Damit Journalismus im Lokalen Sinn stiftet

Frauenpower: Digitale Strategien standen am 19. Mai im Mittelpunkt des Gesprächs zwischen Barbara Zinecker, Judith Conrady und Jasmin Off (v.l.n.r.) Foto: Marcus Klose/ drehscheibe (bpb)

Wie schlägt sich die Digitalisierung der Zeitungsbranche in Lokalredaktionen nieder? Über „Digitale Strategien und Transformation im Lokalen“ unterhielten sich beim 25. Forum Lokaljournalismus 2022 in Bremerhaven drei leitende Redakteurinnen renommierter Regionalzeitungen. Nach vier Jahren Abstinenz hatte die Bundeszentrale für politische Bildung wieder zu einem dreitägigen Lokaljournalismus-Forum eingeladen. Eine nicht ganz neue Erkenntnis dieses Podiums: Die digitale Transformation stellt hohe Anforderungen an alle Beschäftigten.

„Bei Madsack stehen wir beim Umbau zu einem digitalen Medienhaus noch ganz am Anfang“, bekannte Yasmin Off, Mitglied der Chefredaktion beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in Hannover. Derzeit stehe das Projekt „One Platform“ im Fokus. Dabei gehe es darum, „alle regionalen Häuser auf eine Plattform zu bringen, von den ‚Lübecker Nachrichten‘ über die ‚Leipziger Volkszeitung‘ bis zur ‚Märkischen Allgemeinen‘“. Seit Mitte März bekommen alle zwölf konzerneigenen Blätter „einen neuen Digitalauftritt verpasst“ – neue Website, neue App, neues Erscheinungsbild. Hintergedanke sei die Überzeugung, „dass wir nur mit regionalen Inhalten bei der digitalen Transformation nicht weiterkommen“, sagte Off. Gebraucht würden auch überregionale Inhalte, etwa in Form von Newslettern und Podcasts. Dies könne nur über eine Verzahnung aller Redaktionen mit der Zentrale in Hannover geleistet werden. Als letzte Titel würden in Kürze die „Kieler Nachrichten“ und die „Schaumburger Nachrichten“ einbezogen.

Das große Aufräumen

Außerdem sei großes Aufräumen angesagt. „Ich fühle mich gerade wie eine Marie Kondo vom Newsroom“, spottete Off selbstironisch. Dazu habe man die Tagesabläufe und Tätigkeiten aller Mitarbeiter*innen – von Telefonsupport bei digitalen Fragen bis hin zur Formatentwicklung – durchgegliedert, um aufzulisten, „was genau jeder macht“. Bei allem Innovationseifer sei ein Fortschritt kaum möglich, wenn nicht gleichzeitig etwas weggelassen werde. Nicht alle Jobs könnten weiter so bestehen, „wie sie vielleicht 30 Jahre lang existierten“.

„Aufräumen“ war auch das Stichwort von Barbara Zinecker, stellvertretende Chefredakteurin der „Nürnberger Nachrichten“. Dies betreffe vor allem das Einsparen „händischer Arbeit“ mit Hilfe von Technologie. Als Beispiel nannte sie die Produktion von Newslettern: „Wir gucken gerade, wie wir das Ganze automatisieren können, um mehr Zeit für Anderes zu haben.“ Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt sei das „Multiplattform-Management“: Dazu gehöre der Launch von NN.de, einer zweiten Website.

Auch bei der „Südwest Presse“ Ulm stehen technische Verbesserungen im Zentrum der Innovationsbemühungen. Es geht unter anderem um eine stärkere Personalisierung der Website, berichtete die stellvertretende Chefredakteurin Judith Conrady. „Wie schafft man gerade im Lokalen mehr Nutzerfreundlichkeit?“ Diese Frage treibe die Redaktion um.

Personalfrage: Allrounder oder Spezialistin

In der Vergangenheit habe man in vielen Digitalredaktionen die „eierlegende Wollmilchsau“ gesucht, also Allrounder mit solidem journalistischem Background, guten Recherchefähigkeiten, neuerdings auch mit Audio- und Video-Kenntnissen, resümierte Yasmin Off. Wahrscheinlich bringe es aber mehr, „wenn jeder das macht, was er am besten kann“. Eine Redaktionsteam in Hannover sei zum Beispiel verantwortlich für die Steuerung einer Webseite, betreue aber gewohnheitsmäßig auch den Instagram-Auftritt, produziere Visuals etc.  Besser wäre es, diese Expertise in einem größeren Social- Media-Team zu verankern und die jeweiligen Ziele klarer zu definieren.

Hauptaugenmerk liege weiterhin beim Personal: „Wen nehmen wir mit, was können die, die wir schon haben, welche „Skills“ haben wir noch gar nicht im Verlag und wo kriegen wir diese Leute her?“ so Off vom RND. Man brauche Datenexperten, Spezialisten „an der Schnittstelle zwischen Data und Redaktion“, Audio-Experten etc.  Allerdings hafte der Gattung Lokal- und Regionalzeitung immer noch der Geruch von Print an. Off plädierte für eine bessere Selbstvermarktung der Branche, um mehr junge Menschen für die Arbeit am digitalen Produkt Lokalzeitung zu interessieren.

Bei den Nürnberger Nachrichten gibt es eigenständige Produktteams für das Management von Digitalplattform und Print. „Die digitalen Spitzen funktionieren schon recht gut“, konstatierte Zinecker, „die größere Aufgabe ist jedoch, die Basis mitzunehmen“. Digitale Transformation bedeute viel mehr, als Zeitungsartikel ins Internet zu stellen und zu posten. Derzeit werde wieder über die Content-Strategie diskutiert, speziell über die Regeln für die Auswahl von Bezahlinhalten.

Automatisierung als Schlüsselwerkzeug

Gleiches gilt für die Ulmer „Südwest Presse“. Bei einem Experiment zur Plus-Quote wurde die Paywall versuchsweise automatisiert. „Leser, die unsere Inhalte oft klicken, sollten diese häufiger hinter der Paywall sehen“, erklärte Conrady. Umgekehrt wurden Leser*innen, die die Webseite seltener nutzten, häufiger freie Artikel angeboten. Ein Verfahren, das sich aufgrund des offenbar noch nicht ausgereiften Algorithmus nicht bewährt hat. Dennoch gelte die Automatisierung als ein Schlüsselwerkzeug zur Entlastung der Redaktion.

Beim RND wird mit Hilfe anonymisierter Auswertung von Inhalten analysiert, welche Texte beim Publikum ankommen und welche nicht. Solche digitalen Messinstrumente „helfen uns enorm bei der Blattkritik“, sagte Off, es sei jedoch unabdingbar, die Ergebnisse konstruktiv mit den Mitarbeiter*innen zu interpretieren. Im Rahmen einer neu geschaffenen Konferenz werde jeden Tag eine Stunde lang über die „Performance von Plus-Inhalten“ gesprochen. Die Ergebnisse würden in die Lokalredaktionen zurückgespiegelt. Und zwar vom „Digital Hub“ in Hannover, einem Team, das digitale Inhalte „veredelt, verkauft und publiziert“.

Bei aller Diversifikation des Verlagsgeschäfts, insistierte Conrady, müsse klar getrennt werden zwischen Journalismus und sonstigen Geschäftsfeldern. Journalismus sei für viele nach wie vor kein Job wie jeder andere. Wenn diese Trennung nicht mehr funktioniere, bleibe „ein Job, der sehr anstrengend ist, nicht in jedem Fall grandios bezahlt wird und der dann vielleicht nicht mehr sinnstiftend ist“. Das aber dürfte nicht passieren, „denn dann implodiert, was wir tun“.

Zum Forum Lokaljournalismus 2022 siehe auch hier.

 

 

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