Buchtipp: „Ein Buch kann man weglegen, die Realität nicht”

Seit 1991 arbeitet Karim El-Ghawary als Nahostkorrespondent, seit 2004 ist er Leiter des Büros des Österreichischen Rundfunks ORF in Kairo. Seine Kollegin, Mathilde Schwabeneder, leitet das ORF-Büro in Rom seit 2007. Die beiden Korrespondenten haben sich in dem Band „Auf der Flucht” mit ihren Reportagen zusammengetan, um ein Bild zur Flüchtlingsproblematik rund um das Mittelmer zu zeichnen.

Karim El-Ghawary / Mathilde Schwabenender: Auf der Flucht. Reportagen von beiden Seiten des Mittelmeers. Kremayr & Scheriau. Wien 2015. 188 Seiten, 22 Euro. Auch als E-Book erhältlich. ISBN 978-3-218-00989-8 http://www.kremayr-scheriau.at/bucher-e-books/auf-der-flucht-763

Das Buch ist keine leichte Kost, weder für die Reporter noch für die Leser, wie El-Ghawary zugibt. Er könne es verstehen, wenn die Leser es nach der Hälfte zuklappten, doch „ein Buch kann man weglegen, die Wirklichkeit nicht”.
Die Autoren schildern Schicksale aus Syrien und Nordafrika, berichten über Fluchtversuche durch die Wüste und über das oft unterschätzte Mittelmeer, beschreiben das meist vergebliche Bemühen italienischer Strafverfolger, die großen Schlepper und Menschenhändler zu erwischen, die früher selbst oft Flüchtlinge waren. Sie berichten von Hilfsaktionen und ehrenamtlichen Helfern und den behördlichen Hemmnissen und finanziellen Restriktionen in der EU, die den nach jeder Katastrophe mit Hunderten von Ertrunkenen vorgebrachten Vorsatz „Nie wieder darf das passieren” als hohles Gerede erweisen.
Trotz der vielen niederdrückenden Geschichten gibt es auch optimistische Ausblicke: Das oberösterreichische Dorf Großraming, das die Aufnahme von Flüchtlingen zunächst gänzlich ablehnte und dann lernte, umzudenken, wurde zum „gallischen Dorf” – „Eine Gruppe unbeugsamer menschlicher Ehrenamtlicher, allein gelassen von jeglicher staatlicher Unterstützung und von der Politik.”

Weitere aktuelle Beiträge

Das Schicksal von Toshiko Sasaki

Als am 31. August 1946 das us-amerikanische Magazin „The New Yorker“ an den Zeitungskiosken auslag, verriet das Titelblatt in keinster Weise, welche Geschichte im Heftinneren auf den Leser wartete. Die Vorderseite des Einbands stammte wie so oft von dem New Yorker Künstler Charles E. Martin und zeigte eine friedliche Parklandschaft, in der Menschen spielen, tanzen oder spazierengehen. Drinnen aber entfaltete sich in einer Reportage mit dem Titel „Hiroshima“das  Grauen, das dem Abwurf der ersten Atombombe am 6. August 1945 über Japan folgte.
mehr »

Rechte Gratiszeitungen machen Meinung

In Ostdeutschland verbreiten kostenlose Anzeigenblätter zunehmend rechte Narrative – etwa der Hauke-Verlag in Brandenburg. Unter dem Deckmantel von Lokaljournalismus mischen sich Werbung, Verschwörungserzählungen und AfD-Propaganda. Möglich wird das auch wegen der Krise des Lokaljournalismus: Wo es kaum noch Medienvielfalt gibt, füllen rechte Angebote die Lücken.
mehr »

Jüdische Journalisten: Mehr Sachkenntnis nötig

Der Verband Jüdischer Journalistinnen und Journalisten (JJJ), der sich Ende vergangenen Jahres gegründet hat, vermisst eine sachliche und unabhängige Berichterstattung im Hinblick auf den Krieg im Nahen Osten. Vorstandsmitglied Lorenz Beckhardt erklärt, wie hier inzwischen der Kampf um Deutungshoheit den journalistischen Auftrag in den Hintergrund drängt und warum das ein Problem darstellt.
mehr »

„Von Wertschätzung meilenweit entfernt“

Der Juli ist Urlaubszeit, aber auch Verhandlungszeit. Nach zehn zähen Verhandlungsrunden mit den Zeitungsverlegern und mehrfachen Warnstreiks, hat die dju in ver.di endlich einen Abschluss für Tausende von Journalisten in ganz Deutschland erreichen können. Einer der beim Tarifvertrag mitverhandelte, ist Peter Freitag, Co-Vorsitzender der dju in ver.di und Redakteur für Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau.
mehr »