Die Welt berichtete gestern in ihrer Online-Ausgabe, dass laut einem Bericht seit 2014 „zahlreiche Flüchtlinge“ in ihre Herkunftsländer gereist seien, „um dort Urlaub zu machen“. Quelle sei eine Erhebung des baden-württembergischen Innenministeriums. Heute ist in demselben Artikel allerdings nur noch von „mehreren Flüchtlingen“ die Rede. Der Zusatz „um dort Urlaub zu machen“, der prominent im ersten Absatz prangte, fehlt völlig. Was war da los?
„Flüchtlinge machten offenbar mehrfach Urlaub in Heimatländern“ lautet der Titel besagter Meldung, der allerdings nicht geändert wurde. Auch andere Medien waren auf den Urlaubszug aufgesprungen. „Flüchtlinge machen Urlaub in ihrer Heimat“ titelte gestern etwa die Stuttgarter Zeitung auf ihrer Website. Berufen hat sich die Welt dabei auf Berichte der Heilbronner Stimme und des Mannheimer Morgen, die sich wiederum auf eine Erhebung des baden-württembergischen Innenministeriums berufen hätten. Dabei schreibt die Redaktion zunächst von „einem Bericht“, dann von „einer Erhebung“ und erst ganz am Ende von „der Stellungnahme auf einen Antrag der AfD-Landtagsfraktion“. Zusammenhänge und Quellenlage erschließen sich nur lückenhaft. Grund genug, bei der Pressestelle des Landesinnenministeriums (LMI) nachzufragen und um Aufklärung zu bitten. Auf meine Frage nach dem genauen Wortlaut des LMI-Berichts und, ob in besagtem Bericht tatsächlich die Motive der Heimatreisen genannt würden bzw. ob dort von Urlaub die Rede sei, erhalte ich folgende Antwort: „Sehr geehrte Frau Hofmann, um die beigefügte Anfrage zu beantworten, die Reisen von Schutzberechtigten ins „Verfolgerland“ zum Gegenstand hatte, wurden die Ausländerbehörden in Baden-Württemberg abgefragt. Der Grund der Reisen wurde nicht erfasst.“
Die „beigefügte Anfrage“ befindet sich im Anhang und ist die Stellungnahme des LMI auf einen Antrag der AfD-Fraktion im Landtag zu „Heimaturlauben anerkannter Asylbewerber“, in dem wiederholt von „Urlaubsaufenthalten“ die Rede ist. In der Stellungnahme heißt es unter anderem, dass der Schutzstatus von Flüchtlingen nicht automatisch erlösche, wenn sie in ihre Heimatländer reisen. Dies sei laut Asylgesetz und Genfer Flüchtlingskonvention nur der Fall, wenn sie sich dort niederlassen würden, also dauerhaft ihren Wohnsitz im „Verfolgerland“ nehmen würden.
Nun dürfte es nicht besonders schwerfallen, Unvoreingenommenheit und Empathie vorausgesetzt, sich vorzustellen, dass auch geflüchtete Menschen das Bedürfnis haben, in die Heimat zu reisen, um noch einmal den sterbenden Vater zu sehen, bei der Beerdigung der Mutter zugegen zu sein oder vielleicht auch einfach das Weihnachtsfest mit der Familie zu verbringen, die man im „Verfolgerland“ zurücklassen musste. Auch wenn sie sich der Gefahren bewusst sein dürften.
Nicht so allerdings die Welt. Sie macht sich kurzerhand die Begrifflichkeiten der AfD zu eigen – denn es war der Antrag der Fraktion, in dem von „Urlaubsaufenthalten“ die Rede war, nicht die Stellungnahme des LMI, in der die Reisegründe nicht erfasst wurden. Und sie macht aus 100 Flüchtlingen, „zahlreiche“, eine ungenaue Formulierung, die viel Platz für Spekulationen nach oben lässt. Zur Einordnung: Allein im ersten Halbjahr 2017 kamen 11.600 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg und die Zahl 100 in besagtem LMI-Bericht bezieht sich auf die Jahre seit 2014!
Ob das später auch den verantwortlichen Welt-Redakteur_innen aufgefallen ist? Wir wissen es nicht. Sicher ist nur, dass der Beitrag von gestern zu heute geändert wurde. Aus „zahlreichen Flüchtlingen“ wurden „mehrere Flüchtlinge“ und der Zusatz „um dort Urlaub zu machen“ wurde entfernt. Einen Hinweis auf diese Überarbeitung sucht man rund um den Artikel allerdings vergeblich.
Ein Licht dürfte der Redaktion aber in jedem Fall aufgegangen sein, als sie die rund 500 Kommentare unter dem gestrigen Artikel gesichtet hat, in denen fast ausnahmslos gegen Flüchtlinge gehetzt wurde, die erst jammernd nach Deutschland kämen, um dann in den Ländern, in denen sie ja angeblich verfolgt würden und um ihr Leben fürchten müssten, wochenlang Urlaub zu machen. Ja, liebe Welt-Redaktion, genauso schürt man Hass und Vorurteile!
Das eigentlich skandalöse ist also nicht der Fakt, dass Flüchtlinge Urlaub in ihren Heimatländern machen – eine Behauptung, die sich zudem als unwahr herausgestellt hat. Vielmehr handelt es sich hier offenbar um eine redaktionelle Schlamperei in der Welt, sofern man ihr wohlmeinend unterstellt, dass es sich dabei um Fehler handelte, die der Flüchtigkeit geschuldet sind, und nicht, dass sie die neutrale und wahrheitsgemäße Berichterstattung bewusst der Logik der Aufmerksamkeitsökonomie geopfert hat.
Was aber in jedem Fall bleibt, ist der intransparente Umgang mit Fehlern. Mit aufgebauschten und zum Teil unwahren Tatsachen prominent einen Artikel zu eröffnen, sich dann, als der Hass in der Kommentarfunktion schon brodelt, eines Besseren zu besinnen und die entsprechenden Passagen zu korrigieren, ohne das kenntlich zu machen. Das sind nun wahrlich nicht die besten Voraussetzungen, um das Vertrauen in die Medien zu stärken und einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft durch Fake News, Hass und Hetze entgegenzuwirken.