Buchtipp: Comicreportage über freien Journalismus

Sarah Glidden: Im Schatten des Krieges. Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei, Reprodukt, 304 Seiten

Was ist Journalismus? Dieser Frage widmet sich die Comicautorin Sarah Glidden in ihrem neuen Werk. Die Zeichnerin aus Seattle hatte 2010 ein Team einer kleinen Zeitung in die Türkei, in den Irak und nach Syrien begleitet, um dessen Recherche-Arbeit zu dokumentieren. Doch als Comic funktioniert das Buch schlecht, in Sachen Journalismus ist es nur für Ahnungslose interessant und in politischer Hinsicht offenbart es wenig Neues.

Dennoch, die Zunft in Deutschland zeigt sich angetan von der Reportage übers Reportagemachen. Wohlwollende Rezensionen von „Im Schatten des Krieges“ erschienen im Deutschlandfunk, in der Süddeutschen Zeitung und im Tagesspiegel, die Jüdische Allgemeine und der RBB-Radiosender Radio Eins interviewten die Autorin und in der ARD-Mediathek finden sich gleich zwei  aktuelle Fernsehbeiträge über sie.

Sarah Glidden hat einen ganz spezifischen Fall begleitet: eine freie Journalistin nebst Fotograf, die fast ohne Auftrag eine weite Reise in schwierige, völlig fremde Gebiete machen und dann emotional belastende Themen im Bereich Krieg und Flucht behandeln, diese Themen vermarkten und gelegentlich mit Selbstzweifeln kämpfen müssen. Nun spricht die Comicautorin aber verallgemeinernd über Journalismus. „Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie Journalismus funktioniert. Ich war überrascht, wieviel Arbeit dahinter steckt, wieviel Nachdenken.“ Diese naiven Sätze Gliddens im Fernsehinterview können stellvertretend für ihre oft naive Herangehensweise in ihrem Buch stehen.

Noch kritikwürdiger ist das gewählte Medium. Comicreportagen sind eine tolle Sache und im Zuge der zunehmenden Beliebtheit der grafischen Literatur in den letzten Jahren bekannter und vermutlich respektierter geworden. Aber in diesem Fall macht das Format kaum Sinn. Gefühlt die Hälfte des Buches füllen Zeichnungen von nachdenklichen oder sich unterhaltenden Menschen. In grafischer Hinsicht ist das Werk deshalb eine Zumutung. Für diese Geschichte über journalistische Arbeit braucht es keinen Comic. Umso weniger angesichts des nötigen Aufwands: Der Comic ist sechs Jahre nach der Reise erschienen, denn Zeichnen kostet viel Zeit. Der Aktualität enthobene Einblicke können zwar interessant sein, und die von Glidden geschilderten Episoden bieten solche Einblicke. Aber gerade in dieser Weltregion ist seit 2010 so viel passiert, dass das Buch in Teilen veraltet wirkt.

So tauchen wir etwa in einige Hintergründe ein, die bis heute wichtig sind, wie die damals schon immense Flüchtlingswelle aus dem Irak oder der Kurdistankonflikt. Aber in politischer Hinsicht hat das Buch insgesamt zu wenig Tiefgang. Zum Beispiel geht es immer wieder um den ehemaligen US-Soldaten, der das Team als Landeskenner begleitet und seine zumeist naiven Ansichten über die Berechtigung des US-amerikanischen Einmarschs in den Irak 2003 verteidigt.

Anlass zum Stirnrunzeln geben etliche weitere Stellen im Buch, die vor Naivität oder Ahnungslosigkeit strotzen. So nach dem Verlassen der irakischen Grenzstation: „Sind wir jetzt im Irak?“ Kurz darauf: „Das muss die kurdische Fahne sein.“ Und nach einer Stunde Fahrt der Dialog: „Sieht irgendwie aus wie in Kalifornien. – Überall sieht’s irgendwie aus wie in Kalifornien.“ An einer Stelle wird sogar die traditionelle islamische Begrüßungsformel falsch wiedergegeben: Wer „Salam aleikum“ sagt, bekommt nicht etwa dieselben Worte zur Antwort, sondern „wa aleikum as-Salam“.

„Im Schatten des Krieges“ ist sowohl als Comic als auch als Branchenreflexion misslungen. Als Einführung in journalistische Grundfragen mag es ausreichen, wobei die Comicform es für Jugendliche prädestiniert.

Trotz dieser Defizite hat das Buch einen erstaunlichen Erfolg, der vielleicht mit einem gesteigerten Interesse an der thematisierten Region zu erklären ist. Obwohl erst im November erschienen, ist es laut Verlag dessen am sechstmeisten verkaufter Comicroman des Jahres geworden.

Sarah Glidden ist dieser Tage auf Buchvorstellungstour: 22.2. und 25.2.Berlin, 23.2. Hamburg, 24.2. Frankfurt (Main), 28.2. Wien.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Der Rotstift beim Kinderfernsehen

ARD und ZDF halten es nicht für sinnvoll, wenn die Bundesländer im Reformstaatsvertrag einen fixen Abschalttermin für das lineare Programmangebot des Kinderkanals KiKa festlegen. Die lineare Verbreitung zu beenden, sei „erst dann sachgerecht, wenn die weit überwiegende Nutzung eines Angebots non-linear erfolgt“, erklärten ARD und ZDF gemeinsam auf Nachfrage. „KiKA bleibt gerade für Familien mit kleinen Kindern eine geschätzte Vertrauensmarke, die den Tag linear ritualisiert, strukturiert und medienpädagogisch begleitet.“
mehr »

Journalismus unter KI-Bedingungen

Digitalkonzerne und Künstliche Intelligenz stellen Medienschaffende vor neue Herausforderungen. „KI, Big Tech & Co. – was wird aus dem Journalismus?“ lautete folgerichtig der Titel der 11. Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 16. Oktober in Berlin. Über 80 Wissenschaftler*innen, Rundfunkräte und Journalist*innen informierten sich auch über den aktuellen Stand der Debatte über den neuen Medien“reform“staatsvertrag.
mehr »

NRW: Zusammenschluss im Zeitungsmarkt

Die Konzentration im NRW-Zeitungsmarkt, insbesondere in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL), setzt sich fort. Die Neue Westfälische und das Westfalen-Blatt streben eine Kooperation an. Auch die Lippische Landes-Zeitung und das Mindener Tageblatt planen, ihre Verlagsaktivitäten künftig in einer gemeinsamen Holding zu bündeln.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »