage zu überprüfen. Zudem gibt es eine Facebook-Gruppe von „Krisenleuten”, ein sehr wichtiges Netzwerk für Helfer in Krisengebieten und für Journalisten.

Das hat sich auch bei Euch ausgezahlt?

RUBEN | Ja. Zum einen hat unser Notfallteam eine öffentliche Kampagne losgetreten, mit der Folge, dass über unsere Festnahme in vielen Medien berichtet wurde. Zum anderen wurden alle Kontakte angezapft, auch über das Facebook-Netzwerk, wodurch wir zu unserer sehr guten kurdischen Anwältin kamen. Sie stand uns in Diyarbakir sofort zur Seite, was bei den Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft besonders wichtig war. Auch, dass wir unsere Technik und unser Material schneller als angedroht oder auch überhaupt zurück bekamen, ist sicher ihr Verdienst.

Alles war vollständig und unversehrt?

CHRIS | Wenn man davon absieht, dass Ruben immer noch seinen Internationalen Presseausweis vermisst, war das so. Aber bei der Übergabe haben die Polizisten ziemlich deutlich gemacht, alle Daten kopiert zu haben. Das wird man wohl nicht ändern können. Als makaber empfanden wir, dass Fotos, die Polizisten von uns in der Haft mit ihren privaten Handys gemacht hatten, in türkischen Boulevardmedien auftauchten, geschmückt mit Anklage-Vorwürfen.

Ihr wurdet dann relativ schnell freigelassen, durftet das Land verlassen. Aber es ist noch nicht vorbei?

RUBEN | Die Vorwürfe: Provokation, Spionage, Terrorismus und PKK-Propaganda, werden bis heute aufrecht erhalten. Es werde weiter ermittelt, heißt es. Ob und wann es zum Prozess kommt, ist unklar. Deshalb sind wir froh, eine gute Anwältin zu haben und dabei von ver.di unterstützt zu werden. Weitere Hilfe ist notwendig, auch für die Anwaltskosten unseres Kollegen Björn. Deshalb wurde bei Reporter ohne Grenzen ein Konto eingerichtet. Geld, was wir nicht benötigen, wird für die Nothilfe von ROG verwendet. http://freerubenchrisbjoern.de/

Reporters without Borders – IBAN DE26100900005667777080
BIC BEVODEBB – Subject: freerubenchrisbjoern
www.jib-collective.nethttp://benjaminhiller.photoshelter.com/#!/index

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »