Das große Töröö

Leitmedien und ihre Leitfiguren wie Benjamin Blümchen

Der Bild-Aufmacher Anfang November ist ein journalistisches Lehrstück: „Seid ihr Politiker IRRE?“ In dieser Zeile steckt investigativer Stammtisch, gekoppelt mit hintergründiger Sachaufklärung in Frageform. Und knallharte Fakten schließen sich in den fetten Unterzeilen an: „Münte schmeißt hin – Stoiber will nicht mehr – Große Koalition vor dem Aus? – KEINER denkt an unser Land!“ Nur noch Kai Diekmann ist Deutschland und er kämpft, muss kämpfen! Denn, so Diekmann in einem FAZ-Interview, „Bild ist, um es mit einer Methapher aus der eher linken Ecke zu formulieren, die gedruckte Barrikade der Straße.“

Kai Diekmann streitet nicht alleine an dieser Barrikaden-Front: Spätestens seit dem gemeinsamen Kampf gegen die Rechtschreibreform gibt es ein eingespieltes Team von Spiegel, Springer und FAZ, das mit eindeutigen Wahlkampf-Voraus­sagen, Kolumnen und Analysen eine neoliberale Dreierkette bildet. Und über die Flanken schlagen die beiden Berliner Büroleiter Gabor Steingart (Spiegel) und Hans-Ulrich Jörges (stern) die Bälle kräftig mit nach vorne.

Die Sprache der Straße

Zwar ist der Spiegel schon lange nicht mehr „im Zweifel links“ (Rudolf Augstein), will aber dennoch das „Sturmgeschütz der Demokratie“ (Augstein) bleiben, und so ist es Chefredakteur Stefan Aust gar nicht recht, wenn von einem „Kampagnenblatt für die konservative Truppe“ (Hans Leyendecker) gesprochen wird. Über seinen Freund Michael Jürgs wehrt er sich in der Park Avenue „gegen den Vorwurf, mit der FAZ in Person ihres intellektuellen Herausgebers Frank Schirrmacher und mit Mathias Döpfner, Vorsitzender des Axel-Springer-Verlags, ein nicht etwa heimliches, sondern vielen unheimliches Kartell der Medienmächtigen zu bilden.“

Dabei gibt es für die Spitzenspieler des Medienkartells keinen Grund, in der journalistischen Liga gegen die (noch) amtierenden Politiker den Ball flach zu halten. Denn sie haben eine populäre Kollegin als mächtige Verbündete in ihren Reihen: Karla Kolumna, die rasende Reporterin und engagierte Politik-Kritikerin aus Neustadt, aus der Heimat von „Benjamin Blümchen“ und „Bibi Blocksberg“.

Der Passauer Politologe Gerd Strohmeier hat die seit 1977 und 1980 erscheinenden Hörspiele um den trötenden Elefanten und die fliegende Hexe auf ihre politischen Inhalte und Aussagen hin untersucht und die Ergebnisse jetzt in der Zeitschrift Politik und Zeitgeschehen ver­öffentlicht. Seine Analyse der Neustädter Politik- und Medienwelt: Böse Politiker, gute Bürger und auf deren Seite engagierte Medien! Strohmeier: „Die Politiker werden durch den Bürgermeister von Neustadt repräsentiert, und der ist inkompetent, korrupt und immer nur an seinem eigenen Wohl interessiert. Er lässt sich von seinem Assistenten als ‚Majestät‘ behandeln und übergeht ständig den Stadtrat.“ Ganz klar: Politiker sind irre.

Benjamin Blümchen hingegen ist nicht nur ein sprechender Elefant, sondern er spricht auch die Sprache der Straße, setzt sich engagiert für seine Mitbürger ein und geht einfache, aber ungewohnte Wege. Unterstützung findet er bei Karla Kolumna in „einer Koalition der Guten“. Strohmeier: „Sie vermittelt das Bild einer verantwortungsvollen Reporterin, die da­rauf achtet, dass Wahlversprechen eingehalten und Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Somit ist sie häufig Retterin in der Not. Ihre Ziele verfolgt sie mit der geballten Kraft der Presse.“

Gesellschaftliches Zerrbild

Karla Kolumna ist also „die gedruckte Barrikade der Straße“, das „Sturmgeschütz der Demokratie“ und unterstützt publizis­tisch die „Selbstbehauptungskräfte der Deutschen“, die „daher Merkels natürliche Koalitionspartner“ seien, wie Spiegel-Mann Steingart im Wall Street Journal kühn und engagiert behauptet.

So weit, so stimmig, denn Neustadt liegt an der Spree. Nur, wer ist dieser Benjamin Blümchen wirklich, dass Kai und Karla, Stefan und Frank ihn so tatkräftig hoch schreiben. Vordergründig ist er eine kleine radikale Minderheit. Doch die Grünen sind sicherlich nicht gemeint, Gysi und Lafontaine schon gar nicht. Vielmehr ist Benjamin Blümchen einer, der tapfer seinen Weg geht, einer, der nicht aufgibt, auch wenn die Lage aussichtslos erscheint. Denkt er an Neustadt, so denkt er „an unser Land“. Er ist Deutschland.

Politologe Strohmeier sieht in den Neustädter Verhältnissen ein gesellschaftliches „Zerrbild“, das „aus politikwissenschaftlicher Sicht keineswegs das Prädikat wertvoll’“ verdiene. Doch über 60 Millionen verkaufte Kassetten können nicht irren und müssen als besonders wertvoll eingestuft werden. Das sieht auch Kai Diekmann so, wenn er sich auf seinen verstorbenen Konzern-Chef beruft: „Wer wissen will, was los ist, muss auf die Abstimmung am Kiosk gucken.“

Benjamin Blümchen ist also die neue Leitfigur für unsere vermeintlichen Leitmedien. Und vielleicht wird er sogar demnächst in den Rang eines „Botschafters“ der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ erhoben und erobert nicht nur Karla Kolumnas, sondern noch viel mehr Redaktionsstuben. Dann ist wirklich „Arschlochalarm“ (Tom Schimmek in der taz) in den Medien angesagt, denn dann wird es richtig losgehen mit dem ganz großen Töröö.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Journalismus unter KI-Bedingungen

Digitalkonzerne und Künstliche Intelligenz stellen Medienschaffende vor neue Herausforderungen. „KI, Big Tech & Co. – was wird aus dem Journalismus?“ lautete folgerichtig der Titel der 11. Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 16. Oktober in Berlin. Über 80 Wissenschaftler*innen, Rundfunkräte und Journalist*innen informierten sich auch über den aktuellen Stand der Debatte über den neuen Medien“reform“staatsvertrag.
mehr »

Mit Perspektiven gegen soziale Spaltung

Die Berichterstattung über den Nahostkrieg zwischen Staatsräson und Menschenrechten ist heikel, denn die Verengung des Diskurses begünstigt einen Vertrauensverlust der Medien und die soziale Spaltung in Deutschland. Beides wird durch den politischen Rechtsruck befeuert. Grund genug, den medialen Diskurs genauer unter die Lupe zu nehmen.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »