Die Freien wurden schlicht vergessen

Das Gesetz gegen die Scheinselbständigkeit schafft Chaos im Kunst- und Medienbereich

Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, hat der Bundestag ein Gesetz gegen Scheinselbständigkeit beschlossen, das die Flucht der Arbeitgeber aus der gesetzlichen Sozialversicherung stoppen soll. Im Kunst- und Medienbereich aber droht es das Gegenteil zu bewirken: Freie können nun noch leichter aus der Künstlersozialversicherung ausgesperrt werden.

Das Gesetz ist seit dem 1. Januar in Kraft. Über seine Folgen für die Künstlersozialkasse (KSK) jedoch rätselt man im federführenden Bundesarbeitsministerium bis heute. „Wir sind selbst gespannt, wie die Gerichte das auslegen“, wurden Nachfragen noch zu Anfang dieses Jahres schlicht beschieden. An die KSK hatte das Ministerium bei der Gesetzesformulierung nach eigenem Eingeständnis einfach nicht gedacht.

Dabei ist der Ansatz durchaus vernünftig: Nach dem neuen § 7 Abs. 4 im Vierten Buch des Sozialgesetzbuches müssen alle „Scheinselbständigen“ ab sofort in allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung versichert werden; der Auftraggeber muß die Hälfte der Beiträge zahlen.

Allerdings macht das Gesetz auch viele Freie zu Scheinselbständigen, die – über die KSK – längst sozialversichert sind. Und das kann für Schauspieler, Orchestermusikerinnen, Musikschullehrer oder Pauschalistinnen bei Zeitungen teuer werden: Sie können mit Hilfe des neuen Gesetzes als Scheinselbständige aus der KSK ausgeschlossen werden, ohne daß aber irgendeine Vorsorge dafür getroffen ist, daß sie danach auch tatsächlich vom Arbeitgeber versichert werden.

Wer ist scheinselbständig?

Das Gesetz definiert zunächst vier typische Merkmale von Arbeitnehmertätigkeit. Danach weist es auf eine abhängige Beschäftigung hin, wenn Freie

  • ihrerseits keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen (Familienangehörige und geringfügig Beschäftigte bleiben dabei unberücksichtigt),
  • „regelmäßig und im wesentlichen“ nur für einen Auftraggeber tätig sind (gelegentliche Tätigkeiten für andere Auftraggeber sind hier ohne Belang),
  • typische Arbeitnehmerleistungen erbringen, vor allem wenn sie weisungsgebunden oder in den Betrieb des Auftraggebers eingebunden sind oder – wie an Theatern und Musikschulen – dieselbe Arbeit tun wie ihre festangestellten Kolleginnen,
  • „nicht aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt auftreten“, also zum Beispiel ihre Preise nicht eigenständig festlegen können.

Für das Vorliegen von Scheinselbständigkeit müssen diese Bedingungen nicht einmal alle erfüllt sein. Auch wer nur zwei der vier Kriterien erfüllt, bei dem wird künftig „vermutet“, daß er „gegen Entgelt beschäftigt“ ist.

Versicherungspflicht für Scheinselbständige …

Wird diese Vermutung nicht widerlegt, so gilt die Scheinselbständige als Arbeitnehmerin und der Auftraggeber als Arbeitgeber – freilich nur im Sinne des Sozialgesetzbuches. Das heißt, die vormals „Freie“ muß vom Auftraggeber in der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung versichert werden. Eine Arbeitnehmerin im Sinne des Arbeitsrechts – mit Kündigungsschutz und Anspruch auf tarifliche Bezahlung – ist sie damit aber noch lange nicht.

Die Hälfte der Beiträge muß in diesem Fall der Auftraggeber zahlen; als Arbeitslohn, an dem sich die Beiträge bemessen, gilt ein Einkommen in Höhe der Bezugsgröße (derzeit 4.410, im Osten 3.710 DM monatlich), in den ersten drei Berufsjahren die Hälfte. Bei Nachweis (per Steuerbescheid) werden auch höhere oder niedrigere Einnahmen zugrundegelegt.

… Arbeitnehmerähnliche und Selbständige

Will der Arbeitgeber die Scheinselbständige nicht versichern oder diese sich nicht versichern lassen, so müssen beide beweisen, daß es sich trotz der Hinweise auf eine abhängige Beschäftigung tatsächlich um eine selbständige Tätigkeit handelt. Dafür spricht zum Beispiel, wenn Freie frei von Weisungen, frei in ihrer Zeiteinteilung, frei in ihrer Preisgestaltung, frei in der Auswahl ihrer Kunden sind.

Gelingt dieser Beweis, so sollte bei Künstlern und Publizistinnen der Aufnahme in die KSK nichts im Wege stehen. Für Nicht-Künstler gilt in diesem Fall eine weitere Neuregelung: Wenn sie keine Arbeitnehmer beschäftigen und im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, gelten sie als „arbeitnehmerähnliche Selbständige“ und müssen der gesetzlichen Rentenversicherung beitreten. Die Beiträge müssen sie allein zahlen; über eine bis zum 30.6.1999 befristete Befreiungsregelung wissen die Landesbezirke der IG Medien Bescheid.

Wie das Gesetz umgesetzt wird, weiß niemand

In der Theorie leuchtet diese Abgrenzung von Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit durchaus ein. Für die Praxis aber dürfte sie kaum ausreichen. Und da liegt das Problem.

Zum einen haben die Gesetzesmacher keinerlei Gedanken auf die Umsetzung verschwendet: Statt den Verursachern der Scheinselbständigkeit Druck zu machen, überlassen sie die Durchsetzung des Gesetzes deren Opfern. Sanktionen für Arbeitgeber, die ihrer Versicherungspflicht nicht nachkommen, sieht das Gesetz ebensowenig vor wie wirksame Kontrollen.

Zum zweiten fehlt jede Abstimmung mit schon vorhandenen Gesetzen. Die Gretchenfrage, ob jemand selbständig oder abhängig beschäftigt ist, entscheiden KSK, Krankenkassen, Rentenversicherer, Finanzämter und Arbeitsgerichte weiterhin jeder für sich allein – und jeder nach anderen Kriterien.

  • Die KSK kann Freien nach dem neuen Gesetz noch leichter die Aufnahme verweigern. Für eine Ablehnung reicht die „Vermutung“ einer abhängigen Beschäftigung aus. Die Beweispflicht liegt nicht etwa bei der KSK, sondern bei den Freien.
  • Ob der Abgelehnte dann aber über den Auftraggeber zu versichern ist, ist eine ganz andere Frage. Darüber entscheidet die Krankenkasse, und die ist an die Entscheidung der KSK nicht gebunden. Sie kann diesen Menschen also trotzdem als Selbständigen behandeln – womit er erstmal ganz von der Sozialversicherung ausgeschlossen bliebe. Gespräche über eine Abstimmung zwischen KSK und Krankenkassen hat das Arbeitsministerium erst für dieses Frühjahr vorgesehen.
  • Hält auch die Krankenkasse den Abgelehnten für einen Arbeitnehmer, so ist er aber immer noch kein Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts. Ob für ihn auch das Kündigungsschutzgesetz und die Tarifverträge gelten, das wiederum kann verbindlich nur ein Arbeitsgericht feststellen. Bis zu dessen Entscheidung kann der Auftraggeber ihn – statt ihn zu versichern – erstmal rausschmeißen.

Ohne kontinuierliche Betriebsprüfungen wird es also vielfach den Freien überlassen bleiben, dem Arbeitgeber die Nachricht zu überbringen, daß er nunmehr Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen hat. Alternativ können sie ihn bei der Krankenkasse anschwärzen. Als Ergebnis sind in beiden Fällen Kündigungen bzw. Auftragsentzug zu befürchten.

Besser Druck machen können die Betriebs- und Personalräte, zu deren Aufgaben es gehört, für die richtige Eingruppierung der Beschäftigten zu sorgen. Sie sollten sich alle Verträge mit Freien genau ansehen und am besten eine Grundsatzregelung mit dem Arbeitgeber anstreben. Vor allem an Musikschulen dürften die heutigen „Freien“ fast ausnahmslos unter die neue Definition von Scheinselbständigkeit fallen: Sie beschäftigen keine Arbeitnehmer und bekommen ihre Honorare vom Arbeitgeber diktiert. Das reicht. Kaum weniger Scheinselbständige gibt es in Redaktionen, Orchestern und Privattheatern.

Einzelnen Freien dagegen kann kaum empfohlen werden, sich mit solchen Vorstößen den Unmut des Auftraggebers zuzuziehen. Sie sollten zunächst alles tun, um über die KSK versichert zu werden bzw. zu bleiben und daher gegenüber der KSK alle Angaben vermeiden, die auch nur den leisesten Verdacht von Scheinselbständigkeit aufkommen lassen. Um welche Punkte es da geht, ergibt sich aus den oben aufgezählten Kriterien des Gesetzes (und aus Seite 173 im „Ratgeber Freie“).

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »