Der Kampf um Alternativen – 25 Jahre taz

Erinnerungen und Reflexionen, subjektiv und keineswegs von bleibendem Wert

Wahrscheinlich war es im Herbst 1978. Ich musste erst am frühen Nachmittag in die Redaktion des „Berliner Tagesspiegel“ und schob meinen Sohn im Kinderwagen durch die Suarezstraße in Charlottenburg. Wenige Schritte von meiner Wohnung entfernt gab es einen räudigen, dunklen Laden, dessen schmutzig gelb gerahmtes Schaufenster mich anzog. Die Gründungsinitiative für eine neue Zeitung, links, radikal, ökologisch usw. hatte dort ihre Papiere ausgehängt.

Ein junger Mann stand vor der Tür und erklärte, es ginge um nichts weniger als eine Alternative zum staatstragenden Journalismus, und ich könne bei der AG Betrieb und Gewerkschaft mitmachen. Der junge Mann hieß Michael Sontheimer, heute beim „Spiegel“. Andere sind beim „Stern“, auch bei Springer, bei Rundfunk und Fernsehen, also fast überall. Irgendwie sind die meisten von ihnen „tazler“ geblieben, gibt es ein loses, informelles, aber durchaus mobilisierbares taz-Ehemaligen-Netzwerk in der deutschen Medienszene.

25 Jahre wird die taz am 17. April 2004 – so alt waren damals, 1979, viele von denen, die sie mit gegründet haben. Es waren kaum Journalisten dabei, die meisten kamen aus dem Studium, einige waren arbeitslos. Berufserfahrung? Eher die Ausnahme. Kapital? 7.000 kümmerliche Vorausabonnements und die Idee, einen ganz neuen Journalismus, eine neue Öffentlichkeit, eine Zeitung ohne Hierarchie und Profit, ein Blatt für unterdrückte Nachrichten und Menschen machen zu wollen. Die taz – das war zu Anfang eher eine bundesweite Bürgerinitiative als ein Zeitungsbetrieb. Genau deshalb war ihre Gründung – anders als die vom traditionslinken Spektrum getragene Konkurrenzgründung „Die Neue“ – erfolgreich, ist sie zu einem unverzichtbaren Teil der deutschen Medienlandschaft geworden.

Die „Neue“, von erfahrenen linken Journalisten wie Charly Guggomos, Martin Buchholz und Horst Thormeyer gemacht, war nach kurzer Zeit wieder am Ende – weil sie nichts Neues bot, keine neue politische und publizistische Idee, keine radikale Auseinandersetzung mit dem Stammheim-Staat und den autoritären Traditionsbeständen innerhalb der Westlinken. Die taz dagegen wurde zum Medium der sozialen Bewegungen, der Ökologie- und Frauenbewegung, der Proteste gegen die autoritäre Deformation des Rechtsstaats in der Auseinandersetzung mit dem RAF-Terrorismus. Die taz war Teil und Träger eines gesellschaftlichen Veränderungs- und Lernprozesses, wie die Grünen, die Ökoläden und die Hausbesetzer von Berlin. Ihre größte Wirkung bestand darin, die anderen Medien verändert zu haben.

Konfliktträchtiger Prozess

Genau dies aber ist zum Problem der jungen Zeitung geworden. Ihr Monopol auf bestimmte Themen hat sie schnell verloren, ihre bewusste Subjektivität fand auch in den anderen Medien Nachahmer, ihre Parteilichkeit und Radikalität konnte zum Verlust publizistischer Unabhängigkeit und ins Auflagenghetto einer kleinen politisierten Bewegungsszene führen. Die Zeitung, die sich ihren „Markt“ durch bewusste Abgrenzung von der öden Professionalität der „seriösen“ Medien geschaffen hat, konnte nur überleben und sich weiterentwickeln, wenn sie selbst zu einem hochprofessionalisierten Medium wurde – ein schmerzlicher, konfliktträchtiger und krisenanfälliger Prozess, der sich über mehr als zehn Jahre hinzog.

Eines Tages kamen der IG-Medien-Vorsitzende Detlef Hensche und sein Pressesprecher Hermann Zoller, um mit uns zu diskutieren. Die Gewerkschaften beäugten die neue Zeitung misstrauisch: zu chaotisch, zu apparatfeindlich, den neuen statt den alten sozialen Bewegungen verbunden und – noch schlimmer – ohne Tarifverträge. Gut, dass kein gewerkschaftlicher Arbeitsschutzexperte dabei war. Die Redaktionsräume in der Weddinger Wattstraße waren angefüllt mit wackeligen Sperrmüllmöbeln, nicht abgewaschenen Kaffeetassen, verstaubten Papierstapeln und jeder Menge Leuten, die ohne reguläres Arbeitsverhältnis arbeiteten. Die Diskussion mit den Gewerkschaftern war weniger konflikthaft als ich es erwartet hatte. Es muss ihnen schnell klargeworden sein, dass sie nur eines haben konnten, entweder die Zeitung oder einen regulären Tarifvertrag für die Beschäftigten. Sie entschieden sich für die Zeitung.

Die Gründungsgeschichte der taz könnte ein Lehrbeispiel sein für intelligente Mittelstandsförderung. Denn die taz ist – heute dürfen wir das schreiben – nicht nur durch den Idealismus ihrer Gründungsmitglieder, sondern auch durch massenhaften Betrug am Sozialstaat entstanden. Ich weiß nicht, wieviele Leute ihr Arbeitslosengeld, ihr Bafög, ihre Sozialhilfe in die taz gesteckt haben. Arbeitslos jedenfalls waren sie nicht. Ohne diese nicht ganz legalen „Lohnkostenzuschüsse“ hätte das Projekt wohl kaum das erste halbe Jahr überlebt. Später in den achtziger Jahren erwies sich die taz in der stagnierenden Westberliner Wirtschaftslandschaft als eine der erfolgreichsten „job-Maschinen“. An Tariflöhne war allerdings auch dann nicht zu denken. Heute gibt es einen Haustarifvertrag mit ver.di.

Wertgebundene Aufklärung

Lange Zeit war die taz die einzige erfolgreiche Neugründung einer Tageszeitung in der Bundesrepublik. Inzwischen ist eine weitere hinzugekommen, die Financial Times Deutschland. Welch ein politisch-publizistischer Kulturbruch! Die taz war in ihren besten Zeiten ein Medium wertgebundener gesellschaftlicher Aufklärung. Sie wird dieses Erbe hoffentlich nicht einer – teils widerwilligen, teils willfährigen – Anpassung an den marktliberalen Zeitgeist opfern. Nicht der mainstream hat die taz großgemacht, sondern der Kampf um Alternativen. Der ist heute so dringlich wie damals, vor 25 Jahren.

Martin Kempe ist Chefredakteur der ver.di Zeitung „Publik“

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