Bundesfachgruppe Journalismus diskutiert über ihr Selbstverständnis und die Plattformgewerkschaften
Die Bundesdelegiertenkonferenz der Fachgruppe Journalismus will Vereinzelungstendenzen von Berufszweigen und die Überschneidung von Berufsbildern überwinden, indem sie sich für alle zugänglich zeigt. Mit den Journalisten in der RFFU möchte der neue Bundesvorstand genauso zusammenarbeiten wie mit dem Menschen am Terminal, der auch Onlineredakteur genannt wird und womöglich bei der Postgewerkschaft organisiert ist. Doch ganz so glatt ging die Debatte nicht über die Bühne.
Bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Fachgruppe Journalismus, die Anfang Oktober im Telekom(!)-Bildungszentrum in Stuttgart stattfand, warb einmal mehr der Bundesvorsitzende der IG Medien, Detlef Hensche, für das Zusammengehen mit den Gewerkschaften DAG, HBV, ÖTV und DPG. Erwartungsgemäß kam reichlich Zweifel auf. Wolfgang Mayer etwa, Delegierter aus Bayern, stellte fest, „wir haben uns als IG Medien im Droit d’Auteur (Copyright) gegen die Telekom durchgesetzt; geht das auf der Plattform noch?“, denn die Telekom habe das Interesse, zur Erhaltung von Arbeitsplätzen möglichst viel und unreglementiert in die Netze zu geben.
Herbert Fromme (Nordrhein-Westfalen) kam vom Worldwide Web zurück auf die Basis und meinte in Sachen neue Dienstleistungsgewerkschaft, bereits die Fusion zur IG Medien habe nicht so recht funktioniert, denn „die Ortsvereinsmafia geht nicht gut mit uns um“. Die Drucker und Papierverarbeiter hätten das Sagen, Journalisten seien oftmals nicht gelitten.
In seinem Thesenpapier „Was stellt die Fachgruppe Journalismus in der IG Medien künftig dar und was soll sie in möglichen Gewerkschaftsverbünden sein“ geht Holger Wenk (Berlin-Brandenburg) auf mögliche oder nötige Abgrenzungen in aller Offenheit ein. Die Fachgruppe solle sich zwar „zu einer branchenspezifischen Interessenvertretung und Serviceorganisation für alle im kommunikativen Bereich Tätigen“ öffnen; aber diese Leute müssten „kreativ“ zur Erstellung von Medienprodukten beitragen. So sollten einerseits Berufe wie Onlineredakteure, Grafikerinnen, Screendesigner, Infobroker, Videojournalistinnen und Storyboarder der Fachgruppe angehören, andererseits gehörten Beschäftigte aus Werbung, PR oder Marketing nicht dazu, denn „sie arbeiten zwar kreativ, aber nicht vorrangig journalistisch“.
Die Provokation war gelungen. Sind Online-„Redakteure“, die lediglich Inhalte von anderen ins Netz geben, kreativ? Was macht der Texter, der als freier Journalist bei einer Werbeagentur eine Kundenzeitschrift beliefert, weil er dort nämlich ein anständiges Honorar bekommt? So bezeichnete Frech diese Abgrenzungsdiskussion als „Geisterdebatte“. Amadore Kobus (Niedersachsen/Bremen) nannte die Debatte „unterirdisch, ob wir Onliner aufnehmen“.
Vielmehr müßte man politisch diskutieren, wie die Konkurrenz in der „Zwei-Drittel-Gesellschaft“ überwunden werden könne, so Kobus, „da brauchen wir Solidarität“. Freie kämpften auf dem Markt zum Teil gegeneinander. Horst Leroi wandte sich in diesem Sinne ebenfalls gegen das Thesenpapier, in dem provokativ die Frage gestellt würde, „sind Warnstreiks für die unabgestufte Steigerung festangestellter Zeitungsjournalistengehälter von zum Beispiel 7.500 auf 7.650 Mark bei 35 Wochenstunden nötig, wenn örtlich fast die Hälfte der Mitglieder der Fachgruppe für ein Drittel die doppelte Zeit arbeitet“?
Dies sei eine falsche Front, meinte Leroi, auch hier komme es auf gegenseitige Solidarität und nicht auf Sozialneid an. Veronika Mirschel (Bayern) assistierte, „sind wir auf dem Weg zu einer Standesorganisation“? Renate Gensch fand dann den Bogen zur real existierenden Solidarität zurück: „Die Betriebsräte müssen sich auch um die Freien kümmern“. Um dies zu können, so hatte Hensche ausgeführt, brauchen sie Fachleute. Die Problematik „Freie“ scheint aber vielen Betriebsräten ausgesprochen fremd zu sein, was Franz-Josef Hanke (Hessen) auf den Punkt brachte. „Wir waren die erste Gewerkschaft, die Freischaffende aufnahm“, und Jürgen Bischoff (Nord) ergänzte, „Existenzgründerberatung wäre früher für Gewerkschaften undenkbar gewesen“. Dennoch, Betriebsräte sind für die Einhaltung von Tarifverträgen genauso zuständig wie für die Einhaltung des Gesetzes, und für arbeitnehmerähnliche freie Journalisten an Tageszeitungen gibt es nun mal (fast überall) einen Tarifvertrag und es gilt das Bundesurlaubsgesetz. (Nicht zu vergessen die Tarifverträge für Freie bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.)
Vor allem im Multimediabereich seien die Betriebsratsmitglieder aus sich heraus überfordert, meinte Hensche und offeriert die Perspektive, daß in einer großen Verbundgewerkschaft natürlich auch für alle Lebenslagen Spezialisten zu rekrutieren seien. Schließlich habe ein gut zahlendes Mitglied auch Anspruch auf eine hochqualifizierte Beratung. Zudem gebe es oft den dauerhaften Betrieb nicht mehr. Nicht nur im journalistischen Outsourcingbereich, auch bei Druckern gebe es Kleinstbetriebe.
Doch auch Hensche ist in Sachen Abgrenzung gegenüber den Plattformgewerkschaften auf der Hut. „Wir wollen fachliche Autonomie, die Berufsbilder mitbestimmen, eine eigenständige Branchenpolitik betreiben und personelle wie finanzielle Hoheit“. Im Jahre 2002 solle die Verschmelzung sein, Ende 1999 gebe es Gewerkschaftstage dazu. Großes Gewicht werden die Fachgruppen haben, denn wie bisher „findet das gewerkschaftliche Leben in den Fachgruppen statt“. Fromme weiß, wovon Hensche spricht, denn „wie die Fusionsforschung erkennt, gibt es einen Erfolg für die Nische“.