Journalist*in – noch immer Traumberuf?

Alexander Völkel (Nordstadtblogger), Lars Reckermann ("Schwäbische Post", "Gmünder Tagespost"), Karsten Krogmann (Weißer Ring), Ella Schindler ("Nürnberger Nachrichten"), Sarah Brasack ("Kölner Stadt-Anzeiger") und Christiane Kohl in der Diskussionsrunde. (v.l.n.r.) Foto: Marcus Klose, drehscheibe (bpb)

„Ich wäre geblieben, wenn…“ – unter dieser melancholischen Überschrift berichteten drei Ex-Journalist*innen, warum sie aus dem Journalistenberuf aus- und in ein anderes Leben umgestiegen sind. So geschehen beim 25. Forum Lokaljournalismus, das vom 18. bis 20. Mai auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der „Nordsee-Zeitung“ in Bremerhaven stattfand. 

Zum Beispiel Karsten Krogmann ehemaliger Chefreporter der „Nordwest-Zeitung“ in Oldenburg, seit 2020 Pressechef der Opferschutzorganisation WEISSER RING in Mainz. „Ich wäre Journalist geblieben, wenn Chefredakteure nie wieder den doofen Satz sagen würden ‚Wir müssen dem Leser das geben, was der Leser will.‘“, bekannte der Henri-Nannen- und Theodor-Wolff-Preisträger. So etwas dürften allenfalls Friseur*innen zu ihren Kunden sagen, nicht aber Journalisten.

Eine „große Enttäuschung“ über grundsätzliche Fehlentwicklungen in der Branche habe seinen Ausstieg befördert. Als leidenschaftlicher Journalist und echter „Überzeugungstäter“ habe er an den Lokaljournalismus als konstituierendes Element der Demokratie geglaubt. Dies könne aber nicht funktionieren, wenn Verlage sich nur noch aufs Geschäft konzentrierten, „auf Geschichten, die Abos generieren“.  Wo das nicht gelinge, werde schnell das Etikett „viel Aufwand für nichts“ angepappt. Krogmanns Maßstab für Qualitätsjournalismus ist dagegen die Relevanz des Themas.  Von „ausgrenzenden Bezahlschranken“ hält er nichts. 

Der alte Grundsatz, wonach Journalisten sich um guten Journalismus kümmerten und andere Abteilungen das Geld verdienten, gelte heute nicht mehr, sondern habe sich inzwischen umgekehrt. „Chefredakteure grübeln mehr darüber, wie sie etwas monetarisieren können als über Inhalte“, klagt Krogmann. Eine Rückkehr in den Journalismus schließt er gleichwohl nicht aus. 

Wenig Zeit für Recherchen

Einen radikalen beruflichen Wechsel vollzog vor knapp zehn Jahren Christiane Kohl. Nach 38 Jahren als Reporterin, unter anderem beim „Spiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“, hing sie 2013 ihren Job an den Nagel und betreibt seitdem mit ihrer Schwester ein Romantik-Hotel („Landhaus Bärenmühle“) im nordhessischen Frankenau-Ellershausen. 

Sie habe das Gefühl gehabt, „alles schon geschrieben zu haben, was ich schreiben wollte“. Ihre letzte berufliche Station war das Regionalbüro der „Süddeutschen“ in Erfurt, zuständig für Thüringen und Sachsen-Anhalt. „Man hat dann eben nachmittags plötzlich anfangen müssen, schon für’s Internet zu schreiben“, erinnert sie sich.  Die Zeit für Recherche sei immer knapper geworden. „Die besten Zeiten des Qualitätsjournalismus hatte ich erlebt“, so Kohl, „den Abstieg wollte ich nicht mehr so richtig mitmachen.“ 

Auch Probleme mit ihrem letzten Chef hätten den Ausstiegsentschluss befördert. Inzwischen lebt sie eine Existenz zwischen Hoteliere und  Schriftstellerin. Den Journalismus, auch den lokalen, hält sie nach wie vor für wichtig, „wenn nur die Strukturen stimmen würden.“. Sie sei immer „Journalistin mit Herz und Blut“ gewesen, aber: „Ich muss gestehen, ich vermisse nichts.“

Alexander Völkel, Ex-Redaktionsleiter der „Westfälischen Rundschau“, gründete nach dem Aus des WAZ-Ablegers 2013 in Dortmund das Onlineportal „Nordstadtblogger“, eines der ersten unabhängigen Lokaljournalismus-Projekte. „Wir machen Komplementäres zu dem, was eigentlich der Platzhirsch machen müsste“, sagte Völkel. Das heißt: eine möglichst ausführliche, unaufgeregte Berichterstattung.“ „Wir sind nicht klickgetrieben, machen zur Not auch ‚Quotengift‘“, bekennt der überzeugte Lokalreporter. Für etablierte Medien sei die Dortmunder Nordstadt lediglich „sozialer Brennpunkt“, für die „Nordstadtblogger“ dagegen eine Fundgrube für interessante Geschichten mit lebendigen Menschen. Für diese Art von Journalismus müssten neue Strukturen geschaffen werden. Ein Grund, warum die Nordstadtblogger sich zum Beispiel im Forum Gemeinnütziger Journalismus engagieren. 

Nachwuchs dringend gesucht

Viele Ältere steigen aus dem Beruf aus, andere wollen gar nicht erst anfangen. Weshalb die Verlage händeringend Nachwuchs suchen. 

Ella Schindler, Kontrapunkt in dieser Aussteigerrunde, kennt einige der Gründe für das sinkende Ansehen des Berufs. Selbst war sie früher Sozialpädagogin, derzeit ist sie bei den „Nürnberger Nachrichten“ für die Volontärsausbildung zuständig. Ob sie schon mal drüber nachgedacht habe, die Fronten zu wechseln, etwa in die PR zu gehen? Ja natürlich, gibt sie zu, schon mit Beginn des Volontariats. Als gebürtige Ukrainerin sei sie „anfangs mit vielen Vorurteilen und Besserwissereien konfrontiert“ gewesen. Aber „das Gras ist woanders auch nicht immer grüner“. Solange sie das Gefühl habe, das, was sie mache, sei gut, wichtig und relevant, werde sie dem Journalismus treu bleiben. 

Andere gehen, machen sich selbstständig, als Moderator*in oder Coach, manche auch in NGOs oder in Pressestellen. Warum gehen Kolleg*innen? Einen Hauptgrund sieht Schindler im gegenwärtig laufenden „massiven Umwandlungsprozess“. Anfangs sei es darum gegangen, „nur“ einen Artikel zu schreiben. Jetzt sei Präsenz auf social media nötig und vieles mehr. In der Folge nehme Arbeitsverdichtung enorm zu und zehre an den Menschen. Dazu das Gefühl mangelnder Wertschätzung. Eine neue Form der Anerkennungskultur müsse aber in den Redaktionen von allen gelebt werden.

Ihr Rezept: „ganz viel Beziehungsarbeit“ mit Volontär*innen. Anders als in der Vergangenheit würden Volos heutzutage „viel stärker begleitet in ihrer Entwicklung“. In intensiven Gesprächen mit Chefredaktion und Volontären würden Charakteristika über jeden einzelnen erstellt. Auf spezielle Wünsche – „gern Außenredaktion, aber nur bei entsprechender Verkehrsanbindung“ – werde Rücksicht genommen, um möglichst die Ausgebildeten an den Betrieb zu binden.

Eher YouTube-Star im Blick

Für viele junge Menschen gilt der Journalismus nicht mehr als Traumberuf. Selbst ein renommiertes Regionalblatt wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erhalte weniger Bewerbungen als früher, registriert die stellvertretende Chefredakteurin Sarah Brasack. „Junge Leute, die ‚was mit Medien‘ machen wollen, möchten vielleicht eher Influencer werden oder YouTube-Star“, sagt sie. Da gelte es, aktiv – auch auf Instagram – mit attraktiven Angeboten auf potentielle Bewerber zuzugehen. 

Diese Erfahrung macht auch Benjamin Piel, seit vier Jahren Chefredakteur des „Mindener Tageblatts“. Das Verhältnis zwischen Zeitung und Bewerbern habe sich faktisch umgekehrt: „Jetzt müsse eher wir uns bei den Leuten bewerben und erklären, warum wir der richtige Arbeitgeber für sie sind“.  In Minden versucht man verstärkt, junge Menschen über Praktika an die Zeitung heranzuführen, „am besten schon in der Schule“. 

Ein Volontärsbetreuer kümmert sich sowohl um die Volos als auch um die Praktikanten.  Auch auf Sonderwünsche potentieller Mitarbeiter*innen werde eingegangen. Wohnortunabhängiger arbeiten? Warum nicht, wenn’s nicht gerade ein „vacation job“ von Barcelona aus ist. Manche Wünsche sind allerdings unerfüllbar. Sportberichterstattung ja, aber bitte nicht am Wochenende? „Sowas ist natürlich weltfremd“, findet Piel, „da muss man auch mal sagen, das geht nicht“.

Auch unregelmäßige Arbeitszeiten schrecken manche Berufseinsteiger vom Journalismus ab. Aufgrund später Andruckzeiten liegt der Arbeitsschluss von Redaktionen einfach weiter hinten als in anderen Berufen. Ein Umstand, der die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert. Die Digitalisierung eröffne aber auch hier Chancen, zum Beispiel durch flexiblere Arbeitszeiten und die Möglichkeit zum Home Office, erläutert Sarah Brasack. Beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ achte man schon länger darauf, „dass eine bessere Work-Life-Balance möglich ist“. 

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