Wie prekär ist der Journalismus?

Bild: Hermann Haubrich

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.

Nach vielen Einzelaspekten im Lauf des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts wie etwa der besonderen Prekarität vor allem bei freien Journalistinnen und einer demnächst abgeschlossenen Untersuchung zu Aussteiger*innen aus dem Journalismus und ihren Motiven, widmete sich das Symposium in der Bayerischen Landesmedienanstalt vor allem dem internationalen Vergleich.  Denn Thomas Hanitzsch, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, koordiniert auch die Forschung zur weltweiten Studie „Worlds of Journalism“, deren dritte Erhebungswelle gerade abgeschlossen wird.

Als akut prekär wurde für Deutschland ein journalistisches Einkommen unter 1388 Euro im Monat angesetzt, wenn es keine Nebeneinkommen aus anderer Arbeit gibt. Darunter fallen vor allem Freie und signifikant mehr Frauen als Männer. Insgesamt, so ergab die Umfrage in Deutschland, fühlen sich zwar 57 Prozent der rund 1000 Befragten nicht in einer prekären Situation, aber zumindest in einer unsicheren Lage.  Bemerkungen im Fragebogen wie „Wenn das in fünf Jahren noch so ist, muss ich mich verabschieden von meinem Traum“ oder „Wie ertrage ich als Journalistin Armut in Würde?“ zeigen allerdings auch eine große Leidensfähigkeit von Journalist*innen, die sich aus der hohen Motivation für diesen als wichtig und sinnvoll erachteten Beruf ergibt.

Journalismus als Klassenfrage

Für Hanitzsch und seine Mitarbeiterinnen Nina Springer, inzwischen Professorin an der Uni Münster sowie Jana Rick und Corinna Lauerer, ergibt sich aus der Prekarisierung im Journalismus die Gefahr, dass trotz aller Beschwörungen von mehr Diversität in den Redaktionen der Berufsstand eher noch elitärer wird. Denn „Journalismus muss man sich leisten können“, wie es in den Umfrage-Kommentaren hieß. Für Springer liegt ein Ausweg darin, dass journalistische Vorhaben künftig noch mehr auf Gemeinnützigkeit und Crowdfunding setzen müssen.

Frauen und jüngere Journalisten verdienen weniger

Für eine vergleichende Studie befragte Phoebe Maares von der Uni Wien 430 freie Journalist*innen (arbeitssoziologisch als „atypische Beschäftigung“ im Vergleich zur Vollzeitstelle genannt) in Österreich, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich von Januar bis März 2020. Davon waren fast die Hälfte Frauen, fast 90 Prozent hatten mindestens einen ersten akademischen Abschluss und im Durchschnitt eine rund 19jährige Berufserfahrung. Mehr als die Hälfte arbeitete zusätzlich in anderen Bereichen und fast 60 Prozent bezeichneten sich als „unfreiwillige“ Freie. Auch hier zeigte sich wie in Deutschland: Frauen und Jüngere verdienen weniger, österreichische freie Journalistinnen sogar besonders schlecht. In Frankreich arbeiten die etablierten Freien in einer guten Situation, aber Jüngere haben große Schwierigkeiten, in den Beruf einzusteigen.

Deutschland, Österreich und Schweiz im Vergleich

Eine Dreierstudie innerhalb der „Worlds of Journalism“ präsentierten Hanitzsch, Wiebke Loosen aus Hamburg, Vinzenz Wyss aus Zürich und Volker Hanusch aus Wien zu den „Anstellungsbedingungen von Journalist*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz“. Die Daten wurden überwiegend per Telefon 2022/23 und über Medienorganisationen wie Verlage und Sender erhoben, so dass es hier nur einen jeweils sehr geringen Anteil an Freien gab. Auffallend ist, dass es in der Schweiz generell viel mehr Teilzeitbeschäftigung gibt bei Männern wie Frauen und auch in höheren Positionen. Freiberufler*innen haben in der Schweiz und in Österreich deutlich niedrigere Einkommen als Festangestellte im Vergleich zu Deutschland. Zwei Drittel aller Journalist*innen haben in den drei Ländern schon Diskreditierung in Social Media, verbale oder auch körperliche Angriffe erlebt.

Mit Erstaunen diskutiert wurde das Ergebnis, dass sich Dreiviertel der österreichischen Kollegen eher keine Sorgen um die Sicherheit ihrer Tätigkeit machen, obwohl es in Österreich in letzter Zeit Kündigungswellen in den Redaktionen gab und die österreichischen Wissenschaftler*innen mit weiteren rechnen. Der Journalist, Medienforscher und Dozent am mehreren Hochschulen in Europa, Andy Kaltenbrunner, fasste es so zusammen: „Ich fürchte, dass die große Welle des Medienzusammenbruchs erst noch kommt. Und viele, die heute schon entlassen sind, waren sich zum Zeitpunkt der Befragung noch sicher, unbedingt gebraucht zu werden.“

„Verhandeln ist für Freie das A und O“ unterstrich Sigrid März von den „Freischreibern“. „Wir Freie haben den Druck, aus der großen Gruppe immer herauszustechen.“  Spezialisierung und ein gutes Netzwerk seien wesentlich, um „als Freie gut leben zu können“. Auch wenn Freie als „arm, aber zufrieden“ dargestellt würden, so wären sie „sicher auch glücklich, wenn sie auch noch ordentlich Geld bekämen“, meinte März bissig. Bei einer Kampagne für 15 Prozent mehr Honorar aufgrund der hohen Inflation entgegnete den „Freischreibern“ allerdings ein Chefredakteur: „Es ist nicht unsere Aufgabe, dass freie Mitarbeiter von den Honoraren leben können.“

Mentale Gesundheit im Journalismus

In Richtung „Mental Health im Journalismus“ ging die vergleichende Studie zu Journalist*innen in Deutschland und dem Vereinigten Königreich, den beiden größten Medienmärkten in Europa, was die emotionale Unterstützung angeht. Dabei würden vor allem in Großbritannien Journalist*innen, die sich von ihrer Arbeit und ihren Themen psychisch mitgenommen fühlen, als eher schlechte Vertreter*innen ihres Berufsstands angesehen. Gerade die jüngeren Journalist*innen in beiden Ländern forderten aber zunehmend Feedback und notfalls Aufarbeitung des Erlebten ein.

Der Abschluss des Symposiums galt denen, die einen Schlusspunkt unter ihre journalistische Laufbahn gesetzt haben. Sei es aus Frust nach langer Berufstätigkeit, desillusioniert schon nach dem Volontariat oder kurzer Redakteurszeit, aus Verantwortung für das Familieneinkommen, erschöpft mit Burn-Out oder verdrängt von Kündigungen, wie Jana Rick sie in 5 Typen zu fassen versuchte. Talentabwanderung und De-Professionalisierung sieht sie als Gefahr für den Journalismus.

Die Schweizer „Republik“-Redakteure Philipp Abrecht und Dennis Bühler, die den freiwillig Ausgestiegenen in ihren Artikeln Gesicht und Geschichte geben, beobachten eine starke Abwanderung aus höheren Positionen im öffentlich-rechtlichen Schweizer Rundfunk SRF als Kommunikationsberater in die Politik. Sie und Wiebke Loosen sehen darin eine Verlagerung der Kommunikationsmacht, die der Demokratie gefährlich werden könne. Fazit des Veranstalters Hanitzsch am Ende: „Die Ressourcen verschieben sich immer mehr zum Nachteil des Journalismus. Wir müssen viel stärker deutlich machen, wo das hinführt.“

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