Die Klangkörper der Politik

Medienberichterstattung – ein unliebsames Ressort – wird eingeschränkt

Konzentrationstendenzen in den Medien, ein Verlust von Pluralität in der Berichterstattung, Einschränkungen im Bereich Medienjournalismus. M sprach mit Prof. Jo Groebel (Foto) von der Universität Utrecht, Gastprofessor in Los Angeles und Generaldirektor des Europäischen Medieninstituts Düsseldorf / Paris über diese Entwicklungen.

«M»: Seit geraumer Zeit beobachten Sie die medienpolitische Situation im europäischen Raum. Welche Tendenzen notieren Sie in Deutschland?
Jo Groebel: Mit Sorge betrachte ich heute die Marktsituation der Medien insgesamt. Die Branche befindet sich in einer wirtschaftlichen Krise, das betrifft besonders die Presse. In einer derartigen Situation werden erfahrungsgemäß Instanzen zur Disposition gestellt, die nicht genehm sind. Medienseiten werden beispielsweise verstärkt eingestellt, man hält sie für verzichtbar. Aber die Medien befinden sich im Kern der Gesellschaftspolitik. Sie sind die Klangkörper der Politik. Wer von dort berichtet, steht im Zentrum der Gesellschaftspolitik, nicht in einem Elfenbeinturm. Darüber hinaus erfüllt Medienjournalismus eine weitere wichtige Funktion: bei der Diskussion darüber, inwieweit Pluralismus gewährleistet ist.

«M»: Warum findet dann zurzeit eine Beschneidung der Medienberichterstattung statt?
Jo Groebel: Sie ist unbequem. Die Diskussion über Pluralismus führt zwangsläufig zur Diskussion über Konzentrationstendenzen. Und diese Konzentrationstendenzen können eine politische Komponente beinhalten. Ein Beispiel dafür sind die Vorgänge in Italien. Es wird natürlich nicht einfacher, wenn in Europa den Menschen Pressefreiheit keine Herzensangelegenheit ist. Der Bürger möchte sich zwar selber frei äußern können, aber die Möglichkeit zu freien Äußerungen in den Medien gilt den Menschen eher als Nebensache. In Russland beispielsweise stehen Journalisten generell zu Unrecht im Verdacht, ungerechtfertigt schmutzige Wäsche zu waschen.

«M»: Eine Situation wie sie für Deutschland sicherlich nicht gilt. Und merkliche Einschränkungen der Pressefreiheit würden wahrscheinlich auch in der Bevölkerung auf Widerstand stoßen.
Jo Groebel: Bei uns hat man allgemein den Eindruck, dass eine breite Auswahl an Meinungen publiziert wird. Eine spürbare Begrenzung für den Zugang zur Information gibt es nicht. Und auch in einem Land wie Italien gehen die Bürger nicht auf die Barrikaden. Erst wenn die Pressefreiheit mit anderen Beschränkungen einhergeht, entsteht ein Bewusstsein für den Missstand. Man muss die andere Seite allerdings auch im Blick behalten – beispielsweise wenn eine wirtschaftliche Entwicklung forciert wird, die zu einer Konzentration führt. Im Regionalbereich beispielsweise besteht in Deutschland meistens eine Monopolsituation, weil der Markt für zwei Anbieter einfach zu klein ist.

«M»: Eine Beschränkung der Vielfalt geschieht bei uns also eher verdeckt, die Streichungen im Bereich Medienjournalismus sind aber offensichtlich.
Jo Groebel: Ich sehe die Gefahr, dass in Zeiten des Marktstresses leichter – nicht nur von politischer, sondern auch von unternehmerischer Seite – unliebsame Ressorts geschlossen werden. Das geschieht besonders dort, wo es den Lesern möglicherweise nicht so stark auffällt. Informationen über Fusionen, Verflechtungen oder ähnliches werden auf diese Weise unterdrückt. Nehmen sie Willi Brandt und seine Frauen-Geschichten, das wusste jeder Journalist, aber niemand hat je darüber berichtet. Derjenige, der es getan hätte, wäre vom politischen Kommunikationsfluss komplett ausgeschlossen worden. Aber so ist das politische Geschäft: Informationen, die bekannt, aber nicht veröffentlicht sind, dienen andererseits den Journalisten auch als Druckmittel, um an andere Informationen zu gelangen.

«M»: Sie sprachen von aktueller Gefahr. In welcher Hinsicht?
Jo Groebel: Marktwirtschaftliche und politische Entwicklung sind heute miteinander verwoben, das ist die aktuelle Gefahr. Insofern hat sich der Journalismus ebenfalls verändert. Die Themen sind kurzlebiger geworden, was in direkter Beziehung zu einem Publikum steht, das ein Stakkato von Kicks mittlerweile erwartet – eine Folge der Entwicklung von Unterhaltung insgesamt.

«M»: Welche Schlüsse ziehen Sie?
Jo Groebel: Wir sehen uns vor einer veränderten Situation: Die müssen wir bedenken und gestalten. Am Anfang und am Ende steht die Frage: Welche Gesellschaft haben wir? Gleichgültig wie die Antwort ausfällt: Die Medien sind immer Bestandteil. Aus diesem Grund hat der Medienjournalismus eine zentrale Funktion, das wird in Deutschland unterschätzt, was ich mit wirklicher Sorge beobachte. Die Insider, die über diese Zusammenhänge berichten, sind unverzichtbar, denn deren kritische Berichterstattung hat eine hohe gesellschaftliche Komponente.

Das Gespräch führte Wilfried Urbe

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Europarat muss Pressefreiheit schützen

Anlässlich der Vorstellung des diesjährigen Europarats-Berichts zur Pressefreiheit in Europa fordert die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di die Gremien der Europäischen Union zur dringenden Umsetzung verbindlicher Schutzmaßnahmen von Pressevertreter*innen auf. „Wir beobachten die drastische Zunahme von Angriffen auf unsere europäischen Kolleginnen und Kollegen mit großer Sorge, denn sie hängen unmittelbar mit dem Erstarken demokratiezersetzender politischer Bewegungen zusammen“, sagt der dju-Co-Vorsitzende Lars Hansen.
mehr »

Fahndungsfotos: Widerrechtlich im Einsatz?

Öffentlichkeitsfahndungen mit Hilfe der Medien sind eigentlich nur bei erheblichen Straftaten erlaubt. Trotzdem greifen Strafermittler auch bei Tankbetrug, Ladendiebstahl oder Rezeptfälschung zu diesem einschneidenden Mittel. Manchmal werden auch völlig Unschuldige an den Fotopranger gestellt. Die Medien veröffentlichen die Fahndungsfotos in aller Regel ungeprüft. Nach Ansicht der dju sollten die Redaktionen aber die Verhältnismäßigkeit hinterfragen. 
mehr »

Viel Parteienfunk, wenig Transparenz

Im Gefolge des Skandals beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) werden auch die öffentlich-rechtlichen Kontrollgremien verstärkt kritisch beäugt. Geht es nach dem Urteil des Journalisten und Medienbloggers Peter Stawowy, dann ist das trotz einiger Reformbemühungen nach wie vor mehr als berechtigt. Zu starker Parteieneinfluss, mangelnde Transparenz, ineffiziente Strukturen -  dies nur einige der Defizite, die der Autor in seiner im Auftrag der Otto Brenner verfassten Studie ermittelt hat.
mehr »

Sprache als Pfeiler der Demokratie

Auf der Jahrestagung des Netzwerks Medienethik in Tutzing ging es um Sprache als Verständigungsmittel und journalistisches Handwerkszeug in einer politisch polarisierten Welt, in der gesprochene und geschriebene Sprache zunehmend von KI generiert wird. Über Probleme wie Hate Speech oder Diskriminierung und Potenziale für Inklusion oder Diversität diskutierten Teilnehmende aus Medienwissenschaft und -praxis. Sie loteten ethische Grenzen für den demokratischen Diskurs aus – mit interessanten Ein- und Ausblicken.
mehr »