Ein überlebtes Modell?

Deister-Leine-Zeitung in Barsinghausen nach 126 Jahren eingestellt

Lokale Tageszeitungen hätten keine Zukunft mehr, meint Helena Tölcke. Am 29. Februar hat die Verlagsleiterin und Chefredakteurin ihr Blatt, die Deister-Leine-Zeitung (DLZ), eingestellt. „Die DLZ hat sich einfach nicht mehr gerechnet.“ Stetig sinkende Auflagen, zurückgehende Anzeigenerlöse und schlechte Zukunftsprognosen hätten diese Schließung notwendig gemacht.

Verlagsleiterin der Deister-leine-zeitung Helena Tölcke in ihrem Zeitungshaus vor der Schließung. Foto: dpa/Julian Stratenschulte
Die Verlagsleiterin der Deister-Leine-Zeitung Helena Tölcke in ihrem Zeitungshaus vor der Schließung.
Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Das in Barsinghausen vor den Toren Hannovers erschienene Blatt hatte eine Auflage von zuletzt 4.500 Exemplaren. Zehn Jahre zuvor waren es noch 6.200. Die Zeitung aus dem Verlag Philipp August Weinaug wurde 126 Jahre alt. Die DLZ gehörte zur Deister- und Weserzeitung Verlagsgesellschaft (Dewezet, Hameln), die auch die Schaumburger Zeitung aus Rinteln und die Schaumburg-Lippische Landes-Zeitung aus Bückeburg verlegt. Von der Schließung sind fünfzehn fest angestellte Beschäftigte betroffen, darunter vier Journalisten.
Leicht hatte es die Deister-Leine-Zeitung, die neben Barsinghausen auch die Stadt Gehrden und die Gemeinde Wennigsen erfasste, in den letzten Jahren nicht. Das Blatt konkurrierte mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und der Neuen Presse aus der Verlagsgruppe Madsack, die beide eine identische lokale Beilage enthalten, die Calenberger Zeitung. Um gegen die Konkurrenz besser bestehen zu können, schlüpfte die DLZ 1999 unter das Dach der Hamelner Deister- und Weserzeitung, bezog aber zuletzt von der Hannoverschen Allgemeinen den Mantel. Doch die Konkurrenz war stärker. Selbst am Stammsitz Barsinghausen hatte die Calenberger Zeitung mit einem Auflagenanteil von 51 Prozent knapp die Nase vorn. Zehn Jahre zuvor war die Deister-Leine-Zeitung hier mit einem Marktanteil von 57 Prozent noch Marktführer gewesen. Im Verbreitungsgebiet Gehrden und Wennigsen erreichte die DLZ zuletzt nur zwischen drei und elf Prozent der Zeitungsauflagen.

Veränderter Anzeigenmarkt

Doch die Konkurrenz durch die Lokalbeilage Calenberger Zeitung aus dem Hause Madsack sei nicht der entscheidende Faktor gewesen, sagt Verlagsleiterin Tölke. Der Druck auf die Auflage sei vielmehr durch kostenlose Wochenblätter entstanden, von denen es im Bereich der DLZ gleich zwei gebe. Zwar hätten sich Hannoversche Allgemeine und Neue Presse auf dem Anzeigenmarkt bemerkbar gemacht, das Problem sei jedoch die generelle Entwicklung auf dem Anzeigenmarkt gewesen. „Das ist immer schwieriger geworden.“ Selbst in kleineren Städten wie Barsinghausen nehme die Zahl jener selbstständigen Geschäftsinhaber ab, die noch in einer Zeitung inserieren könnten – eine Entwicklung, die allerorten zu verzeichnen sei.
Die Ladenketten, die sich stattdessen überall ausbreiteten, machten aber einen Bogen um Tageszeitungsinserate. Da der Handel bundesweit zu 40 Prozent zum Werbeaufkommen der Zeitungen beiträgt, ist diese Entwicklung für die Verlage problematisch. Schwieriger sei der Anzeigenmarkt auch geworden, weil sich frühere große Anzeigenkunden wie Aldi oder Lidl aus der Zeitungswerbung zurückziehen, so Tölcke. Statt in Zeitungsanzeigen fließen deren Werbegelder bundesweit mehr und mehr in Postwurfsendungen, Handzettel oder in Smartphone-Apps. Was für das Fachblatt Absatzwirtschaft „spannende Experimente“ sind, ist für Tageszeitungen essentiell: Rund 30 bis 40 Prozent der Anzeigenerlöse von Tageszeitungen stammen von Discountern. Mit diesen Anzeigen brechen wichtige Erlöse weg, die kaum zurückzugewinnen sind.

Vertriebserlöse fangen Anzeigeneinbußen nicht auf

Insgesamt sind die Werbeerlöse der deutschen Tageszeitungen in den letzten Jahren deutlich rückläufig. Wurden mit Anzeigen und Beilagen im Jahr 2000 noch 6,6 Milliarden Euro erlöst, waren es zehn Jahre später nur noch 3,6 Milliarden. Das ist ein Minus von knapp 45 Prozent. Dagegen läuft das Geschäft der Anzeigenblätter gut, ihre Umsätze erreichen Höchststände.
Da die Werbeeinnahmen sinken, nimmt die Bedeutung der Vertriebserlöse zu. 2009 waren dem Bundesverband deutscher Zeitungsverleger zufolge die Einnahmen durch Einzelverkauf und Abos bundesweit erstmals höher als die Anzeigenerlöse. Zuvor hatten Anzeigen jahrzehntelang zwei Drittel des Geldes in die Verlegerkassen gespült.
Die schwächelnden Anzeigeneinahmen können durch Vertriebserlöse nicht aufgefangen werden. Der DLZ gingen 27 Prozent der Auflage in den letzten zehn Jahren verloren. Kein Einzelfall. Die Auflagen der deutschen regionalen Abozeitungen sanken vom Jahr 2000 bis 2010 von 16,6 auf 13,8 Millionen Exemplare, ein Rückgang um 17 Prozent.
Die lokale Zeitung werde immer weniger gebraucht, so ein zentrales Argument bei der Schließung der Deister-Leine-Zeitung. „Früher wurden die Abos vererbt, heute werden die Abos abbestellt.“ Vor allem jüngere Leute greifen immer seltener zur Zeitung. Ihre jüngsten Leser seien inzwischen 50 Jahre alt gewesen, so DLZ-Geschäftsführerin Tölcke, junge Leser fehlten. Bundesweit spricht die Zeitungslektüre vor allem ältere Menschen an. Von den 14- bis 19-Jährigen werden heute nur noch 31 Prozent mit Lokalzeitungen erreicht. Vor zehn Jahren war es noch knapp jeder zweite. Junge Leute nutzten lieber neue Medien und gingen ins Internet, so Tölcke. Zeitungen gehörten nicht mehr dazu. Da ist es offenbar auch egal, wenn die Inhalte in modernem Gewand angeboten werden. Ganze 17 E-Papers der DLZ wurden zuletzt verkauft.
Insgesamt habe es angesichts dieser Perspektiven für die DLZ eine zu schlechte Zukunftsprognose gegeben, um das Blatt weiter zu führen, sagt Tölcke. Allerdings sanken die Leserzahlen bei der Deister-Leine-Zeitung nicht im typischen Maßstab, sondern das Blatt brach deutlich stärker ein als die Konkurrenz. Ging die Auflage der DLZ zwischen 2000 und 2010 um 26 Prozent zurück, waren es im selben Zeitraum beim Madsack-Lokalteil Calenberger Zeitung nur vier Prozent. Die DLZ litt offenbar auch unter hausgemachten Problemen.
Doch DLZ-Verlagsleiterin Tölcke sieht für ihre ganze Branche keine Zukunft. „Den kleinen Heimatzeitungen wird es irgendwann gehen wie den Tante-Emma-Läden. Die wurden auch überflüssig und heute gibt es sie nicht mehr“, sagt sie. „Das Modell der kleinen Heimatzeitung hat sich überlebt.“ Die Vertriebsform der klassischen Zeitung auf Papier sei überholt, bestätigen die Medienwissenschaftler Stephan Weichert und Leif Kramp in einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Die traditionellen Presseverlage würden allmählich ausbluten.

Exit zu bestmöglichen Konditionen

Die Wirtschaftsberatungsgesellschaft A.T. Kearney erwartet, dass bis zum Jahr 2025 in Deutschland etwa jeder vierte Zeitungsverleger vom Markt verschwinden wird. Die Analysten sehen ein „Newspaper Endgame“ voraus. Wenn es schlimm kommt, drohen Verhältnisse wie in den USA (vgl. Kasten). Kleineren Verlegern blieben nach der Prognose von A.T. Kearney grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder sie machten bei der zunehmenden Konzentration mit, um Kosten zu reduzieren. Oder sie suchten den kontrollierten Ausstieg. Dabei müsse „der Exit zu bestmöglichen Konditionen“ erfolgen, so der Kearney-Medienexperte Martin Fabel. Die Devise lautet, den Verlag „erst zu melken und dann auszusteigen“.
Dieser Zeitpunkt war für Verlagsleiterin Tölcke erreicht. „Es ist besser, jetzt zu schließen, als bis zur Insolvenz zu warten.“ Ein Verkauf der Deister-Leine-Zeitung an die Konkurrenz von der Madsack-Verlagsgruppe, der dem Hamelner Mutterverlag anders als die Schließung noch Geld eingebracht hätte, dürfte aus kartellrechtlichen Gründen ausgeschieden sein. Pressekonzentrationsforscher Horst Röper findet es gleichwohl höchst ungewöhnlich, dass die Zeitung nicht verkauft, sondern ohne jede Gegenleistung eingestellt wurde. „Die Konkurrenz darf sich freuen.“
Beim Mutterverlag der DLZ hat man jedoch mit solchen Zeitungsschließungen Erfahrung: Im Jahr 2000 nahmen die Hamelner in der Nachbarschaft den General-Anzeiger aus Stadthagen vom Markt. An der dort verbliebenen Madsack-Tochter Schaumburger Nachrichten hat die Deister- und Weserzeitung Verlagsgesellschaft heute eine Beteiligung von 20 Prozent. Würde sie für die Schließung der Deister-Leine-Zeitung von Madsack eine Gegenleistung bekommen, wäre dies ein Kartellrechtsverstoß.

 

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