Editorial: Billigjobs und der Wert der Arbeit

Treffen sich zwei Freunde nach längerer Zeit einmal wieder und fragen: Wie geht es Dir? Sagt der eine, gut. Aber der Stress, soviel Arbeit … Sagt der andere: Sei froh! Ich bin arbeitslos!
Oft endet hier die Unterhaltung. Unfair scheint es dem „Job-Besitzer“, darüber zu reden, dass eigentlich für die Überstunden, die er macht, mindestens noch eine Kollegin eingestellt werden müsste. Von der Untertarif-Bezahlung ganz zu schweigen. Oder dass Kollegen über Leiharbeits- firmen rekrutiert werden, wo sie weniger verdienen, als andere für die gleiche Arbeit erhalten (S. 26).
Auch die Arbeitsbedingungen des Sohnes könnte er beschreiben. Der macht seit Monaten in  einer Medienagentur ein Praktikum, darf durchaus in der 50-und-mehr-Stunden-Woche auch mal kreativ sein, aber ein Honorar bekommt er nicht (Titel S. 8 – 10).
Dann ist da noch die gemeinsame Freundin aus Studientagen, die gerade einen Ein-Euro-Job angenommen
hat – froh ist, wieder arbeiten zu dürfen – aber für sehr wenig Geld und auch sonst unter Verzicht auf jegliche
Rechte, die ein Angestellter in einem regulären Arbeitsverhältnis hat (S. 11 /
12). Oder die Lebensgefährtin, die sich als Selbständige durchschlägt, sich dabei an neuen Vermarktungs- strategien versucht und Tipps sowie Unterstützung nicht zuletzt durch die Gewerkschaft benötigt (S. 19 – 21).
Betrachten wir die derzeitige Politik, scheint es gewollt: Dieses „nicht da- rüber reden“, getrieben von den Wie-geht-es-weiter-Ängsten. Schließlich sollte derjenige dankbar sein, der eine Arbeit hat, gleich zu welchen
Konditionen.
Aber wir sollten nicht schweigen! Im Gegenteil: Wir sollten wieder mehr miteinander diskutieren und vor allem auch die Parteiprogramme der zur Wahl angetretenen Parteien sehr genau unter die Lupe nehmen. Wie wird der Wert von Arbeit bemessen: Liegt ein Teil der Antwort bereits in der Schaffung von genügend Ar-
beitsmöglichkeiten? Kann ein gesetzlicher Mindestlohn ein Wertmaßstab sein? Sind es angemessene Honorare
für Freie und gute Tariflöhne? Welchen Raum geben wir guten Arbeits-
bedingungen, …?
Arbeitszeit ist Lebenszeit! Debattieren wir darüber, wie diese auch von Vielen gesund genutzt werden kann (S. 23). Wie kann gerade auch in der sich stark verändernde Medien-Berufswelt ein achtungsvolles Miteinander der Generationen zum gegenseitigen Vorteil von jung und alt gelebt werden (S. 16 – 18)?
Schauen wir genau hin, wo die Antworten zu finden sind! Diverse Polit-Performance, mediale Kandidatenchecks und TV-Duelle helfen da mitunter wenig. Beschreiben sie doch lediglich eine einmalige Sym-
biose zwischen Politik und Medien in einer kurzen heißen Wahlkampf- phase (S. 7).

 

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