Erfahrungen einer Autorin mit Textagenturen im Internet
Ebbe in der Haushaltskasse, keine Aufträge in Sicht – da muss die Freiberuflerin neue Wege finden, um das nötige Kleingeld aufzutreiben. Unter Suchworten wie „Geld verdienen im Internet“ stoße ich schnell auf die Online-Textagenturen, die neuerdings wie Pilze aus dem Boden schießen. Hier kann jeder als Autor agieren, der von sich glaubt, einer zu sein. Man meldet sich an, absolviert einen kurzen, leicht zu bestehenden Eignungstest und wird mit einem automatisch erstellten Schreiben als neuer Autor im Portal begrüßt.
Nun loggt man sich ein und findet ein wirres Durcheinander von Schreibaufträgen vor: Hier will ein Modedesigner seine neueste Kollektion in einer Pressemitteilung vorstellen, da wird ein Infotext zum Sauerland verlangt, und dort wünscht sich der Betreiber eines Gartenportals einen Beitrag über Dahlienknollen. Alle diese Schreibaufträge werden in einem sogenannten Pool gelistet und harren des Autors, der sie erledigt. Wer immer sich zutraut, den Text zu schreiben, klickt einfach auf „Annehmen“ und hat den Zuschlag. Er schreibt seinen Text, sendet ihn an den Kunden, und wird, wenn dieser zufrieden ist, mit dem zuvor in der Auftragsbeschreibung avisierten Honorar entlohnt.
Die ganze Prozedur läuft völlig anonym und automatisch ab. Der Texter wird nicht namentlich genannt, er hat keine Autorenrechte und keine persönlichen Kontakte, nicht zur Agentur, nicht zu den anderen Autoren, im Regelfall nicht mal zum Auftraggeber. Allerdings gibt es eine Hierarchie: Die Autoren werden in Stufen eingeordnet, über die sie sich hocharbeiten müssen. Die Anfänger rangieren in der untersten Kategorie. Sie erhalten die schlechtesten Aufträge und bekommen dafür das wenigste Geld. Doch jeder Text wird vom Auftraggeber bewertet, und wenn die Bewertungen gut sind, wird man höher eingestuft. Dann winken attraktivere Aufträge, und das Honorar steigt um einige Cent.
„Um einige Cent“ ist ganz wörtlich zu nehmen. Schon die Auftraggeber zahlen Dumpingpreise an die Textagenturen, und von diesen Dumpingpreisen bleiben nur etwa 10 Prozent beim Autor hängen; den Rest streichen die Textagenturen ein. Als ich meinen ersten Text schrieb, flennte ich fast vor Wut und Demütigung. Es war ein zahnärztlicher Fachtext über Wurzelkanalbehandlungen. Der Kunde hatte 250 Worte bestellt, dazu den Einbau von Keywords und Zwischenüberschriften. Dafür winkte ein Lohn von – 2,11 €. Etwa zehn Minuten brauchte ich, um die Auftragsbeschreibung zu studieren. Eine weitere Viertelstunde ging für Netzrecherchen drauf. Dann schrieb ich vielleicht eine halbe Stunde an dem eigentlichen Text, und zuletzt baute ich die Keywords ein, die mich noch mal eine Viertelstunde kosteten. Und das alles für 2,11 €! In meiner Jugend hatte der Beruf des Autors in hohen gesellschaftlichen Ehren gestanden. Wann war er so in Verfall geraten, dass Schreiben schlechter bezahlt wurde als Putzen? Ich war eine Schreibnutte geworden, die sich zum Schnäppchenpreis verkaufte. Tiefer konnte man nicht sinken.
Doch die nächste Miete wollte bezahlt sein, und ich beschloss, den Schreibagenturen eine weitergehende Chance zu geben. Wenn ich Routine bekam und wenn es mir gelang, eine höhere Hierarchiestufe zu erklimmen, verbesserte sich vielleicht mein Stundensatz. Andere Autoren verdienten doch auch bei solchen Agenturen ihr Geld – zumindest wenn man den einschlägigen Chats und Verlautbarungen im Internet glaubte. Agenturen wie Content oder Textbroker beschäftigen Zehntausende Autoren: vom Schüler, der sein Taschengeld aufpeppt, über den Hartz-4-Empfänger, der dem Arbeitslosendasein einen Inhalt gibt, bis hin zum pensionierten Professor, der durch Schreiben sein Gehirn in Schwung hält, alle füttern sie die Textportale. War ich vielleicht etwas Besseres als die?
Ganz dicker Fisch.
Und dann die Auftraggeber! Wer ließ nicht alles über Textagenturen schreiben: bekannte Firmen, große Portalbetreiber! Bei Independent Publishing beispielsweise winkten Aufträge von ComputerBild: Für 9 Euro – ganz dicker Fisch! – konnte man da in 500 Worten bestimmte Handys oder Router in ihren technischen Einzelheiten beschreiben. Ich hatte mir immer vorgestellt, da wären in Redaktionen und Laboren fleißige Fachjournalisten am Werk („So gründlich testet Computerbild“); aber weit gefehlt, es waren nur kleine anonyme Agenturautoren wie ich. Im Grunde war ich doch mit diesem Job im Journalismus angekommen – im Arsch des Journalismus, gewiss, aber auch in einem Arsch kann es lebendig und produktiv zugehen. Vielleicht würde es ja noch ein interessanter Job.
In den nächsten Wochen schrieb ich ein kunterbuntes Gemisch von Artikeln: Heute ging es um den Service „Rent-a-Dirndl“, morgen um Tipps für billigeres Tanken und übermorgen um das Burnout-Syndrom. Ich fand diesen Kontrast von banalen und gewichtigen Themen durchaus reizvoll und lehrreich; doch der Trainingseffekt, auf den ich gehofft hatte, stellte sich auch nach dem zehnten Auftrag nicht ein. Der Zwang, gründlich zu recherchieren und sorgfältig zu formulieren, saß unausrottbar in mir fest und hinderte mich, die Texte mit jener unbekümmerten Routine in die Tastatur zu hämmern, über die andere Autoren offenbar verfügten. Mein Kontostand wuchs nur kleckerweise, und der Gedanke, dass ich für meine Arbeit schlechter bezahlt wurde als eine Näherin in Bangladesh, war eine permanente Demütigung für mich.
Die meiste Zeit fraßen die Kundenvorgaben. Jeder Autor einer Schreibagentur muss seine Kunden über eine eigene Editormaske beliefern, die einen Text erst dann versendet, wenn alle Vorgaben erfüllt sind. Verlangt der Kunde 300 Worte, so muss man auch 300 Worte liefern. Auch wenn der Kunde vielleicht mit 295 Worten zufrieden wäre, die Software lässt sich nicht erweichen. Man muss Füllworte erfinden, oft auch ganze Füllsätze, bis die gewünschte Wortzahl erreicht ist. Und dann die Keywords: Viele Kunden geben eine regelrechte Liste von Wörtern vor, die mehrfach im Text erscheinen sollen. Ich erinnere mich besonders an das Vorwort zu einem Online-Reiseführer für die Schweiz, in dem ich je viermal die Keywords „Schweiz Reiseführer“, „Schweiz Reisen“ und „Schweiz Info“ anbringen musste. Statt frei die Schönheiten der Schweiz zu schildern, drechselte ich Sätze wie: „Wenn Sie in die Schweiz reisen, sollte diese Schweiz-Info nicht fehlen“. Damit wird das Schreiben zu einer Art Knobelaufgabe degradiert, die jedwedes Bemühen um einen gut lesbaren Artikel zunichte macht. Auch trägt das Keyword-Prinzip entscheidend dazu bei, dass in den Blogtexten die Grenzen zwischen Information und Werbung zusehends verschwimmen.
Nicht selten musste ich einen Text erst umschreiben, bevor ihn der Auftraggeber gnädig abnahm – oder war es eine Auftraggeberin? Die Revisionen wurden niemals unterzeichnet. Auch in dieser Hinsicht herrschte strengste Anonymität. Ich denke, diese Leute wissen sehr genau, an welcher Art System sie da beteiligt sind.
Dem Eingriff eines Kunden verdankte ich es auch, dass meine Laufbahn als Schreibsklavin ein abruptes Ende nahm. Es war nicht irgendein Kunde, sondern kein Geringerer als ComputerBild. Eines Tages wagte ich es und schnappte mir einen der 9-Euro-Aufträge, die ComputerBild bei Independent Publishing vergab. Es ging um das Thema „Ebay-Alternativen“. Ein erster Blick ins Netz ergab, dass jede Zeitung und jeder größere Blog bereits einen Artikel zu diesem Thema vorhielt und dass alle diese Artikel ziemlich uniform und langweilig waren. Das kannst du besser, sagte ich mir, und nahm das Thema über einen privaten kleinen Test in Angriff. Doch damit kam ich bei ComputerBild schlecht an: Ein anonymer Mitarbeiter bedeutete mir, ein persönlicher Aufhänger hätte bei ComputerBild nichts zu suchen. Mein Artikel wurde abgelehnt, und das Team von Independent Publishing machte mit mir nicht viel Federlesens. In einem vorgefertigten anonymen Schreiben ließ man mich höflich bedauernd wissen, dass ich für diesen Artikel leider keine Vergütung erhalten könne. Der Kunde hat bekanntlich immer Recht.
Erst durch diese Ablehnung, die erste in meiner jungen Texterkarriere, wurde mir die absolute Rechtlosigkeit klar, in der ich mich befand. Ich war in ein Loch des Rechtsstaats gefallen. Für Internet-Autoren gibt es keine Justiz, schon weil die Beträge, um die sie geprellt werden, so gering sind, dass dafür kein Mensch vor Gericht zieht. Für Internet-Autoren gibt es keine Gewerkschaft, weil die strikte Anonymität, die in dieser Branche Bedingung ist, sie auch untereinander isoliert. Und die Politik gibt es für sie schon gar nicht. Ich glaube kaum, dass irgendein Politiker weiß, was das Wort Online-Textagentur bedeutet. Politiker weinen zwar um jede Friseuse, die einen Stundenlohn von 6,50 Euro bekommt, doch was im Internet geschieht, scheint immer noch verschwommenes „Neuland“ jenseits ihrer eigenen Welt zu sein. Darum können die Betreiber von Textagenturen in ihrem Imperium herrschen wie Despoten und die Autoren zu Leibeigenen degradieren: weil sie niemand daran hindert.
Kein Autorenmangel. Ich nahm diese Erkenntnis zum Anlass, mich endgültig von einem Gewerbe zu verabschieden, das ohnehin nicht geeignet war, mir meine Monatsmiete zu sichern. Die Agenturen nahmen es vermutlich gelassen; an Autoren herrschte schließlich kein Mangel. Und wer weiß: Wären die Prämissen und die Honorare fairer gewesen, womöglich wäre auch ich noch dabei, denn das Jobkonzept als solches ist modern und hat Potenzial. Es steckt nur leider noch in der Phase des unkontrollierten Raubkapitalismus. Darum möchte ich, bevor ich diese Episode meines Lebens schließe, noch ein bisschen träumen von einer alternativen Schreibagentur: einer Schreibagentur, in der die Autoren selbst das Sagen haben, in der sie als Produzenten den Gewinn einnehmen, statt mit Brosamen abgespeist zu werden, in der Transparenz herrscht und in der Autorenrechte garantiert sind. Wer gründet eine solche Textagentur? Open-Source-Verfechter, Netzpioniere, wie wärs? Hier wartet eine echte Herausforderung!