Charlie Hebdo – eine Außenseiterin mit spezifischem Humor

Die erste deutsche Ausgabe der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo ist in Deutschland seit dem 1.12.2016 auf dem Markt. Angela Merkel ist prominent auf der Titelseite vertreten, der VW-Skandal wird auf die Schippe genommen, Deutschland mit pechschwarzem Humor beleuchtet. Am 7. Januar 2015 war fast die gesamte Redaktion von Charlie Hebdo in Paris bei einem islamistisch motivierten Terroranschlag ermordet worden.
Foto: picture alliance/Winfried Rothermel

Am 7. Januar jährt sich zum zweiten Mal der Anschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris. Seit Dezember dieses Jahres erscheint „Charlie Hebdo“ auch auf Deutsch. Jeden Donnerstag sollen laut Medienberichten 200 000 Exemplare der in Paris gemachten Satirezeitung ausliegen, zum stolzen Preis von 4 Euro. Die Mehrzahl der Zeichnungen und Texte wird von der französischen Ausgabe übernommen. Das skandalumtoste Blatt macht den Schritt über den Rhein, weil sich seine Ausgabe nach dem Attentat hier 70 000 Mal verkauft hat. Seine finanzielle Prekarität ist Geschichte. In der Branche ist die Zeitschrift aber weiterhin eine Außenseiterin.

Eine Bereicherung unserer Presselandschaft will „Charlie Hebdo“ (CH) durch seinen Blick von außen sein, und durch seinen spezifischen Humor. „Der Humor erscheint mir oft nicht so verkopft wie in Deutschland, er ist eher handfest, burschikos, spontan, manchmal auch gaga“ sagte die Chefredakteurin der deutschen Ausgabe, Minka Schneider (ein Pseudonym), der Wochenzeitung „Der Freitag“. Dem Karikaturisten Rainer Hachfeld, der die französische Ausgabe im Abo hat, fehlt in der deutschen Erstausgabe allerdings der Biss, zudem könne der spezifische CH-Humor ohnehin nicht übersetzt werden, wie er in Deutschlandradio Kultur sagte. Seit dem Attentat sei generell „die Qualität dieses Blatts ziemlich gesunken“. Einige der Ermordeten seien künstlerisch unersetzlich gewesen, meint Hachfeld. Es waren Leute, deren Waffen Wort und Bild waren; die die Meinungsfreiheit nicht nur einforderten, sondern auch lebten; für die Kritik, gerade Religionskritik, zum Leben dazugehörte.

Der Filmemacher Daniel Leconte bringt uns die Redaktion von „Charlie Hebdo“ in seiner 2015 erschienenen Dokumentation „L’humour à mort“ (ein Wortspiel: Humor bis zum Tod, aber auch tiefgehender, vollster Humor) näher. Ruhig und bescheiden, zum Teil nach Worten suchend und fast ein bisschen verlegen, erklären die später ermordeten Protagonisten ihre Arbeit. Der einzige Eifer, der ihnen anzumerken ist, ist der freiheitliche – kein schwülstiges Betonen von „Werten“, „Kultur“ oder anderen beliebten Kampfbegriffen. Es sind Aufnahmen, die bereits 2007 für einen anderen Film gemacht wurden. Dann das Attentat, Leconte spiegelt seine Brutalität, indem er Überlebende berichten lässt. Überraschend offen reden sie über die Geschehnisse, die sie aus nächster Nähe erlebt haben, über die Leichen, die Todesangst, die Kalaschnikow im Rücken. Die letzten 20 Minuten des anderthalbstündigen Films widmet der Autor den Getöteten, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Alte Amateurfilmaufnahmen zeigen ihre Lebenslust.

2007 hatte der Filmemacher der Zeitung schon einmal ein Denkmal gesetzt. Mit dem Film „C’est dur d’être aimé par des cons“ (Es ist hart, von Deppen geliebt zu werden) dokumentierte er den Gerichtsprozess gegen die Zeitung wegen des Abdrucks der zu trauriger Berühmtheit gelangten dänischen Mohammed-Karikaturen. Der Film bezog seinen Titel von einer ebenfalls berühmten Mohammed-Karikatur auf der CH-Titelseite. Er wurde ein ganz großer Wurf, und das mit geringen filmischen Mitteln. Der zu Gunsten von CH ausgegangene Streit um Grundwerte unseres Zusammenlebens wird in dem Film so deutlich, dass er über die vollen 100 Minuten spannend ist und geradezu pädagogischen Charakter hat. Als „Charlie Hebdo“ 2007 vor Gericht stand, brachte die übrige Presse der Zeitung nicht viel Solidarität entgegen. „Charlie fand sich alleine, unverstanden, marginalisiert und zum Teil hart kritisiert“, hält Leconte in „L’humour à mort“ fest. „So wie immer.“ Später fügt er hinzu: „Wenn damals die ganze französische Presse die dänischen Karikaturen gezeigt hätte, würden wir heute vielleicht nicht unsere Freunde beweinen.“

CH erhielt nach dem Attentat 2015 viel Solidarität. Millionen Menschen gingen auf die Straße, Paris soll die größte Demonstration seit der Befreiung von den Nazis gesehen haben. Das Motto „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie) ging um die Welt. Doch anscheinend war das nur eine kurze Auszeit von der abonnierten Außenseiterposition. Nach einer kurzen Schonfrist gingen die Sticheleien wieder los: CH habe ja doch auch eine Mitschuld an der Katastrophe. In Lecontes Film und auch sonst beklagen sich mehrere Redaktionsmitglieder über diese mal mehr mal weniger unterschwelligen Vorwürfe aus anderen Medien. Islamfeindlichkeit und Rassismus werden ihnen immer wieder vorgeworfen.

Sechs Tage nach dem Attentat veröffentlichte Mehdi Hasan, der Politik-Chef der britischen Ausgabe der Online-Zeitung „Huffington Post“, einen Artikel mit dem Titel: „Als Moslem habe ich die Schnauze voll von der Heuchelei der Freie-Rede-Fundamentalisten“. Hasan arbeitet seit Jahren für den Sender Al-Jazeera und war auch Redakteur beim britischen Wochenmagazin „New Statesman“. Er kritisiert in seinem Text zunächst das Gemeinmachen mit (CH öffentlich betrauernden) Regierungschefs, die selbst für viele Tote verantwortlich sind und weist dann darauf hin, dass es eine völlige Meinungsfreiheit sowieso nirgendwo gebe. Witze über den Holocaust etwa seien vielerorts verboten. Daraus folge eine prinzipielle „Verantwortung“ für Massenmedien, jenseits der gerade gültigen Gesetze. Das Wort „Holocaust“ kommt in Hasans Text drei Mal vor, wohl um zu sagen: Die Kränkung von Holocaustopfern mag nicht überall verboten sein, es liegt aber in der Verantwortung jeder Zeitung, so etwas nicht zu tun, und dasselbe gilt für die Kränkung von Moslems. Dieser Text kann auch stellvertretend für die Vorwürfe an CH stehen, irgendeine ethnisch-stereotype Zeichnung verwendet zu haben und die dunkelhäutige ehemalige Justizministerin Christiane Taubira als Äffin dargestellt zu haben. Letzteres ist, im richtigen Kontext betrachtet, kein Skandal.

Der Streit um CH brach wenige Monate nach dem Attentat auch auf einer ganz großen Bühne aus, als die US-amerikanische Sektion des Schriftstellerverbands PEN der Zeitung einen Preis für „publizistischen Mut“ verleihen wollte. Etliche und zum Teil prominente PEN-Mitglieder protestierten und sagten ihre Teilnahme an der Gala ab. Der Vorsitzende der deutschen Sektion, Josef Haslinger, teilte die Kritik: „Charlie Hebdo ist der Verständigung der Kulturen nicht zuträglich.“ Er nannte gegenüber der Zeitschrift „Konkret“ (Juni 2015) Religionsverspottung „keine gute Strategie“ und sah da eine „Selbstverherrlichung des aufgeklärten Standpunktes“ wirken. Hingegen richte sich die PEN-Charta gegen „Völkerhass“. Viele Moslems empfänden gewisse Karikaturen als „eine Form des geistigen Neokolonialismus“.

Zum ersten Jahrestag des Massakers schrieb der nordirische, in Paris lebende und für CH schreibende Autor Robert McLiam Wilson im britischen „Guardian“ gegen die Anfeindungen gegenüber dem Satireblatt an. Er machte für die von ihm festgestellten negativen Mythen über CH in der englischsprachigen Welt direkt das große Magazin „New Yorker“ verantwortlich. Es habe zwei Tage nach dem Attentat einen „wahnsinnig ignoranten“ Artikel veröffentlicht, der eine „dreckige und dumme Diffamierung“ darstelle. Hier wie auch andernorts sei CH Rassismus vorgeworfen worden.

Im Januar 2016 brandete die Kritik an CH wieder auf, als die Zeitung in einer Karikatur nahelegte, der ertrunkene syrische Flüchtlingsjunge Aylan Kurdi, dessen Foto so viele Menschen bewegte, hätte in Europa zum Frauenbegrapscher werden können. Andreas Platthaus, Literaturchef der „FAZ“ und Comic- sowie Karikaturenexperte, hat unlängst ein Buch zu 2000 Jahren Karikaturgeschichte veröffentlicht („Das geht ins Auge“, Verlag Die Andere Bibliothek). Schon in der Einleitung schreibt er, „dass nach den Morden vom 7. Januar 2015 die Kritik am Satirestil der französischen  Zeitschrift vor allem im Ausland, wo man ohnehin wenig Ahnung von deren Humor hatte (und hat), eher noch gewachsen ist“. Eine rühmliche Ausnahme ist da „Orgullo y Satisfacción“ (Stolz und Befriedigung) aus Spanien, ein 2014 gegründetes digitales Satiremagazin. Es veröffentlichte schon ein paar Wochen nach dem Attentat eine 40-seitige Gratisausgabe (aktuell nur noch gegen Bezahlung abrufbar, Anm. d. Red.) mit Zeichnungen und Texten zu CH. „In Spanien konntest du in den 70ern ins Gefängnis kommen, wenn du dich über die katholische Religion lustig machtest“, erklärten sie. Noch 1977, zwei Jahre nach dem Tod des Diktators Franco, verübte eine religiöse und antikommunistische Gruppe in Barcelona einen Bombenanschlag auf die Redaktion einer Satirezeitschrift, bei dem der Empfangsangestellte starb. Zum allgegenwärtigen „Wir sind Charlie“ hielt „Orgullo y Satisfacción“ kritisch fest: „Charlie waren nur einige – die, die ihr Leben aufs Spiel setzten.“

Das Leben der Redakteur_innen von „Charlie Hebdo“ ist weiter in Gefahr. Robert McLiam Wilson berichtete vor knapp einem Jahr von seinem Besuch in der neuen, geheimen und stark abgesicherten Redaktion von CH, in der ihm die „freundliche, bescheidene, lustige“ Redaktionsmannschaft mit ihrer schmutzigen Küche und dem zweifelhaften Modegeschmack seltsam erschienen sei. „Sie wirken wie Kätzchen in einem Bunker“, fand er. „Ich bin versucht zu sagen, dass das jetzt die Welt ist, in der sie leben. Aber der Punkt ist, dass das nun die Welt ist, in der du lebst.“

Ja, wir sind alle betroffen. Gerade der Journalismus sieht sich auf drängende Weise mit grundsätzlichen Fragen konfrontiert. „Man macht eine Zeitung nicht wegen den Lesern, sondern weil man etwas zu sagen hat.“ „Wir richten uns nicht an bestimmte Gemeinschaften, ob Gläubige oder Nicht-Gläubige – wir richten uns an Bürger.“ „Schockiert dich die Zeichnung oder die Realität, die dahinter steht?“ Diese Ausdrücke von Standhaftigkeit brachte die CH-Angestellte Marika Bret Ende Mai ins mittelfränkische Erlangen mit, wo sie einen Auftritt beim Comic-Salon hatte, dem größten Comic-Festival im deutschsprachigen Raum. Bemerkenswert ist dabei, dass Bret weder Karikaturistin noch Journalistin ist – sie leitet die Personalabteilung. Dass jemand in so einer Funktion dem Journalismus derart schneidig heimleuchtet, zeigt schon den Anspruch, der CH eigen war. Auf die Frage nach ihrem Fazit sagte Bret in Erlangen, sie wolle uns dasselbe auf den Weg mitgeben, das schon der ehemalige CH-Karikaturist Luz, der den Anschlag überlebte, 2015 gesagt habe: „Macht viele weitere Charlie Hebdos, egal in welchem Format – auf Papier, digital, mit den Mitteln der bildenden Kunst! Nutzt die Freiheit des Wortes, bevor sie verschwindet!“ Wenige Monate nach den Worten von Bret erhielt Charlie Hebdo erneut Morddrohungen.

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