Eine Gratwanderung

Syrien – ein Land im Bürgerkrieg. Es wird gemordet, gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt, bombardiert. Tausende sind auf der Flucht. Das syrische Staatsoberhaupt Baschar al-Assad geht mit Brutalität und schweren Waffen gegen die Aufständischen vor. Die „Rebellen“ wehren sich mit aller Kraft und ohne Pardon. Verschiedene Glaubensgruppen stehen sich unversöhnlich gegenüber, alte Konflikte sind erneut aufgebrochen. Die syrische Opposition ist zerstritten. Ein Teil lebt im Ausland, wird argwöhnisch betrachtet von den Daheimgebliebenen. Die arabische Welt agiert im Umgang mit Syrien nicht einheitlich. Auch die internationale Staatengemeinschaft kommt auf keinen gemeinsamen Nenner in der „Syrienfrage“.

In diesem Geflecht unterschiedlicher Machtinteressen ist die Berichterstattung nicht einfach. Die Medien stehen vor großen Herausforderungen. Kritische Stimmen werfen ihnen unter anderem Einseitigkeit, mangelnde Objektivität, Schwarz-Weiß-Malerei, Propagandagetriebenheit vor.

M sprach über die konkrete Arbeit vor Ort und eigene Erfahrungen bei der Berichterstattung über die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Syrien mit dem Hörfunkkorrespondenten der ARD, Ulrich Leidholdt, der seit vielen Jahren aus Amman in Jordanien über die gesamte Region berichtet.

Konnten Sie seit Ausbruch des Bürgerkrieges im März 2011 nach Syrien reisen?

Ulrich Leidholdt Foto: WDR / Annika Fußwinkel
Ulrich Leidholdt
Foto: WDR /
Annika Fußwinkel

Ulrich Leidholdt: Nein. Ich war das letzte Mal im Mai 2010 in Syrien. Seitdem bemühe ich mich regelmäßig um ein Visum. Aber die Anträge werden von den syrischen Behörden entweder abgelehnt oder gar nicht beantwortet. Vor allem seit Ausbruch des Konflikts ergeht es so vielen Kollegen aus westlichen und arabischen Staaten. Wobei ich dabei kein System erkennen kann. Vereinzelt werden Visa ausgestellt, davon abgesehen, dass Korrespondenten aus den befreundeten Nationen wie China und Russland leichter einreisen können.

Aber sie sind sicher in der Region unterwegs, was ja auch gefährlich ist?

Ich bin natürlich in der Region unterwegs. Ich habe gerade das Flüchtlingslager im jordanischen Za`atari besucht. Hier sind 30.000 syrische Flüchtlinge von insgesamt 200.000 in Jordanien untergebracht. In jedem Land des arabischen Raums wird ein Visum verlangt. Das ist oft schwierig. Und zum Beispiel bei der Formel 1 in Bahrain im Frühjahr bekamen eben nur Sportjournalisten ein Visum. Natürlich gilt der Irak nach wie vor als ein unsicheres Land. Deshalb wurde bei der ARD beschlossen, nur unter bestimmten Umständen nach Bagdad zu fahren, weil man sich dort ohne professionellen Schutz nicht bewegen kann. Das aber schränkt die journalistische Arbeit ein, ist verhältnismäßig teuer und gibt natürlich keine völlige Sicherheit. Bei den vielen Bombenanschlägen kann man schnell zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Allein im Juni gab es im Irak 325 Gewalttote und im September in den ersten zehn Tagen schon über 100 Tote.

Welche Quellen nutzen Sie für Ihre Berichterstattung?

Wir arbeiten mit sogenannten Stringern zusammen, journalistischen Mitarbeitern, die in den jeweiligen Ländern sitzen und meist einheimische Muttersprachler sind. Sie sind Freelancer oder bei Medien ihres Landes angestellt. Wir kennen sie oft schon viele Jahre und können uns auf sie verlassen. Sie liefern Informationen zu, werten eigene Medien aus und erhalten von uns auch Rechercheaufträge, machen Interviews, sammeln O-Töne. Wir können sie immer um Einschätzungen bitten. Wir verfolgen sehr aufmerksam die Medien der Länder, auch Al Jazeera und Al Arabia. Wir nutzen die Nachrichtenagenturen, vor allem Reuters und AFP englisch sowie natürlich die deutschen Agenturen, nicht zuletzt, um zu sehen, wie sie die Dinge beschreiben. Dazu kommen diverse Ausschnittsdienste sowie die eigenen Archive. Beim Radio sind das vor allem auch Tonarchive mit Aufzeichnungen, die längere Zeit Bedeutung haben, wie etwa ein halbes Dutzend von Interviews mit UN-Vermittler Kofi Annan über seine Erfolge (die eher gering waren) und seine Misserfolge. Und wichtig für die Bewertung oder Einordnung der Ereignisse sind oft auch Forschungsergebnisse von wissenschaftlichen Instituten. Klar ist, dass man oft zwischen den Zeilen lesen muss.

Offenbar ein gigantisches Puzzle an Informationen. Welche Möglichkeiten gibt es, Quellen zu überprüfen?

Aus den vielen Informationen, die durchaus Puzzleteilen gleichen, lässt sich oft ein glaubwürdiges Bild zusammensetzen. Die Möglichkeiten, Dinge und Aussagen zu überprüfen, sind schwierig. Leichtgläubigkeit und Oberflächlichkeit sind fehl am Platze. Und es gibt Grenzen, wo man sagen muss, diese Information ist nicht sicher. Dann fehlt ein Stück und das Puzzle ist nicht komplett. Mitunter entsteht ein Bild, was noch Fragen offen lässt, aber eine Tendenz rechtfertigt. Das mache ich dann deutlich. Ich maße es mir ohnehin nicht an, sagen zu können, wie es 100% ist, weil ich alle Infos einfach nicht habe.

Was ist dran am häufig geführten Vorwurf einer „Agenturgläubigkeit“? Das heißt, Agenturmeldungen werden ohne Prüfung übernommen?

Das wird häufig den Redaktionen vorgeworfen. Sie sind bei ihren stündlichen, aktuellen Sendungen auf die Agenturen angewiesen, um sich zu orientieren. Ein Redakteur kann nur bedingt Allrounder sein, er kann nicht jedes Problem kennen. Auch deshalb gibt es ja Korrespondenten vor Ort, die wiederum ein stückweit davon abhängig sind, was die Redakteure lesen, wie sie es einschätzen, was sie auswählen. Bei Nachfragen zu einer Information entwickelt sich ein Gespräch oder eine Diskussion, in der man nicht immer auf einen Nenner kommt. Da wird auch oft gesagt, aber die Agenturen haben das doch, große Agenturen wie Reuters oder AFP wissen eben mehr, als unser eigener Mann. Manchmal kann ich sie überzeugen, dass ich den Sachverhalt anders sehe und manchmal eben nicht.
Auch ich schaue auf die Agenturen. Wird über einen Sachverhalt – zum Beispiel einen Anschlag in Bagdad – von allen berichtet und auch weitgehend übereinstimmend, ist die Verlässlichkeit groß. Berichtet eine Agentur gar nicht, muss ich mich fragen: warum? Ich bin für 60 verschiedene Wellen bei der ARD zuständig, brauche also diese Nachrichten. Wenn ich denke, dass das Thema keines ist, biete ich es nicht an.
Und natürlich macht man auch Fehler, davor ist keiner gefeit. Als Anfang Juli Syrien ein türkisches Kampfflugzeug abgeschossen hatte, stand die Frage im Mittelpunkt: Wo sind die Piloten? Ich hatte eine Quelle, die mir sicher erschien und die mir mitteilte, dass sie von Syrern geborgen und in Damaskus in Haft genommen worden sind. Das erwies sich später als falsch. Sie wurden bis heute nicht gefunden. Das musste ich revidieren. Ein anderer Fall ist es, wenn ich eine vage Info habe, die spektakulär erscheint, keine sichere Quelle und ich verwende sie, dann handele ich fahrlässig.

Welche Rollen spielen inländische Medien? Gibt es überhaupt noch Medien jenseits des Staatsfernsehens? Wie unabhängig ist Al Jazeera?

Syrien ist seit Jahrzehnten ein stark autoritär geführtes Land, in dem weder ein Parlament noch eine Regierung das Sagen haben, sondern der Präsident und seine Geheimdienste sowie sogenannte Sicherheitskräfte, die Assads Politik durchsetzen. Das zeigt natürlich ganz klar, dass man von einer freien und unabhängigen Presse nicht sprechen kann. Ob es nun das Staatsfernsehen ist oder die staatliche Nachrichtenagentur SANA oder die durchaus existierenden Privatsender: Sie sind alle auf Linie. Da gibt es niemand, der konträr zu den staatlichen Medien berichtet.
Al Jazeera ist – seit der Gründung vor 15 Jahren – ein Novum in der arabischen Welt, die nicht für freie Presse und nicht für eine Art der Berichtserstattung bekannt ist, wie wir sie kennen. Hervorzuheben ist, dass Al Jazeera die Entwicklungen in den einzelnen Staaten der Region schon vor dem sogenannten arabischen Frühling kritisch begleitet hat. Dabei waren mehr Freiheiten möglich, als man das vorher kannte. Da kommen auch Leute von Hamas und Hisbollah zu Wort, gleichzeitig aber auch israelische Militärsprecher und Experten. Das war und ist ungewöhnlich für einen arabischen Kanal. Das hat auch viel Aufmerksamkeit erzeugt, aber natürlich auch viel Ärger, etwa bei den autoritären Golfstaaten. Eine Einschränkung: Al Jazeera sendet ja aus dem Golfemirat Katar, das ist von kritischen Äußerungen ausgenommen.
Seit Beginn der Aufstände in den arabischen Staaten hat Al Jazeera eine andere Rolle eingenommen. Sicherlich hat der Sender das Voranschreiten der Revolution in Tunesien und Ägypten durch seine Berichte vorangetrieben. Menschen, die in irgendeiner Stadt auf die Straße gingen, haben durch ihn erfahren, sie sind nicht allein, sondern woanders ist das auch so, das Ausland nimmt sie wahr und in den Nachbarstaaten gibt es ähnliche Entwicklungen. Das hat ihnen den Rücken gestärkt. Dann ist Al Jazeera vom wohlwollenden Begleiter der revolutionären Entwicklung, zum Mitspieler geworden. Das ist in Syrien sehr deutlich geworden. Hier wird klar Stellung bezogen für die Opposition. Al Jazeera hat Oppositionelle frühzeitig geschult und ausgerüstet mit Technik, zum Beispiel mit Satellitentelefonen, um auch auf sie zurückgreifen zu können. Das ist berufsethisch nur schwer verantwortbar, sie so in Gefahr zu bringen. Nach dem syrischen Gesetz ist allein der Besitz eines Satellitentelefons strafbar und kann denjenigen vor ein Militärgericht bringen, wenn man darüber Berichte für ein Fernsehen absetzt, umso mehr. Auch wenn die Leute dies freiwillig tun. Die Verantwortung hat, wer den Auftrag gibt. Al Jazeera ist demnach auch Partei geworden. Ich halte es jedoch mit Hanns Joachim Friedrichs, der sinngemäß gesagt hat: Ein Journalist sollte sich mit nichts gemein machen, auch nicht mit einer guten Sache. Sicher kann man als Mensch und Beobachter sagen, man sieht sich auf der Seite der Opposition, nicht auf der Seite des Regimes. Aber das ist nicht Aufgabe des Journalisten. Er soll beobachten, einordnen und Hilfestellung geben, damit Hörer oder Zuschauerinnen verstehen, was in einem Land vorgeht. In Kommentaren kann ich natürlich auch eine argumentativ begründete Meinung sagen.

Das ist das Thema unseres nächsten Journalistentages: Dürfen sich Journalisten mit einer Sache gemein machen? Darüber wollen wir Ende November in Berlin diskutieren. Danke für diese Anregung!

Die Macht der Bilder spielt nach wie vor eine große Rolle in der Berichterstattung. Falsche Videos wurden auch im deutschen Fernsehen gezeigt, im Nachhinein sind die Fehler eingeräumt worden. Wie gehen sie mit den vielfältigen Bewegtbild-Informationen um?

Videos kommen ins Haus, ob gewünscht oder nicht, können bei youtube angeschaut werden. Der Bedarf ist mehr als gedeckt. Aber sie sagen wenig aus. Es sind Ausschnitte, man sieht Leichen, eine Stadt unter Beschuss, schreiende Frauen. Man kann es nicht einordnen. Ich würde sie in jedem Fall vorsichtig nutzen, wenn ich wie das Fernsehen auf fremde Bilder angewiesen bin, weil ich nicht ins Land komme. Auch Augenzeugenberichte bei Al Jazeera aus Aleppo oder Damaskus – etwa wenn sich jemand über Skype meldet – sind oft fragwürdig. Aber auch ich habe den einen oder anderen O-Ton aus einem Video schon eingesetzt und dann moderiert: Ein Aktivist aus Homs schildert die Situation so. Aber man muss sich auch die Situation dieser Informanten vorstellen, die sitzen in einer Stadt und können sich bei Dauerbeschuss praktisch nicht bewegen, sehen einen Ausschnitt aus dem Fenster, haben aber auch keinen Gesamteindruck. Ich kann es den Leuten deshalb nicht verübeln, dass sie nicht mehr sagen können. Jedoch sollte es nicht pauschalisiert werden.
Tatsache ist, dass die Armee sich auf Städte konzentriert, dass sie bestimmte Waffen einsetzt, Artillerie, Luftwaffe. Das wird auch von der Armee bestätigt. Ich muss dann nicht phantasiereich sein, um zu wissen, dass in einer eng bebauten Stadt nach einem Artilleriefeuer nicht nur „Terroristen“, wie sie das Regime bezeichnet, sondern auch zivile Menschen getötet werden. Ich muss aber im Detail vorsichtig sein. Sowohl das Regime als auch die Opposition, die zunächst eine friedliche war und jetzt eine weitgehend bewaffnete ist, agieren offenbar zunehmend nach dem Motto: Viel hilft viel. Das sieht man an den genannten Opferzahlen, die häufig hochgepuscht werden. Es ist kaum zu überprüfen, wie viele Menschen wirklich ums Leben gekommen sind. Aber das ist auch nicht relevant, um den Konflikt darzustellen. Die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ wird oft zitiert, auch in Agenturen (leider). Sie sitzt in London und besteht im Wesentlichen aus einem Mann. Wenn in Aleppo eine Autobombe hochgeht und dann nach zehn Minuten Agenturen vermelden, dass es 48 Opfer gegeben hat, ist das unglaubwürdig. Also muss ich hier davon aus gehen, dass interessengelenkt gearbeitet wird. Natürlich macht auch das Regime Propaganda, es ist ja im Besitz der staatlichen Medien und kann so verbreiten, was es will. Auch dort muss ich mit solchen Angaben höchst vorsichtig sein. Ich verzichte in der Regel auf Opferzahlen und wenn, nutze ich die Angaben der UNO. 20.000 Tote sagt die UNO seit Beginn des Aufstands in Syrien, 27.000 sagt die Opposition. Das bestätigt, dass man diese Zahlen eigentlich nicht benutzen kann. Unbestritten ist, dass viele Menschen sterben und, dass das furchtbar ist, aber dafür brauche ich keine Zahlen, wenn ich sie nicht genau nennen kann.
Ich weiß, dass es Fehler gegeben hat, etwa ein Foto, das aus dem Irak-Krieg stammte und dann Syrien zugeordnet wurde. Das ist bedauerlich, auch wenn der Fehler berichtigt wurde. Aber daraus zu schließen, dass jedes Bild, jedes Video gefälscht ist, wäre ebenso unglaubwürdig, geht an der Realität vorbei. Es zeigt aber auch, dass man im Zweifel besser die Finger davon lässt, besonders von wackeligen Handybildern, deren Aussagen oft gering sind. Und wir wissen, Bilder hinterlassen eine starke Wirkung, auch wenn man sagt, dass die Informationen nicht bestätigt werden können. Auch medialer Dauerbeschuss hinterlässt dauerhafte Wirkung!

Was sagen sie zum Vorwurf einseitiger Berichterstattung oder der Schwarz-Weiß-Malerei? Wie kann eine differenzierte Berichterstattung gelingen?

Das Regime hat es sich natürlich selbst zuzuschreiben, wenn eine Berichterstattung stattfindet, die nicht alles abdeckt. Schließlich erschwert es Journalisten, sich ein eigenes Bild zu machen. Aber ich habe immer gesagt, dass es in Syrien nicht nur die Menschen auf der Seite des Regimes oder die auf der Seite der Opposition gibt. Dazwischen gibt es eine große schweigende Mehrheit, die sich nicht positioniert hat. Lange Zeit – etwa bis Weihnachten – war es in den zwei großen Städten Aleppo und Damaskus sehr ruhig geblieben. Die Menschen waren sehr zurückhaltend. Ich habe auch Experten in meinen Beiträgen zu Wort kommen lassen, die gesagt haben, dass es insbesondere für die ethnischen und religiösen Minderheiten ein Problem ist, zu sehen, was sich abspielt und nicht zu wissen, was kommt nach Assad. Sie wollten dann vielleicht eher den Status quo aufrechterhalten. Das wurde auch vom Regime befördert. Assad fragte, wollt ihr Verhältnisse wie im Irak nach dem Sturz Sadam Husseins. Eine Suggestivfrage: Wer sagt da ja?
75 Prozent der Menschen in Syrien sind Sunniten und 10 Prozent Alawiten. Letztere bilden den Kern der Führungsschicht in allen Bereichen, vor allem bei Elitetruppen, Geheimdiensten und im politischen Staatsapparat. Verständlich, dass sich die Sunniten in ihrer Masse als benachteiligt empfinden. Wobei es auch eine kleine sunnitische Minderheit gibt, die von Assad durch die wirtschaftliche Liberalisierung profitiert hat. Sie konnte private Geschäfte tätigen, den Aufschwung nutzen. Andere haben sich eingerichtet. Das gilt jedoch nicht für die verarmte Landbevölkerung. Auch vor Beginn des Aufstands haben 30 Prozent der Syrer unter der Armutsgrenze gelebt. Daraus hat sich von Anfang an die Opposition gespeist. Und je mehr sich der Konflikt zugespitzt hat, die Kämpfe quasi in die eigene Straße kamen, wurden viele Menschen in eine Position gedrängt, sich irgendwie zu verhalten. Und das geschieht dann aus der jeweils eigenen Betroffenheit heraus.
Dazu kommt, dass in Syrien ein bewaffneter Konflikt stattfindet, der sich schon lange hinzieht und der kein rein innersyrischer Konflikt ist. Das betone ich häufig in meinen Beiträgen: In Syrien tobt ein Stellvertreterkrieg, in den die ganze Welt einbezogen ist, zu Lasten der Syrer. Da sind die Interessen Russlands, Irans, der Golfstaaten und der Türkei. Die einen wollen Waffen verkaufen, bei anderen spielt Religion eine wichtige Rolle, die Gegnerschaft zum Iran und der Kampf um die regionale Vorherrschaft. Das muss in den Medien thematisiert werden und geschieht auch, denke ich.

Als das Bild des italienischen Fotografen Marco di Lauro von Leichen aus dem Irak-Krieg, aufgenommen 2003, als Beweisfoto zur Schlagzeile des Massakers in Al Houla in der Zeitung oder auch auf der BBC-News Website veröffentlicht wurde, wurden die Medien in die Nähe von Propaganda und Kriegshetze gerückt. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, wonach die Syrienberichterstattung belegt, dass Kriege heutzutage nicht durch die Medien journalistisch begleitet, sondern mit Unterstützung der Medien geführt würden?

Das hat immer zwei Seiten. Die Rolle der Medien wurde auch beim Vietnamkrieg diskutiert. Jeder erinnert sich an das Foto vom Saigoner Polizeichef, der vor laufenden Kameras einen Vietkong erschießt oder an das wegrennende schreiende verletzte Kind nach einem Napalmangriff. Da haben die Medien den Krieg begleitet in einer Weise, die diesen Krieg auch mit entschieden hat. Auf der anderen Seite wird natürlich eine Gegenstrategie entwickelt, nach der Erkenntnis: Das hat uns geschadet. Das führte zum Beispiel im Irakkrieg zum „embedded journalism“, bei dem Journalisten in die kämpfende Truppe integriert wurden. Oder im Balkankrieg, wo es täglich ein Briefing von der NATO gab. Dann wurde von „chirurgischen Schlägen“ gesprochen und im Nachhinein hat man festgestellt, dass es doch Zivilisten getroffen hat. Natürlich versuchen diejenigen, die Krieg führen, die Medien in ihrem Interesse zu instrumentalisieren. Das ist bekannt. Die Frage ist, wie ich damit umgehe: Man muss es wissen, dann muss man es merken, wenn es passiert und sich dann entsprechend verhalten. Klingt einfach, ist aber im konkreten Fall schwierig. Größtmögliche Distanz ist hier wichtig. Andererseits führt zu große Distanz auch dazu, dass ich über den eigentlichen Fakt vielleicht zu wenig erfahre. Das ist eine Gratwanderung.

 

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