Seit rund 20 Jahren serviert Dietrich Lade der Leserschaft von Druck+Papier seine Kolumne „Der Sprachwart“. Ob es um Erklärungen von Begriffen und Redewendungen wie „Pappenheimer“ oder „der springende Punkt“ geht, ob er sprachliche Entgleisungen und Sinnlosigkeiten aufs Korn nimmt: Lades lockerer, humorvoller Ton ist sein Markenzeichen – Pedanterie oder verknöcherte Sichtweisen wird man in den Ausführungen des immer noch aktiven Rentners nicht finden. Wir besuchten ihn in Neuenhagen bei Berlin.
Wir treffen Dietrich Lade im Garten an, wo er gerade Laub harkt. Das Grundstück seines Hauses ist nicht groß, macht aber dennoch viel Arbeit: „Pflanzen sind wie die Sprache“, sagt er, „man darf nicht zuviel beschneiden, damit sie wachsen, gedeihen und sich verändern können. Aber man muss auch darauf achten, dass sie nicht verwildern.“ Womit der „Sprachwart“ seinen Anspruch schon formuliert hat.
Pädagogische Ader
Er bittet uns hinein. Auf dem Tisch liegen einige schmale Hefter mit losen Blättern und Bücher. „Ich weiß kaum noch, wohin mit den vielen Unterlagen“, gibt er schulterzuckend zu. Sein Archiv würde jede Menge Stoff für Diplom- oder Doktorarbeiten hergeben.
Die Leidenschaft für Sprache hält bei Dietrich Lade seit mehr als 65 Jahren an. Er entdeckte sie schon als kleiner Junge, als er mit seinen Eltern noch in Gumbinnen in Ostpreußen wohnte: „Mit 13 Jahren habe ich angefangen, Gedichte zu schreiben, wollte Schriftsteller werden“, erinnert er sich. Doch damals war nicht die Zeit für schöne Worte. Es war Krieg, seine Familie kam mit einem Flüchtlingstransport nach Frankenberg in Sachsen. Nach Kriegsende nahm Lade als 15jähriger eine Stellmacherlehre auf und machte seine ersten Erfahrungen mit „oben“ und „unten“: „Meinem Boss ging es bestens, ich lebte am Minimum“, berichtet er und seine Augen funkeln noch immer zornig: „Da bin ich in die Gewerkschaft eingetreten.“ Und nach Abschluss seiner Ausbildung wollte er nur noch das tun, was ihm vorschwebte: schreiben.
Er verdingte sich als freier Mitarbeiter bei der damaligen Halleschen Nationalzeitung. Später wechselte er zur staatlichen Nachrichtenagentur ADN, absolvierte dort ein Volontariat. „Richtig zufrieden machte mich das aber nicht“, sagt er. Ein Inserat in der Berliner Zeitung „Volkshochschule Mitte sucht Deutschlehrer“ war der Beginn seiner beruflichen Wende: „Sie waren froh über jeden, der sich meldete“, schmunzelt Lade und fügt hinzu: „So entdeckte ich meine pädagogische Ader.“
Dietrich Lades sprachanalytische Fähigkeiten sprachen sich schnell herum. Er veröffentlichte u.a. in der Fachzeitschrift für Journalisten Neue Deutsche Presse die regelmäßige Kolumne „Unter der Stillupe“, wurde vom Fernsehen der DDR um Lektorate und Stilanregungen gebeten, arbeitete für die sendereigene Betriebsakademie. Auch hielt er Vorträge an der Fachschule für Journalistik in Leipzig – alles freiberuflich.
Viele Klischees von den Medien der DDR kann der Sprachgärtner aus eigener Erfahrung widerlegen: „Ich habe in meiner Arbeit keine Einschränkungen erlebt“, stellt er fest. „Konstruktive Kritik war möglich.“ Ein gutes Beispiel: Karl-Eduard von Schnitzler moderierte den „Schwarzen Kanal“ und galt seit den 1970er Jahren als härtester Propaganda-Einpeitscher im DDR-Fernsehen. Die unverblümten Hinweise des Sprachexperten in der sendereigenen Publikation „Kultur der Sprache“ nahm er aber dankend an.
Dass Dietrich Lade überall beliebt und gefragt war, ist aber sicher nicht allein auf sein außergewöhnliches Wissen zurückzuführen. Klar und verständlich, voller Witz und Ironie – so erreicht er die Köpfe und Herzen der Menschen. Und: Er ist nie um einen Spruch verlegen und kann auch über sich selbst lachen: „Ich habe einen Gramma-Tick“, sagt er mit gespieltem Ernst. Den Stoff für seine Kolumnen findet er bis heute bei der Zeitungslektüre oder beim Fernsehen: „Das ist der tägliche Wahnsinn“, amüsiert er sich: „Wenn zum Beispiel in der Reklame mit dem Mega-Preis geworben wird, kann ich nur lachen. Damit wäre nämlich der höchste Preis gemeint – nicht etwa der niedrigste oder gar beste!“
Leidenschaft fürs Reisen
Was aber nicht heißt, dass die Sprache Lades einzige Leidenschaft ist: Ähnliche Faszination übt auf ihn das Reisen aus. Schon zu DDR-Zeiten durchquerte er den Ostblock, soweit die Visa reichten. Und in den letzten 20 Jahren kamen Westeuropa und Nordafrika dazu: „Es gibt wohl keine europäische Großstadt, in der ich noch nicht war“, sagt er. In diesem Jahr war das Edinburgh, 2009 zog es ihn nach Dublin. Sprachentdeckungen macht er unterwegs ebenso: „Auf Malta gibt’s auch den Kindergarten“, bringt er sofort ein Beispiel. Und die passende Literatur reist immer mit – ganz gleich, ob es nach Kopenhagen oder Kuba geht. Das einzige Zugeständnis ans Alter, das der rüstige Rentner mittlerweile macht, ist: „Mehr als fünf Flugstunden soll mein Ziel nicht entfernt liegen. Aber da bleiben immer noch genügend Möglichkeiten“, lacht er.
Dietrich Lade ist zweifellos ein leidenschaftlicher Mensch, der immer noch viele Träume, Ideen, Vorhaben hegt. Vielleicht ist das der Grund, dass die Jahre ihm scheinbar nichts anhaben können. Sein 80. Geburtstag im Dezember ist für ihn kein wirklich wichtiges Datum und er bittet: „Hängen sie es nicht an die große Glocke.“ Womit es schon wieder einen Anlass gäbe, nach der Herkunft dieser Redewendung zu fragen …
Woher kommt der „Sprachwart“?
Die Bezeichnung ist eine Reminiszenz an den Titel einer traditionsreichen Fachzeitschrift, die als „Monatsblätter für Sprache und Rechtschreibung“ von der Industriegewerkschaft Druck und Papier bis 1969 für die Korrektorensparte herausgegeben wurde.