Wie Journalisten beim Widerstand gegen den Castor-Transport nach Ahaus für Action sorgten und Desinformation betrieben
Für den RTL-Reporter ist die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn beim Anti-Castor-Widerstand im westfälischen Ahaus kein Thema. Unwirsch tippt er seinem Kameramann auf die Schulter, der angestrengt die Grüne im gelben Regenmantel focussiert, wie sie abseits einer Straßenblockade über optimierte Deeskalationsstrategien räsoniert. „Das ist doch nur Politikscheiß. Das interessiert mich nicht. Mach mal aus!“, stoppt der ungehaltene RTL-Reporter seinen Kameramann. Seit den frühen Morgenstunden ist er im Einsatz. Und noch immer spritzen keine Wasserwerfer, sprüht kein Reizgas, fließt kein Blut. „Was is’n das hier für’n Widerstand?“, mault der gereizte Reporter mit der Ministerin über die flaue Protestszenerie.
Von dem Trick der Polizeistrategen, die den umstrittenen Castor-Transport nach Ahaus Mitte März um etliche Tage vorgezogen hatten, um bei den angekündigten Widerstandsaktionen größere Kollisionen zu vermeiden, fühlen sich die Demonstranten ebenso überrumpelt wie manche Medienvertreter. Die einen sehen sich um ihr Recht auf Protest gebracht, die anderen um kesselnde Actionbilder und fetzige Schlagzeilen. Aber dürfen Journalisten aus lauter Enttäuschung über einen gelungenen Polizei-Coup gleich ihre Professionalität aufgeben und jede Distanz verlieren?
Leichtfertig verbreiteten Journalisten aus Ahaus Tartarenmeldungen selbsternannter Initiativensprecher, der grüne Münsteraner Polizeipräsident Hubert Wimber habe sein Amt niedergelegt und die Einsatzleitung an Innenminister Franz-Josef Kniola (SPD) abgegeben. Selbst die aus einem Lautsprecherwagen der Spontigruppe „Graswurzelrevolution“ lancierte Ankündigung, bereits vier Tage später werde ein weiterer Castor-Transport nach Ahaus rollen, machte als Agentur-Meldung republikweit Karriere. Desinformation war Trumpf.
„Ich habe den Schlagstockeinsatz im O-Ton“
„Ich melde mich hier mitten aus dem Kessel“, trompetete der Reporter von „Radio NRW“ aus sicherer Abseitsstellung vom Demonstrantenpulk über den Äther. „Ich habe den Schlagstockeinsatz im O-Ton“, triumphierte der Mitarbeiter eines westfälischen Lokalsenders, noch bevor der erste Schlagstock in Ahaus gezogen wurde. Da bleiben die unterschiedlichsten Wahrnehmungen nicht aus. Während ein Teil der professionellen Beobachter einen moderaten Polizeieinsatz ausmachte, erblickten andere „bürgerkriegsähnliche Zustände“ und vermeldeten „Ausnahmezustand in Ahaus“.
In der Hektik machte sich Hybris breit. Während der Castor auf Ahaus zurollte und es an den Schienen tatsächlich zu Ausschreitungen, Wasserwerfereinsätzen und Festnahmen kam, waren aufgeregte Journalisten stundenlang mit Recherchen beschäftigt, ob in Ahaus die Toten Hosen festgenommen wurden. Vorsichtshalber hatten sie es schon einmal gemeldet. Und während Campinos angebliche Festnahme beim Castor-Widerstand die halbe Republik erschütterte, sang der live auf der Ladefläche eines Lkw unmittelbar an den blockierten Bahngleisen „Armee der Verlierer“ und widmete das Lied „den grünen Jungs hier“.
„Die Schlacht von Ahaus“
Was für die einen „Happening“ und „Volksfeststimmung“ war, entpuppte sich bei anderen, wie dem Kölner „Express“, als „die Schlacht von Ahaus“. Das Kölner Boulevardblatt hatte den Kriegsberichterstatter Robert Schneider an die Castor-Front geschickt: „Ich habe zwei Tage Ahaus hinter mir, so viele Polizisten wie noch nie gesehen und die Lippen brennen wie Feuer. Die Bilder der Schlacht von Ahaus. Ich krieg’ sie nicht aus dem Kopf“, gesteht er seinen Lesern. Und je weiter das Ereignis weg ist, desto besser kann sich der „Express“-Reporter erinnern. Im Sonntags-„Express“ berichtet er zwei Tage nach dem Ereignis: „Jetzt knallt’s denke ich. Übermüdete Polizisten – haben sie sich unter Kontrolle? In der Gewalt? Ein Feuerwehrmann läuft vorbei auf dem Bürgersteig. Einfach so, er ist nicht gewalttätig. Ich drehe mich nach ihm um. Er liegt unter einem parkenden Auto, überrant von vorwärtsstürmenden Polizisten. Anwohner holen den Verletzten vor.“ Für die Schilderung dieser dramatischen Szene hatte „Express“-Reporter Schneider in der Samstagsausgabe noch einen Anonymus als Quelle bemühen müssen: „Augenzeugen berichteten, daß die Polizisten sogar einen Feuerwehrmann zusammenschlugen.“
Kritische Aufarbeitung – wen interessiert’s
Als „die Schlacht von Ahaus geschlagen ist“ („Express“), verlassen die Journalisten eilig das Feld. Die Wahrheit will offenbar keiner mehr wissen. Alleine die linksalternative Berliner „tageszeitung“ bemüht sich um Aufklärung. Hat es in Ahaus – entgegen der Darstellung der Polizeiführung – den Einsatz von Tränengas gegeben? Wurde beim Showdown des Castor-Transports in der Dunkelheit von Polizisten wahllos auf Demonstranten eingeprügelt? Haben die als besonders aggressiv geltenden Berliner Einsatzkräfte Zusammenstöße und Festnahmen provoziert?
Polizeipräsident Wimber windet sich. Er habe für solcherlei Behauptungen bislang „noch keinerlei Erkenntnisse“. Der Castor-Einsatz, eine der bundesweit größten Polizeiaktionen der Nachkriegsgeschichte mit rund 20000 Beamten, solle kritisch aufgearbeitet, aus „unprofessionellem polizeilichem Verhalten“ die „notwendigen Konsequenzen“ gezogen werden. Nur: Werden diese Ergebnisse noch Schlagzeilen machen?