Der Moslemextremist als Teufel in Satansgestalt

Wie man’s sieht – Satire

„Rebellenführer Bin Laden!“ Ich hab‘ s gehört! Neulich, ich war schon auf der Treppe (Freie sind ständig unterwegs) und hatte vergessen, das Radio abzustellen (Freie müssen ständig informiert sein) und da hörte ich dieses „Rebellenführer“ und ich dachte spontan, jetzt muss der Kollege bestimmt sofort seine biometrischen Daten an das Innenministerium geben, denn das darf der doch nicht öffentlich-rechtlich sagen und ich wollte noch recherchieren, welcher Sender das eigentlich war und jetzt kann ich keine Solikampagne für diesen Kollegen starten, der die Ungeheuerlichkeit besessen hat, da was durcheinander zu kriegen. Bestimmt war‘ s ein Freier, der auch nie Zeit hat, TV und Radio zu hören, damit er erfahren hätte, dass man Usama oder Osama Bin Laden oder bin Laden (einig sind die sich nicht) keinesfalls als „Rebellenführer“ bezeichnen darf! Die UCK (falls sich noch jemand an die erinnert, das war während des vorigen Krieges), die war erst eine „Rebellenarmee“, die aus „Freischärlern“ bestand, die dann „Freiheitskämpfer“ und „Unabhängigkeitskämpfer“ in einer „Befreiungsarmee“ wurden und die hatte dann auch „Rebellenführer“ oder umgekehrt. Was Usama oder Osama Bin oder bin Laden (über „Laden“ sind sich alle einig) ist, weiß ich immer noch nicht, aber nicht, weil ich keine Zeit hatte, denn ich habe mir die Zeit genommen und mir aufgeschrieben, was der alles ist.

Ich kann verstehen, dass wir Bezeichnungen für das Grauen und für Mörder brauchen, dafür sind Journalisten/innen da, den Menschen zu sagen, mit wem sie es zu tun haben. „Terrorist“ kam ziemlich oft vor, mit dem Zusatz „Multimillionär“, aber viel häufiger kam er als „Terroristenführer“ vor. Später dann, als man wieder recherchieren konnte, wurde er „Führer“ ganz unterschiedlicher Geführter: „Fundamentalistenführer“ und „Extremistenführer“ und noch später „extremistischer Moslemführer“, wobei letzteres nur seinen eigenen Extremismus ausdrückt und nicht den der von ihm Geführten. Das gleiche gilt bei „islamischer Extremist“ und „islamischer“, wahlweise „islamistischer“, „Fundamentalist“, wobei ich da das reine „Extremistsein“ oder „Fundamentalistsein“ ziemlich schwach fand und mich deshalb freute, als nach Wochen der „Moslemextremist“ auftauchte. Ich probierte, ob man „Christextremist“ oder „Katholikextremist“ sagen kann, weil wir ja, auch wenn wir nie Zeit haben, über Sprache nachdenken sollen, aber es klang irgendwie nicht richtig.

Wo und wie bieten wir den Menschen Orientierung im Nachrichtendschungel, wenn wir uns nicht darauf einigen können, was der ist und wen er führt? Und wenn dann noch völlig überraschend plötzlich vom „mutmaßlichen Drahtzieher“ die Rede ist? Ohne irgendeine religiöse Zuschreibung? Und dann noch „mutmaßlich“? Wieder ein Fall für die Biometrie im Presseausweis. Wenig Erhellendes für den medial überfluteten Menschen bietet auch das Durcheinander dessen, was in Afghanistan eigentlich bombardiert wird. Entweder sind es „Hochburgen“ oder „Stellungen“ oder „Bastionen“ oder sogar „Hochburgen in Enklaven“! Ich wollte schon anrufen, was „Hochburgen in Enklaven“ sind, aber das war mir als Berufskollegin zu peinlich und sie hatten auch keine kostenlose Hotline eingeblendet. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, versteht kein überfluteter Mensch im Medienzeitalter, weshalb er kürzlich von meiner Regionalzeitung in der Hochburg des Karnevals gefragt werden musste, ob er in diesen Zeiten Kabarett ertragen kann. Und die Kabarettisten wurden gefragt, ob sie in diesen Zeiten ihrem Beruf nachgehen wollen, können oder sogar dürfen! Erfreulicherweise wurden keine Kabarettexperten hinzugezogen (die Kabarettisten wollen übrigens tatsächlich weiter Witze machen, weshalb ich mich ja auch entschlossen habe, weiter Satiren zu schreiben in diesen Zeiten). Und wer meine Satiren schon mal gelesen hat, weiß, dass ich ein gestörtes und fast pathologisches Verhältnis zu Experten und Beobachtern habe, denen wir gestressten Journalisten/innen immer öfter so viel von unserer wenigen Sendezeit abgeben müssen und es wimmelt ja von Extremismusexperten, Fundamentalistenexperten und Rebellenführerexperten, Afghanistanexperten, Talibanexperten und Nordallianzexperten, so dass wir in der durch sie gewonnenen Zeit eigentlich mal wieder recherchieren, über Sprache nachdenken und über unseren merkwürdigen Beruf reflektieren könnten. Einem Kollegen ist das irgendwie vor einigen Tagen gelungen und aus diesem Nachdenken kam er frisch gestählt heraus und erzählte mir unschuldig am Radio Lauschender, U.b.L. sei „ein Teufel in Satansgestalt“. Ich sank nieder vor Bewunderung, dieser Kollege hatte sich sein von allem Extremismus unbeeinflusstes Denken bewahrt. Denn seit dem 11.9. ist ja nichts mehr wie es war, auch der Teufel nicht.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »