Denunzianten und nützliche Idioten

„Stasi und Westmedien“ – zum „Enthüllungsbuch“ von Hubertus Knabe

Muss die Geschichte der bundesdeutschen Medien teilweise umgeschrieben werden? Nur der beharrlichen Wühlarbeit der Stasi in den Medien der Bundesrepublik sei es zu danken, dass die DDR im Laufe der Jahrzehnte in immer rosigerem Licht erschien. So lautet eine der Thesen des Historikers Hubertus Knabe in seinem jüngsten Werk „Der diskrete Charme der DDR – Stasi und Westmedien“. Quod erat demonstrandum.

Hubertus Knabe wunderte sich. Er fragte sich, wieso das DDR-Bild in westdeutschen Medien sich zunehmend positiver gefärbt hatte. Noch in den fünfziger Jahren sei vom „rotlackierten Faschismus“ die Rede gewesen. Bis zur Mitte der achtziger Jahre dagegen habe die DDR es geschafft, sich als „zehntgrößte Industrienation der Welt“ zu verkaufen. Das gab dem Historiker zu denken. Und so forschte er dank seines privilegierten Zugangs zu unzensierten Stasi-Akten – er war von 1992 bis 2000 in der Forschungsabteilung der Gauck-Behörde tätig – nach den Gründen. Und kam zu dem Ergebnis, dass sich westdeutsche Journalisten in geradezu erschreckender Weise an die SED-Diktatur angebiedert hätten. Nun könnte man einwenden, dass die veränderte Berichterstattung auch etwas zu tun hatte mit realen politischen Veränderungen, auch im Verhältnis der beiden damaligen deutschen Teilstaaten zueinander. Von der antistalinistischen Außenpolitik Konrad Adenauers bis zur Ost- und Entspannungspolitik Willy Brandts führte schließlich ein weiter, positiver Weg. Der möglicherweise auch Einfluss auf das spätere Schicksal der DDR hatte. Aber von solchen Differenzierungen mag Knabe nichts wissen. Ihn interessiert ausschließlich die Frage, mit welchen Methoden die SED-Führung, und hier vor allem das Ministerium für Staatssicherheit Einfluss auf des DDR- „Bild“ im Westen nahm. Und hier kommt er allerdings zur einer Reihe von interessanten Erkenntnissen.

In seiner Studie beschreibt er eindrucksvoll das weitverzweigte Netz der Inoffiziellen Mitarbeiter, Einflussagenten und Kontaktpersonen, schildert, wie West-Journalisten von der DDR mit Belastungsmaterial über westdeutsche Politiker gespickt wurden. Dabei wartet er zuweilen mit amüsanten Ankdoten auf. Etwa über den ehemaligen Vorsitzenden der Westberliner Pressekonferenz, Karl-Heinz Maier – „IM Komet“, über den Eberhard Diepgen nach seinem Tod die vorausschauenden Worte fand, dass man sich eines Tages der Zeit entsinnen werde, „als Karl-Heinz Maier mit Umsicht und menschlicher Wärme den Regierenden ihre Geheimnisse entlockte“.

Zur Feindbekämpfung zählten auch gezielte Diskreditierungskampagnen gegen DDR-kritische Medien, wobei das Spektrum von der alternativen taz bis zum Axel-Springer-Verlag reichte. Und so mancher Kollege mag erschrocken registrieren, mit welcher Beharrlichkeit es der Stasi gelungen war, zumindest partiell Einfluss auf diese Medien auszuüben. Doch genau hier fangen die Probleme an.

Verzicht auf Gegenrecherche

Fragwürdig erscheint vor allem Knabes Umgang mit den Quellen, beziehungsweise der Quelle. Denn das einzige Material, auf das der Autor sich stützt, sind die Stasi-Akten, aus denen er während seiner langjährigen Mitarbeit reichlich Honig saugte. Akten, die inzwischen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes später teilweise geschwärzt wurden. Mehr als 1000 Klar- und Decknamen tauchen in seinem Buch auf. Immerhin drei Dutzend westdeutsche Journalisten, so behauptet der Autor, habe er namentlich identifizieren können. Wobei er einige aus rechtlichen Gründen wieder habe anonymisieren müssen. Eine Gegenrecherche bei belasteten Journalisten habe er im Zweifelsfall nicht in Erwägung gezogen, um mögliche juristische Scharmützel vor der Publikation seines Buches zu vermeiden. Originalton Knabe bei der Präsentation des Werks: „Ich habe mich gefreut über jeden toten Journalisten, weil ich wusste, dass es dann einfach weniger rechtliche Risiken gibt, wenn man hier aus den Akten zitiert.“ Wer so redet, weckt den Verdacht, ihm dienten die Stasiunterlagen lediglich als Folie für die Illustration seiner Thesen.

Die noch Lebenden freilich können sich wehren. Wie zum Beispiel Manfred Bissinger, der heutige Herausgeber der „Woche“, dem Knabe in einem vorab in der FAZ und Springers „Welt“ publizierten Aufsatz im Zusammenhang mit einer kritischen „Stern“-Geschichte über den Verleger Axel Springer vom November 1967 Kollaboration mit der Stasi unterstellt hatte. Knabe: „Dass die DDR auch bei diesem mit vielen Interna gespickten Artikel ihre Finger im Spiel hatte, ist jedenfalls nicht auszuschließen.“ Eine Formulierung, mit der man alles und jeden unter Generalverdacht stellen kann. Bissinger sah sich bei seiner beruflichen Ehre gepackt. Er ging vor Gericht und bekam Recht – die inkriminierte Aussage musste für die Buchfassung in aller Eile korrigiert werden. Besonders sauer war Bissinger darüber, dass Knabe „einfach hergeht und Leute beschuldigt, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, vorher mit ihnen darüber zu reden“.

Knabes spezielle Methode der Akteninterpretation grenzt nicht allein im Fall Bissinger an Denunziation. Selbst Persönlichkeiten wie Egon Bahr, Marion Gräfin Dönhoff oder der frühere „Kennzeichen-D“-Chef Hanns Werner Schwarze werden so mit Verdachtsmomenten möglicher Stasi-Zuarbeit belegt. Die Beweise dafür bleibt Knabe in allen genannten Fällen schuldig.

Für den „Woche“-Herausgeber ist der Historiker daher schlicht ein „Denunziant und Geschichtenerfinder“. Weiterhin behaupten darf Knabe allerdings, der „Stern“ sei damals bereit gewesen, „propagandistisch aufbereitete Materialien aus der DDR zu verwenden“. Bissinger räumt ein, dass der „Stern“ DDR-Material genutzt hat. Dabei habe jedoch Henri Nannens Devise gegolten: „Es ist vollkommen egal, woher das Material kommt, von mir aus vom Teufel, nur echt muss es sein.“

Knabe macht solche Unterschiede nicht. Dass ein politischer Akteur der alten Bundesrepublik mit aus der DDR zugespielten Dokumenten an den Pranger gestellt wird, gilt ihm offenbar per se als unzulässig und empörend. So taucht bei ihm Hans Globke, immerhin Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, stereotyp lediglich als „Bonner Staatssekretär“ der Adenauer-Regierung auf. Die Denunziation restaurativer Tendenzen in der Bundesrepublik mit Hilfe von DDR-Materialien erscheint so schlimmer als die Rückkehr der Altnazis.

Zwanghafte Züge

Der Eifer, die Wühlarbeit der Stasi bloßzustellen, nimmt bei Knabe mitunter zwanghafte Züge an. Die DDR, darauf läuft seine Argumentation hinaus, sei ein diktatorischer Unrechtsstaat gewesen, jeder Anflug von Diplomatie gegenüber dem Regime oder jede Bereitschaft zur Kooperation daher nur ein verdammenswerter Beitrag zur Verlängerung ihrer Existenz. Punkt. Besonders deutlich wird diese Methode an seiner Analyse der Anti-Springer-Kampagne vom Ende der sechziger Jahre. Zwar weist er nach – was größtenteils schon seit längerem bekannt war – dass im Umfeld des Sozialistischen Studentenbundes (SDS) Zirkel agierten, die für Stasi-Einflüsterungen durchaus anfällig waren. Dazu gehörte etwas der Republikanische Club, in dem Publikationen wie das „Extra-Blatt“ und der „Berliner Extra-Dienst“ erschienen. Beim „Extrablatt“ handelte es sich um das Experiment einer unregelmäßig erscheinenden linken Boulevard-Zeitung. Die legendäre Nachfolgepublikation Berliner Extra-Dienst (ED) war ein dünnes Heft im DinA-5-Format, das zweimal wöchentlich erschien und als Sprachrohr der gewerkschaftlich orientierten, traditionalistischen Linken über einigen Einfluss verfügte. Schlüsselfiguren beim ED waren der frühere „Vorwärts“-Chef vom Dienst Carl „Charly“ Guggomos und sein Geschäftsführer Walter Barthel. Barthel – Deckname „Kurt“ – war bereits Ende der 50er Jahre vom MfS zur Ausforschung des SDS angeworben worden und hatte sich später mit Zustimmung der Stasi auch vom bundesdeutschen Verfassungsschutz verpflichten lassen. Auch Guggomos, so will Knabe unter Berufung auf Aussagen ehemaliger MfS-Mitarbeiter wissen, habe als IM „Gustav“ für die Desinformationsabteilung der MfS-Hauptverwaltung A gearbeitet. Frühere Mitarbeiter wie Hannes Schwenger haben nach der Wende teilweise erst aus den Stasi-Akten erfahren, wie knapp sie der „Firma“ von der Schippe gesprungen waren.

Hing der ED am Tropf der Stasi? Seinen Inhalten sieht man es nicht unbedingt an. Das kleinformatige Heft berichtete früh über Umweltkatastrophen in den Ländern des realen Sozialismus, galt als Forum der Eurokommunisten, ärgerte die DDR mit Veröffentlichungen von Systemkritikern wie Rudolf Bahro oder Wolfgang Harich. Die Parteizeitung der Westberliner SEW, „Die Wahrheit“ diffamierte den ED schlicht als parteifeindlich oder gar CIA-gesteuert. Knabes Verdikt, die gesamte Publikation als Stasi-gesteuert abzuhaken, geht demnach ins Leere.

Dass es etwa für die Studenten und liberale Medien Gründe gab, gegen den Springer-Konzern anzugehen, lässt Knabe nicht gelten. In seiner bornierten, eindimensionalen Betrachtung agierten sie entweder als gekaufte Spitzel oder nützliche Idioten der Stasi. Weitgehend ausgeblendet wird bei dieser Sichtweise die maßlose publizistische Hetze, die die auflagenstarken Blätter des Konzerns – allen voran „Bild“ und BZ – gegen die Außerparlamentarische Opposition betrieben. So empfahl „Bild“ bereits 1966 „Polizeihiebe auf Krawallköpfe, um den möglicherweise doch vorhandenen Grips locker zu machen“. Anregungen, bald umgesetzt wurden: am 2. Juni 1967 mit der Erschießung Benno Ohnesorg durch den Berliner Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras, am 11. April 1968 mit dem Attentat des Malergesellen Josef Bachmann auf Rudi Dutschke. Selbst der damalige „Bild“-Chefredakteur Peter Boehnisch räumt heute selbstkritisch ein, dass es „damals bestimmte Übertreibungen in der Springer-Presse gegeben hat“. Er führt dies auf die „gegenseitige Sprachlosigkeit“ zurück: „Die (Studenten, d.V.) haben geglaubt, wir wollen Reaktion und Restauration, und wir haben geglaubt, sie wollen die Demokratie zerstören.“ Knabe dagegen flicht Springer geradezu einen Lorbeerkranz: dieser habe „maßgeblich dazu beigetragen, Freiheit und Demokratie“ gegen ein demokratiefeindliches Bündnis aus Kommunisten, APO und Stasi „zu verteidigen“.

Einseitig

Wenig Raum schenkt Knabe übrigens den Problemen, die den Springer-Verlag selbst mit gewissen Stasi-Altlasten plagen. Etwa der unendlichen Geschichte eines Klaus-Dieter Kimmel, zur Zeit stellvertretender Chefredakteur der „BILD“-Zeitung“. Der sinnigerweise für die neuen Länder zuständige Kimmel hatte im November 1999 seinen Posten bei „BILD“ räumen müssen, nachdem er als „IM Fuchs“ enttarnt worden war. Der neue „BILD“-Chef Kai Diekmann indessen holte ihn im April dieses Jahres zurück. „Woche“-Herausgeber Bissinger: „Man stelle sich vor, in der Chefredaktion des „Spiegel“, der „Woche“ oder des „Stern“ säße ein Stasi-IM. Der würde ja geifern, der Herr Knabe!“ Mit neuen Vorwürfen wegen der Spitzeltätigkeit seines hochrangigen Mitarbeiters konfrontiert, hat die „BILD“-Chefredaktion übrigens unlängst ein Gutachten zum Fall Kimmel in Auftrag zu geben. Auftragnehmer: Hubertus Knabe.

Knabes Studie ist im Propyläen Verlag der Econ Ullstein Gruppe, die wiederum zum Springer-Konzern gehört, erschienen. Der Verdacht drängt sich auf, hier könne ein ehrgeiziger Historiker von Springer instrumentalisiert worden sein, Weißwäscherei für die nicht immer rühmliche Geschichte des Verlags zu betreiben. Knabes Buch passt zudem außerordentlich gut zum derzeitigen Trend, die politische Vergangenheit der Achtundsechziger- und Streetfighter-Generation nachhaltig zu entsorgen. Ein Trend, bei dem die Springer-Presse mal wieder die Führungsrolle übernommen hat – zum Beispiel bei der Kampagne gegen die Minister Jürgen Trittin und Josef Fischer. Über die Rolle nützlicher Idioten in der Historie wäre demnach noch nicht abschließend entschieden.


 

Hubertus Knabe
Der diskrete Charme der DDR
Stasi und Westmedien
Propyläen Verlag
Berlin/München 2001
504 Seiten, DM 49,90

 

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