Corona-Poesie: rechtefrei und kostenlos

Martina Burandt veröffentlicht seit rund 30 Jahren als Autorin in Print, Radio und Buch.
Foto: Felix Burandt

Öffentliche Kulturveranstaltungen wie Theateraufführungen, Lesungen, Konzerte oder Festivals finden derzeit nicht statt. Wie füllt man in diesen Zeiten die Kulturseiten der Tageszeitungen, fragt man sich in mancher Redaktion. Umdenken ist auch hier gefragt, doch wo andere sich dabei auch um Solidarität bemühen, versucht der „Weser Kurier“ mit seiner Regionalausgabe „Die Norddeutsche“ in Bremen Soloselbstständige, freie Autor*innen mit unanständigen Angeboten zu locken.

Beim „Weser Kurier“ (WK) kommt man in der letzten Zeit auf gute Ideen, die freie Bremer Literaturszene mit in redaktionelle Inhalte einzubeziehen. Dabei ist man jedoch nur wenig bereit, das Potential der freien Szene auch entsprechend zu honorieren. So fiel im letzten November bereits ein literarischer Weihnachtskrimi ins Wasser, da die 24 Autor*innen, die man hierfür anzuheuern versuchte, am Ende kein Honorar erhalten sollten.

Nun, in Zeiten von Corona, setzt man noch einen drauf: Für eine sogenannte „Corona-Kolumne“ in „Die Norddeutsche“ suchte man Autor*innen, die sich mit einem literarischen Beitrag – Kurzgeschichte oder Lyrik – mit dem Thema Corona auseinandersetzen. Keine schlechte Idee, mag man anfangs denken, doch der Beisatz „rechtefrei und kostenlos“ stellt einem die Haare auf. So heißt es in der Anfrage des WK-Redakteurs: „Wenn Sie also aus dem Kreis (…) Literaturschaffende finden, die Spaß daran hätten mitzumachen, wäre ich froh. Die Veröffentlichung müsste rechtefrei und kostenlos sein.“

Ich weiß nicht, ob der Kollege die quälend langen Auseinandersetzungen um Urheberrechte nicht mitbekommen hat und auch nicht, ob er über die große Not von Kulturschaffenden und Soloselbständigen insbesondere in Corona-Pandemiezeiten im Bilde ist. Und ich frage mich auch, ob er angesichts der wirtschaftlichen Lage von Tageszeitungen, auch der Bremer, gar nicht befürchtet, selbst eines Tages im Prekariat zu landen.

Die Aufforderung, sich von Autor*innen Texte liefern zu lassen, mit dem Beisatz „rechtefrei und kostenlos“, mag vielleicht Hobby-Poeten als reizvolle Chance erscheinen, ist aber ansonsten nicht nur gedankenlos, sondern unverschämt – wobei ich „rechtefrei“ hier so verstehe, dass alle Rechte beim WK liegen sollen. Die Viren, die hier grassieren heißen Dreistigkeit und Herzlosigkeit. Und Solidarität scheint ein Fremdwort zu sein.

Den offenen Brief des VS Niedersachsen/Bremen vom 6. April 2020 gibt es als pdf-Datei auf der Internetseite des Verbandes Deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) in ver.di. Die Autorin Martina Burandt ist derzeit Mitglied im Vorstand des VS-Niedersachsen-Bremen.

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »