Dumping oder Spezialangebot?

Agenturen und andere Dienstleister punkten mit preiswerten Komplettlösungen

Bisher kauften Tageszeitungen einzelne Texte für ihre Serviceseiten bei freien Autoren oder übernahmen Stücke aus den abonnierten Agenturdiensten. Doch seit einiger Zeit ist ein neuer Trend zu beobachten: Agenturen, aber auch freie Dienstleister bieten preiswert komplette Seiten an, die bereits in Typographie und Layout den Wünschen des Kunden angepasst sind.

Das Urheberrecht auf diese Idee können Gruner + Jahr sicherlich nicht beanspruchen, aber sie waren die ersten, die das Konzept der Redaktionsgemeinschaft so konsequent umsetzen wollten. Sämtliche Serviceseiten, darunter Auto, Reise, Ratgeber, TV und Kino wurden ab Juli 1999 zentral für den „Berliner Kurier“, die „Hamburger Morgenpost“ und den „Kölner Express“ in Berlin von einem Stab aus Redakteuren und Freien produziert. Während die Verlagsspitzen fest daran glaubten, die Kosten senken zu können, weil jede Seite nur ein Mal produziert, aber drei Mal gedruckt werden sollte, sah die Realität anders aus. Die Redaktionssysteme waren untereinander nicht kompatibel, regionale Eigenheiten konnten in den Texten nicht berücksichtigt werden und besonders der Faktor Mensch wurde bei der Geburt der Redaktionsgemeinschaft schlicht ausgeblendet. Denn die Chefredakteure hatten meist unterschiedliche Auffassungen über die inhaltliche Gestaltung. Häufig mussten deshalb von einem Text mehrere Versionen gefertigt werden. So wurde die Grundidee schnell konterkariert und die Abwehr in den Redaktionen auf dem Rücken der Autoren ausgetragen. Bereits Ende Februar 2000 war die Redaktionsgemeinschaft Geschichte, nachdem der „Kölner Express“ sich aus dem Projekt verabschiedet hatte.

Während Gruner + Jahr ausstieg, begann ddp mit ähnlichem Konzept erfolgreicher. 2002 wurde das Ressort ddp publishing gegründet, dass seitdem täglich vier Seiten für den „Nordkurier“ produziert. Der Stolperstein der Inkompatibilität wurde dabei geschickt ausgeschaltet. Auf den Rechnern bei ddp läuft das Redaktionssystem des „Nordkurier“, in das direkt die Ratgeber- und Serviceseiten und die TV-Nachrichten geschrieben werden. Ein Novum ist dabei, dass auch täglich zwei Berlin-Brandenburg-Seiten nicht mehr von Redakteuren des „Nordkurier“, sondern von ddp publishing erstellt werden. Und das Konzept entwickelt sich zum Verkaufsschlager der Agentur. Inzwischen ordern auch die „Fränkische Landeszeitung“, die „Recklinghäuser Zeitung“ und die „Ruhr Nachrichten“ komplette Seiten, die je nach Aufwand zwischen 100 und 180 Euro kosten. Für ddp trotz des niedrigen Preises ein lohnendes Geschäft. Denn die meisten Texte werden aus dem eigenen Angebot der Nachrichtenagentur für ihre Abonnenten entnommen.

Zusätzliche Aufträge

Allerdings bescherte der Erfolg auch einigen festen Freien zusätzliche Aufträge. Allein um die wöchentlichen fünf Seiten Haus und Garten für die „Recklinghäuser Zeitung“ zu füllen, würden von ihnen mehr Texte angefordert, sagt Sascha Rudant, Projektleiter bei ddp publishing. Für ddp halten sich die Kosten dennoch in Grenzen. Neu eingestellt wurden nur zwei Redakteure, die zuvor beim „Nordkurier“ arbeiteten, sechs Redakteure stammen aus den eigenen Reihen. Beim „Nordkurier“ wurden insgesamt 12 Redakteure entlassen. Bei den Artikeln werde Wert auf Qualität gelegt, betont Sascha Rudant: „Unsere Texte haben einen journalistischen Anspruch und journalistisches Niveau.“ Werbung, wie sie in alle Redaktionen von PR-Agenturen flattert, werde dabei nicht geduldet.

Der Erfolg von ddp rief Nachahmer auf den Plan. Die große dpa trödelt der Entwicklung zwar hinterher, will aber ebenfalls in das Geschäft mit den Komplettseiten einsteigen. Geplant ist, zunächst im Servicebereich die Themenpalette von Auto, Beruf / Bildung bis TV abzudecken. Verwendet werden nicht nur dpa-Stücke, auch durch die Tochterfirma gms (Global Media Services) ist der Pool mit passenden Texten gut gefüllt. Seit Juli läuft das neue Angebot zunächst als Pilotprojekt auf sechs Monate begrenzt. Zu den ersten Kunden zählen die „Kieler Nachrichten“, die ihre Fernsehseite nun komplett von dpa bezieht. Auf Regional- oder Lokalseiten soll das Angebot aber nicht erweitert werden. „Die dpa geht nicht in Bereiche, die die publizistische Ausrichtung oder journalistische Kompetenz der Zeitungen berühren“, versichert Wolfgang Duveneck, Leiter des Projektes Fertigseiten bei dpa.

Mit einer günstigen Lösung punktet der Dienstleister Idee-News. Komplette Reiseseiten sind bereits ab 250 Euro zu haben – inklusive Vierfarb-Fotos, Typographie und Layout nach Wunsch. Kunden, die auch den Anzeigenverkauf für diese Seiten an Idee-News abgeben, können sich über eine Anzeigengarantie von 25.000 Euro pro Jahr freuen. Dass sie mit dem preiswerten Angebot ein Billigprodukt akzeptieren müssen, ist nicht zu erwarten. Denn in der Geschäftsleitung von Idee-News haben sich Spezialisten getroffen: Neben Uwe Schöllkopf (Geschäftsführer des Redaktionsbüros Idee-Media GmbH) und Klaus Viedebantt (Ex-Chef der Lehrredaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“) verantwortet Michael Schweitzer (Chefredakteur der Reise-Nachrichtenagentur tdt) das neue Angebot.

Zur ganz großen Lösung griff Verleger Heinz Heinrich Bauer. Er beließ es nicht beim Einkauf einzelner Seiten, sondern kündigte im Juli 2002 der Redaktion von „Bravo Sport“. Das Blatt wird jetzt von dem Redaktionsbüro Fred Wipperfürth in Köln erstellt. Auch von der Redaktion der „Geldidee“ hat Bauer sich verabschiedet und 31 Beschäftigte entlassen. Neuer Herausgeber der Geldidee ist seit März Ex-„Capital“-Chefredakteur Ralf-Dieter Brunowsky mit seiner Kölner Firma BrunoMedia GmbH. Für Brunowsky soll dies erst der Anfang auf dem Markt der Komplettlösungen sein. Er ist außerdem Miteigentümer der „Netzeitung“. Sein Geschäftspartner und „Netzeitungs“-Chefredakteur Michael Meier verkündete in einem Interview mit dem Branchendienst Kontakter, dass das Duo eine tägliche Seite zum Thema Geldanlage anbieten will. Die Verhandlungen darüber mit einer regionalen Tageszeitung seien „sehr konkret“, erzählte Michael Maier dem Kontakter. Noch dieses Jahr rechne er mit einem „signifikanten“ Umsatzanstieg im Geschäft mit syndizierten Nachrichten. Mittelfristig solle dieser Bereich bis zu 30 Prozent zu den Gesamtumsätzen beitragen.

Kleine Zeitungen greifen beim Einkauf gern auf das Angebot des Verbandes der Lokalpresse zurück. Vom Kreuzworträtsel bis zur Themenseite ist dort alles zu haben. Bedenklich ist allerdings, dass der Verband für seine Tochterfirma Medienservice Berlin GmbH auf seiner Internetseite ungeniert mit der „Streuung von Texten und Bildern an mehrere tausend Zeitungs- und Anzeigenblatt-Titel sowie Amtsblätter in ganz Deutschland“ wirbt. Weiter heißt es: „Bei Bedarf kann die Medienservice Berlin GmbH ebenso eine umfangreiche strategische Beratung anbieten, die es dem jeweiligen Kunden ermöglicht, seine redaktionellen Texte so zu gestalten, dass hohe Abdruckergebnisse erzielt werden. Möglich wird dies durch eine jahrelange Erfahrung im Streuen von PR-Material und den daraus gewonnenen statistischen Erfahrungswerten, die in unsere Medienbeobachtung permanent einfließen.“

Zu Lasten der Vielfalt

Mit Sorge beobachtet Ulrike Maerks-Franzen, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalisten Union (dju) in ver.di die Entwicklung: „Dies kostet Arbeitsplätze in den Redaktionen und geht zu Lasten der Vielfalt. Außerdem werden die Arbeitsmöglichkeiten der freien Journalistinnen und Journalisten eingeschränkt.“ Freie Reise- und Servicejournalisten müssen befürchten, dass es für sie künftig noch schwieriger wird, ihre Texte mehrfach zu verwerten. Angesichts der allgemeinen Sparmaßnahmen in den Verlagen ist es aber unwahrscheinlich, dass der Trend wieder gestoppt werden kann. Doch Kritiker warnen, diese Praxis auch auf Lokalseiten auszudehnen. „Die Kernkompetenz von Regional- und Lokalzeitungen liegt gerade in der lokalen Berichterstattung“, betont Horst Röper, Chef des Formatt- Instituts. „Diese Kompetenz aufzugeben und stattdessen auf Zulieferungen von Agenturen zu setzen, mag kurzfristig Kostenvorteile bieten, ist aber zugleich kurzsichtig und schadet sowohl der Zeitung als auch dem Verlag.“

 

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