(Corona-)Krise der Selbstständigen

Bild: Hermann Haubrich

Die Corona-Krise ist vor allem eine Krise der Selbstständigen. Das zeigen nun erneut Umfrage-Ergebnisse des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB) sowie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). So sehen sich rund 60 Prozent aller Selbstständigen im kommenden halben Jahr in ihrer Existenz bedroht. Wie auch ver.di fordern BFB und DIW deshalb die Zahlung von Soforthilfen auch zur Deckung der Lebenshaltungskosten.

Rund ein Viertel (24,5 Prozent) aller Selbstständigen ist von der Corona-Krise sehr stark betroffen, etwas mehr als ein Drittel (37,3 Prozent) stark, ein Drittel (32,8 Prozent) verzeichnet einen Auftragsrückgang zwischen 50 und 100 Prozent, mehr als ein Viertel (27,9 Prozent) immerhin noch einen Rückgang zwischen 25 und 50 Prozent. Dies sind unter anderem die Ergebnisse einer Schnellumfrage im Mai zu den Folgen der Corona-Pandemie des Bundesverbands der Freien Berufe. Gegenüber dem Handelsblatt sagte BFB-Präsident Wolfgang Ewer zudem, dass unter allen Selbstständigen die freien Kulturberufe am schlimmsten betroffen seien. Hier litten demnach drei von vier Berufstätigen stark oder sehr stark unter der Krise.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine aktuelle Untersuchung des DIW Berlin, die auf den Daten der Langzeitbefragung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) beruht, für die jährlich 30.000 Menschen befragt werden. Ergänzt wurden diese Daten um die Befragungsergebnisse der SOEP-CoV-Studie, einer seit dem 1. April laufenden telefonischen Zusatzbefragung im Rahmen einer zufällig gezogenen Stichprobe von SOEP-Haushalten, in der auch Selbstständige befragt wurden. Danach beklagten rund 60 Prozent der Befragten Einkommensverluste, fast die Hälfte sogar Umsatzrückgänge zwischen 67 und 100 Prozent. Besonders eklatant seien die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie für Selbstständige auch im Vergleich zu den abhängig Beschäftigten, schreiben die Verfasser der Auswertung. 15 Prozent der Festangestellten haben Einkommensverluste in Kauf nehmen müssen. Hinzu komme, dass diese Verdienstausfälle durch das Kurzarbeitergeld in Höhe von bis zu 67 Prozent des Nettoverdienstes ausgeglichen werden. Selbstständige erhielten dagegen kaum Ausgleich für ihre Verdienstausfälle. So hätten die betroffenen abhängig Beschäftigten im Durchschnitt rund 400 Euro brutto an Einbußen zu verkraften, während es bei den Selbstständigen mehr als das Dreifache sei.

Wie ver.di fordern deshalb sowohl BFB als auch das DIW Berlin, vor allem der Situation der Solo-Selbstständigen stärker Rechnung zu tragen und bei der Gewährung von Soforthilfen nicht nur die Betriebskosten, sondern auch einen fiktiven Unternehmer*innen-Lohn zur Deckung der Lebenshaltungskosten mit einzuberechnen. Das DIW Berlin verweist zudem auf Alternativmodelle in europäischen Nachbarländern. Und schlägt etwa vor,  Selbstständige könnten Unterstützung für die Deckung der Lebenshaltungskosten erhalten, die von den Finanzämtern gewährt wird: „Den Betroffenen würde jeden Monat der über 50 Prozent hinausgehende Umsatzverlust zu 80 Prozent ersetzt.“ Damit könnten nach Ansicht der Autoren zudem Mitnahme- und Betrugsfälle ebenso wie die Überzahlung von Soforthilfen ausgeschlossen werden, da die Finanzämter über Informationen zu den Umsätzen der Antragsteller*innen aus den vorangegangenen Jahren verfügten.

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