Der Druck wächst: Zu Wasser, zu Lande und in der Luft

Glosse

Doch, doch, auch ich bin begeistert von meiner Zunft: Da wird ja endlich wieder recherchiert und enthüllt und ausgegraben! Ich gucke alles und lese alles und freue mich über die gnadenlos und schonungslos aufgedeckten Sümpfe, in denen gewaschenes Geld vor sich hin stinkt. Ich bin glücklich über den Kollegen, der im „Sumpf nur die Spitze des Eisbergs“ glitzern sieht (da muss man erst mal drauf kommen!).

Obwohl ja Journalisten/innen grundsätzlich von allem was verstehen, gebe ich aber offen zu: Leider verstehe ich nichts von Physik. Sonst könnte ich nämlich jetzt vorrechnen, bei wie viel Druck irgendetwas bricht, platzt oder knallt. Ich werde das wahrscheinlich lernen müssen, weil die mangelnde Phantasie meiner Kolleginnen und Kollegen (der Mensch mit der Spitze des Eisbergs im Sumpf natürlich ausgenommen) mich dazu zwingt. 397 Mal habe ich seit November nun gelesen und gehört, dass „der Druck wächst“ – wahlweise auf die CDU, auf Schäuble, Kanther, Kohl. Jede Wette – „Jetzt, jetzt, jetzt kommt es: Der Druck auf xy wächst!!! Wetten?“ – habe ich gewonnen. Er wächst, dieser ominöse Druck, seit November etwa fünfmal täglich, und deshalb vermisse ich meine physikalischen Kenntnisse so schmerzlich: Immerzu wächst er, dieser Druck und nichts platzt, knallt oder bricht. Möglicherweise hat das etwas mit dem etwa 236 Mal registrierten und in Schlagzeilen gegossenen „Hochdruck“ zu tun, unter dem „aufgeklärt“, „untersucht“ und „befragt“ wird. Ich stelle mir jetzt einfach vor, dass, wenn mit Hochdruck gearbeitet wird, der Druck wächst und sich das gegenseitig aufhebt, sprich: Hochdruck mal Druck ergibt Null. Es könnte aber auch so sein, dass grundsätzlich bewegliche Körper einfach nicht auf wachsenden Druck reagieren, erst recht, wenn sie gleichzeitig unter Hochdruck stehen. Denn die unter Druck und Hochdruck agierenden Nullen bewegen sich ausweislich der Fernsehbilder ständig zu Wasser, zu Lande und in der Luft, während sie Geld waschen, finden oder verstecken. Ich gebe ja zu, dass ich nicht nur nichts von Physik, sondern auch wenig vom Fernsehmachen verstehe und trotzdem einsehe, dass Schweizer Konten, schwarze Gelder, private Flüge und Geldwäsche sich schlecht visualisieren lassen. Aber warum muss ich 698 Mal mitansehen, wie der Herr Weyrauch im Zwielicht sein Garagentor schließt? Was will man mir damit symbolisieren? Klappe zu, Schotten dicht oder: Auch ein CDU-Finanzberater kann sich keine Fernbedienung für sein Garagentor leisten? Warum muss ich 724 Mal den Herrn Schäuble in immer denselben Aufzug rollen sehen – einsam und verlassen wohlgemerkt, diese tragische Botschaft verstehe ich ja, aber warum wurde mir kein einziges Mal von diesen 724 Malen gezeigt, ob der Aufzug unter dem wachsenden Druck nun rauf oder runter fährt? Erst dann hätte ich doch die Symbolik richtig kapiert! Auch die ständig wiederholte Bootsfahrt eines gewissen Herrn Holzer im Freizeithemd, etwa 188 Mal auf dem Bildschirm, bringt mich an den Rand des Wahnsinns. Wieso kann der sich mit den 47 Millionen Mark von Elf Aquitaine keine Segeljacht leisten und schippert ständig durch „Frontal“, „Monitor“ oder „Report“ mit seinem lächerlichen Ruderbötchen über ein zudem nicht identifizierbares Gewässer? Bei den 327 Malen, bei denen Frau Brüman-Grüling (oder wie die heißt, mir wurden etwa sechs verschiedene Versionen angeboten, interaktives TV ist das wohl) bei denen jedenfalls diese merkwürdige viereckige Person in zu engen Pumps und einem schlecht sitzenden Kostüm und mit Nackenstarre nach links eine verdatterte Ehrenformation der Bundeswehr abtrippelte, habe ich vergeblich nach dem Zusammenhang mit den paar Hunderttausend Mark gesucht, die sie für eine irgendeine Beratung erhalten haben soll. Höchstens könnte das heißen, dass Frauen, auch wenn sie geschmiert werden, sich weder ein Boot, noch einen Fahrstuhl, noch eine Garage leisten können. Da lobe ich mir die nur 93 Mal, bei denen mir das Türschild des Ex-Kanzlers herangezoomt wurde: „H.K.“. Das war ein absolut überraschendes Bild – keine Fortbewegung, keine Person, kein Druck, nur ein Aufdruck, der auch „Hier Kohle“ oder „Heiße Kassen“ heißen konnte, das war richtig lustig. Immerhin ist aber auch der „H.K.“ mehrfach massig in ein für ihn zu kleines Auto gestiegen und hat insofern die schwer symbolisch gemeinte Bebilderung fortgesetzt. Einer ging immer zu Fuß durchs Bild, der knubbelige Herr Schreiber samt Mütze und Plastiktüte. Der hat wahrscheinlich von all den gedrückten Nullen das meiste Geld und kann sich dann nicht mal ein Boot, einen Fahrstuhl oder ein Auto leisten? Oder wenigstens eine anständige Mütze. Herr Kiep übrigens sprang in der Presse 1003 Mal mit einem Koffer über einen Zaun. Das fand ich Klasse von den Kollegen: Flucht mit dem Geldkoffer über die Schweizer Grenze, das erschloss sich mir unmittelbar. Fehlte nur die Schlagzeile: „Der Luftdruck unter Kieps Füßen wächst“.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Innovatives Arbeiten im Journalismus

Flache Hierarchien, flexible Workflows und rollenbasierte Teamarbeit sind Kernelemente von agilem Arbeiten. Das Konzept stammt aus der Softwareentwicklung und hält inzwischen auch im Journalismus Einzug. Die Studie „Agiles Arbeiten im Journalismus: Einführung, Anwendung und Effekte von agilen Methoden in deutschen Medienhäusern“ untersucht, wie deutsche Medienhäuser agile Arbeitsmethoden in den redaktionellen Arbeitsalltag integrieren.
mehr »

Rundfunkfinanzierung in der Sackgasse

Bisher war Einstimmigkeit gefordert, wenn es um rundfunkpolitische Fragen ging. Die Ministerpräsident*innen der Länder sollen gemeinsam agieren, zum Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Kein einfaches Unterfangen, wenn es um das Thema Rundfunkfinanzierung geht. Dass diese Praxis nun überarbeitet wird, ist Ausdruck einer Krise – wenn nicht der Demokratie, dann doch zumindest der Rundfunkpolitik der Länder.
mehr »

Datensparsame Audio-Transkription

Interviews führen macht Spaß. Auf das Vergnügen folgte jedoch traditionell das mühsame manuelle Transkribieren des Gesprächs. Dank KI entfällt dieser Schritt. Das kostenlose Programm ersetzt das Abtippen von Interviews. NoScribe ist langsamer als kommerzielle Dienste, garantiert aber eine maximale Vertraulichkeit von Daten.
mehr »

Berichten über LSBTIQ-Themen

Wenn queere Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans und inter Menschen) Beiträge über sich in Zeitungen lesen oder im Fernsehen gucken, kommen sie manchmal aus dem Staunen nicht heraus. Egal ob Boulevard, Qualitätspresse oder Nachrichtenagenturen: Regelmäßig gibt es Schlagzeilen über das „Homosexuellen-Milieu“ und ungelenke Formulierungen wie „Homosexuelle und Lesben“ oder „bekennende Bisexuelle“ und „Menschen im falschen Körper“. Ein kollegialer Leitfaden zeigt, wie es besser geht.
mehr »