Denken in Klischees nicht mehr zeitgemäß

„Megatrend Frauen“ – Zukunftsforscher Matthias Horx hat ihn gesehen. Das 21. Jahrhundert wird seiner Prophezeiung nach das Jahrhundert der Frauen. Tiefgreifende Gesellschaftsveränderungen seien zu erwarten, denn „es geht nicht um die Integration der unterrepräsentierten Zielgruppe ‚weiblich‘ in ein bestehendes System, sondern um eine grundlegend andere Art, die Welt zu sehen und zu strukturieren.“ Die Studie aus seinem Zukunftsinstitut, geschrieben von Kirsten Brühl und Susanne Westphal, glaubt „neue weibliche Denk- und Handlungsmuster“ zu belegen. Wir bleiben da skeptisch.

Es stimmt wohl, 6o Prozent der AbiturientInnen und 44 Prozent der Studierenden sind inzwischen Frauen. Das verändert etwas, zum Beispiel die Gruppendynamik in Volontärskursen. „Schickt mir nicht nur einen Mann!“ muss die Leiterin der Aus- und Fortbildung in einer Rundfunkanstalt heute bitten. Die Darstellung von Frauen und Männern in den Medien jedoch verändert sich wenig, jedenfalls, was die Nachrichten angeht.

Noch sind von 100 Personen, die in den Nachrichten namentlich genannt, zitiert oder befragt werden, nur durchschnittlich 18 Prozent Frauen. Als Experten für Politik, nationale und internationale Themen kommen Männer zu Wort, Frauen dagegen in der regionalen Berichterstattung, bei Alltagsthemen oder als Opfer von Katastrophen, Kriegen und Verbrechen. Das belegen die quantitativen Analysen im Rahmen von „Media Watch“ und des seit 1995 in 70 Ländern durchgeführten „Global Media Monitoring“. Der Journalistinnenbund beteiligt sich seit Jahren an dieser weltweiten Medienbeobachtung, die mit Stichtag 16. Februar in diesem Jahr zum dritten Mal durchgeführt wurde. Das Ergebnis wird sich von dem der Vorjahre nicht wesentlich unterscheiden, obwohl 40 Prozent aller ReporterInnen, KorrespondentInnen, ModeratorInnen und vor allem NachrichtensprecherInnen in aller Welt Frauen sind.

Frauen unterscheiden sich in der Wahrnehmung, der Prioritätensetzung und der Art, wie sie Entscheidungsprozesse führen, da ist Susanne Westphal, einer der Megatrend-Forscherinnen, nur zuzustimmen. Dennoch bringt ihre Anwesenheit allein keine grundsätzlichen Veränderungen. Frauen beugen sich der männlichen Kultur, die sie in den Redaktionen vorfinden – oder sie können darin nicht überleben. Die „Agenda“, die Bewertungen, was wichtig ist (und was nicht), die Sprache und die Routinen.

Die Routinen sind es aber, die das Ungleichgewicht täglich reproduzieren. Es ist der Blick in das Adressverzeichnis, in dem sich Telefonnummern fast ausschließlich männlicher Experten angehäuft haben. Es ist der Zeitdruck, der glauben macht, für die Benennung von Akteuren und Akteurinnen sei keine Zeit. Es ist der routinierte Blick für Lebendigkeit, der Fotos mit Frauen vorzieht, sie dadurch aber zum schmückenden Element für eine Männerstory macht. Es ist die routinierte Entscheidung für die Person, die sich sprachlich gut ausdrücken kann, und das sind bei Kindern vornehmlich Mädchen, bei Erwachsenen vornehmlich Männer.

Zweimal hinsehen

Das unreflektierte Vorgehen in der üblichen „Professionalität“ benachteiligt oft die Frauen, aber nicht immer. Wenn ein Wochenmagazin das Thema Fettleibigkeit bei Kindern mit einem Jungen illustriert, wenn in einer Fernsehsendung zum Umgang mit Tod nur Mädchen erzählen, werden eher die Jungen diskriminiert.

Es stimmt auch nicht, dass vornehmlich Frauen leiden. Die zahlenmäßig häufigsten Opfer von männlicher Gewalt sind Männer, nicht nur im Krieg, nicht nur im Militär, nicht nur auf der Straße. Auch in der Arbeitswelt. Auffällig viele Männer werden durch ihre männlichen Vorgesetzten psychisch verletzt, solche Sensibilität ordnen wir jedoch eher Frauen zu. Wir denken in Klischees und bemerken es häufig nicht. Der journalistischen Darstellung fehlt oft die Angemessenheit und das ist: mangelnde Qualität. Um der Qualität unserer Produkte willen also lohnt es sich, den Geschlechterstereotypen auf die Spur zu kommen und die Perspektive zu verändern.

Der Journalistinnenbund macht vor, wie das gehen kann. In Gender Trainings für Journalisten und Journalistinnen wurden die Routinen befragt, angefangen bei der Planung, der Auswahl von Themen und ihrer Recherche. Durch das „Geschlechterprisma“ betrachtet, erweisen sich die neutralsten Themen oft als das Gegenteil. Eine als sinkend gemeldete Arbeitslosenzahl erweist sich womöglich als sinkend bei Männern, aber steigend bei Frauen, mit Folgen nicht nur für das Geschlechterverhältnis. Um das zu erkennen, müssen wir zweimal hinsehen und manchmal erst einfordern, dass Zahlen für Frauen und Männer getrennt erhoben werden.

Welche Relevanz hat ein Thema für Männer, für Frauen? Wie sind Männer, wie Frauen betroffen? Wenn eine solche Frage am Anfang steht, kann sich die Dramaturgie der Darstellung verändern. Und wenn ich vor Augen habe, wer da agiert, bezeichne ich die handelnden Personen womöglich anders. Kann ja sein, dass die, die für die PISA-Studie die Zahlen erheben, ausschließlich Frauen sind.

Ob sie mit weiblichen Endungen bezeichnet werden oder nicht, ob bei gemischten Gruppen das Binnen-I benutzt wird oder nicht, hat empirisch überprüfbare Wirkung. Es werden unterschiedliche Vorstellungen evoziert. Auf einer Tagung hat der Journalistinnenbund die Konsequenzen erörtert.

Wenn die Geschlechterperspektive die Qualität journalistischer Produkte erhöht, dann muss Gendersensibilisierung Bestandteil journalistischer Aus- und Fortbildung werden. Der Journalistinnenbund hat darüber mit Leitenden von Aus- und Fortbildungsinstitutionen diskutiert und verfolgt im Projekt „Gender Training für Medienschaffende“ die MultiplikatorInnenschulung.

Da Schieflagen der Darstellung oft durch die Leerstellen entstehen, da Verzerrungen häufig zwischen den Zeilen wurzeln, muss dabei von zwei Seiten geschaut werden. Die Lehrenden in diesen Trainings sind Männer und Frauen, die Lernenden demnächst hoffentlich auch.

 


Birgitta M. Schulte lebt als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Bildung und Frauen in Frankfurt am Main und ist stellvertretende Vorsitzende des Journalistinnenbundes.
Mehr Information: www.journalistinnen.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »