„Braucht man da Eier?“

Journalismus und Politik – zwischen Nähe und Kritik

Unbestritten: Politik und Journalismus müssen zueinander in kritischer Distanz sein. Das Wahljahr 2021 ist ein guter Anlass, sich dies bewusst zu machen. Eine Analyse rund um Rollenspiele, Gastbeiträge, Klischees und den Unterschied zwischen Kommentar und Applaus.

Marlis Prinzing, Professorin für Journalismus an der Hochschule Macromedia in Köln Foto: Martin Jepp

Die Kritik- und Kontrollfunktion von Journalismus verlangt nach Distanz. Sie soll davor bewahren, sich vereinnahmen oder instrumentalisieren zu lassen. Distanz soll Unabhängigkeit sichern. Eine kundige, anschauliche Vermittlung verlangt zugleich nach Nähe, nach einem einfühlsamen Porträt, einer berührenden Reportage. Interviews gelingen dann, wenn man sich auf sein Gegenüber einlässt, hinhört, sich interessiert. Professionell sein verlangt, die Kunst der Balance zu beherrschen zwischen nötiger Distanz und nötiger Nähe. Politische Journalist*innen sind grundsätzlich machtnah. Entscheidend ist, ob sie die Mächtigen beobachten und kritisieren. Oder ob sie sie hofieren, sich als Ihresgleichen fühlen, sich der Beziehungskorruption hingeben, Komplizen der Politiker*innen werden und mitunter ihre eigentliche Rolle vergessen und sich dazu verleiten lassen, eher die eigene Position, die „opportunen Zeugen“ der eigenen Ansicht zur Geltung zu bringen, statt z.B. auch der Gegenposition sachgerecht Raum zu geben.

Auch Politiker*innen vergessen gerne mal ihre eigentliche Rolle. Statt die demokratiestützende Funktion von Journalist*innen zu respektieren, bedienen sie sich journalistischer Mittel, um ihre Positionen besonders zur Geltung zu bringen. In einem Beitrag des TV-Medienmagazins „Zapp“ thematisiert die Journalistin Katharina Schiele das Problem: Die Minister*innen Andreas Scheuer, Svenja Schulze und Jens Spahn zum Beispiel produzieren Live-Gespräche, Podcasts und Talkformate und bewerben diese über ihre Social-Media-Auftritte. Scheuer lässt sich offenbar von einer Mitarbeiterin, die Journalistin spielt, Bürger*innenfragen servieren, Jens Spahn hat einen Schauspieler als Moderator engagiert. Der „Zapp“-Beitrag weist auf die Gratwanderung hin: Natürlich dürfen Parteien oder Ministerien über ihre Arbeit informieren. Aber sie dürfen dies nicht aus Steuermitteln finanzieren und sie dürfen nicht ohne Konzession „Rundfunk“ machen, also nichts, was regelmäßig und redaktionell gestaltet ist.

Entscheidend ist: Mit ihrer Polit-PR versuchen Politiker*innen – für ein breites Publikum unmerklich –Journalismus zurückzudrängen. Sie entziehen sich systematisch der Konfrontation mit Fehlern, kritischen Nachfragen, letztlich der Debatte, und sie verweigern damit den Bürger*innen die Chance auf eine informierte Reflexion über aktuelle Themen. Ausgerechnet Politik nutzt aus, dass die Medienkompetenz in unserer Gesellschaft verbesserungswürdig ist und viele Menschen sich schwertun, PR und Journalismus voneinander unterscheiden zu können.

Der Ast der Glaubwürdigkeit

Journalismus wiederum problematisiert diese Entwicklung nicht nur eher selten, sondern befördert sie teilweise noch. Ein Beispiel sind Gastbeiträge von Politiker*innen z.B. in Tageszeitungen. Marvin Oppong hat sie sich in einer kleinen Studie näher angesehen. Gastbeiträge sind zeitökonomisch reizvoll: PR-Berater*innen nimmt diese Möglichkeit viel Arbeit ab, denn ohne das Format „Gastbeitrag“ wäre es weit aufwändiger für sie, dieselben politischen Botschaften mit vergleichbarer Reichweite und Bedeutungszuschreibung zu platzieren. Auch Redaktionen nimmt ein Gastbeitrag Arbeit ab, wenn sie ihn so ins Blatt setzen, wie das üblich ist: Ohne Einordnung, ohne Reflexion. Oppong hat im Auftrag der Otto Brenner Stiftung 72 Beiträge, die zwischen Januar und Juli 2020 in der „Süddeutschen Zeitung“, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sowie im „Tagesspiegel“ erschienen sind, kursorisch untersucht. Freilich: der Untersuchungszeitraum ist kurz, und das Sample könnte auch „Bild“, „Welt“ etc. umfassen. Dennoch: Die Analyse der gegenwärtigen Gastbeitrags-Praxis macht klar, dass so keine Darstellungsform für unabhängigen Journalismus aussieht.

Ein Beispiel ist der Gastbeitrag von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) im Juli 2020 im „Tagesspiegel“ zu den Vorteilen von Gentechnik. Das Problem ist nicht, dass sie selber die Nachteile und Risiken ausklammert, sondern dass keine Gegenposition oder kein Kommentar dem Meinungsbeitrag der Ministerin gegenübergestellt wurde. Dies wäre ein Angebot an das Publikum, sich selbst ein Bild zu machen, statt den Diskurs vor allem sozialen Medien zu „überlassen“. Das Entscheidende aber ist, dass all dies Wasser auf die Mühlen einer Zuschreibung sein dürfte: Denn diverse Studien weisen nach, dass insgesamt in der Bevölkerung und speziell auch unter Lehrkräften, die Medienbildung betreiben sollten, die Wahrnehmung verbreitet ist, Politik nehme direkt auf Journalismus Einfluss. Oppongs Befunde sind auch deshalb ein Warnhinweis: So publizierte Gastbeiträge tragen dazu bei, dass genau dieser Eindruck bestätigt wird. Damit sägt auch Journalismus selbst am Ast seiner Glaubwürdigkeit.

Helden und falscher Applaus

Medien küren immer wieder Politikhelden (z.B. Martin Schulz, SPD, Karl-Theodor zu Guttenberg, CDU etc.) und demontieren sie später. Beides ist weder sachgerecht noch klug, weil Journalist*innen, die so vorgehen, wiederum das Ansehen ihrer eigenen Berufsgruppe beschädigen. Jüngstes Beispiel einer Heldinnenkür: Das ProSieben-Moderationsduo Thilo Mischke und Katrin Bauerfeind applaudierten im „ProSieben Spezial“ der Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, zu Ende des Gesprächs und leisteten sich damit einen journalistischen Offenbarungseid.

Journalist*innen wird immer wieder vorgeworfen, sie hätten eine Schlagseite zugunsten von Links und Grün. Doch: Selbst aus einem bestimmten Sozialmilieu zu stammen, bedeutet noch lange nicht, unprofessionell zu sein. Auf (professionelle) Distanz gehen zu können, gehört ja gerade zum journalistischen Basishandwerk.

Die Moderator*innen Bauerfeind/Mischke bestärkten das Klischee der Linkslastigkeit und ramponierten die Glaubwürdigkeit des professionell arbeitenden Politikjournalismus. Klatschen ist etwas anderes als in einem Kommentar nach Abwägen diverser Argumente zum Schluss zu kommen, Person A scheint geeignet oder Position B eher zutreffend: Applaus ist kein Kommentar. Das Moderatorenduo bediente noch manches Klischee und wollte wohl durch Albernheit im Kneipenstil Nähe erzeugen. Beispiel-Anmoderation: Gewänne sie, Baerbock, die Wahl und würde Kanzlerin, dann müsse sie es mit Leuten aufnehmen, die viel mehr Erfahrung in solchen Jobs haben als sie. Darauf folgten Fragen wie: „Ist das so, als hätte man bislang in der Economy-Class den Tomatensaft ausgegeben und soll jetzt den Jumbo-Jet fliegen…?“ Und: „Braucht man da Eier bzw., in Ihrem Fall, Eierstöcke?“

Die Antwort von Baerbock auf die Eierfrage beantwortet auch, was professionellen Journalismus auszeichnet: „Da braucht man vor allen Dingen eine klare Haltung.“

Handwerks-Check: Wahlberichterstattung

Wahlen sind Schlüsselereignisse des demokratischen Systems. Sie geben Anlass zur Bilanz: Wo stehen wir? Wohin wollen wir uns entwickeln? Politischer Journalismus ist Rückgrat dieses Systems. Denn sein Kernauftrag besteht darin, den Wahlberechtigten den Zugang zu Informationen über Parteien, Themen und Kandidierende zu verschaffen. Das soll sie befähigen, sich selbst ein Bild zu machen. Je überlegter und differenzierter sich kundige Journalist*innen aus einem gut bestückten Handwerkskasten bedienen, desto bedeutsamer und nützlicher wird die Wahlberichterstattung für die Bürger*innen.

Medien können zum einen der Agenda von Parteien, Kandidierenden etc. folgen und berichten, was in ihren Programmen steht etc.; Medien können aber auch selbst aktiv werden, indem sie Politiker*innen interviewen, porträtieren, Themen analysieren, Reportagen über Wahlkampfveranstaltungen etc. erstellen sowie selbst ein Forum bilden: Medienhäuser können Podien und Diskussionsrunden organisieren und damit Zeit und Raum schaffen für Fragen und Anliegen aus der Zivilgesellschaft – und sie dabei auch mit Kandidierenden ins Gespräch bringen, also das Konzept des „Public Journalism“ anwenden oder auch das des Konstruktiven Journalismus, indem z.B. in diesem Rahmen bei geeigneten Themen auch Handlungs- und Lösungswege zur Diskussion gestellt oder entwickelt werden.

Wichtig ist für Redaktionen folglich: ein Konzept. Und eine Haltung: journalistische Medien sollten Wahlen als Gelegenheiten sehen, um Bürger*innen miteinander aktiv ins Gespräch zu bringen und ihnen zu vermitteln, welchen Sinn eine demokratische Verfassung und demokratische Mitbestimmung haben – sowie Medien, die informieren, warnen, kritisieren, kontrollieren, aufklären, Menschen helfen, sich zu artikulieren und ihnen das Gefühl vermitteln, dass ihnen nützt, was sie aus Medien erfahren und dass sie sich auf dieser Grundlage eine Meinung bilden können.

Die Wissenschaft teilt Politik und in der Folge auch Arbeitsfelder des politischen Journalismus in drei Felder ein. Die Qualität von Wahlberichterstattung ist auch daran erkennbar, ob wirklich alle drei hinreichend bedient werden. Häufig steht – zu Lasten der beiden anderen, Politics im Vordergrund, also die Konflikte, Kämpfe, Schlagabtausche, die Spielarten der Machtdurchsetzung. Policy (Politikinhalte, also z.B. die Programme der Parteien, die Positionen und ihr Kontext) sowie Polity (Systemzusammenhänge der Politik, Normen, Wahlverfahren) müssten bewusst stärker bedient werden, wenn Berichterstattung die umfassende Orientierung der Bürger*innen und damit eine informierte Teilhabe an demokratischen Kontroversen und Wahlentscheidungen zum Ziel hat.

Der Auftrag, das Publikum rund um Wahlen umfassend zu informieren, wird bei öffentlich-rechtlichen Medien noch darauf zugespitzt, dass sie ausgewogen und unparteiisch sein sollen. Der Südwestrundfunk hat z.B. in seinen Richtlinien zur Wahlberichterstattung das Prinzip der abgestuften Chancengleichheit beschrieben: Parteien gleichbehandeln heiße nicht, dass alle Parteien gleich oft im Programm vorkommen müssen, das wäre eine Ungleichbehandlung der größeren. Vielmehr müssten Parteien mit gleichen Wahlchancen gleichbehandelt werden und Parteien mit ungleichen Wahlchancen ungleich.

Zudem bleibt die auf Artikel 5 des Grundgesetzes gründende Rundfunkfreiheit auch bei der Wahlberichterstattung bestehen. Das sichert allen Redaktionen die Freiheit, die Auswahl der Themen nach journalistischen Kriterien zu treffen.

 

 

 

 

 

 

 

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