Die gute Nachricht: Die befürchteten propagandistischen Angriffe durch Trollfabriken, Social Bots oder Lügengeschichten blieben im Bundestagswahlkampf bisher aus. Die zum Wahljahr verstärkt eingesetzten Faktenprüfer falsifizieren den üblichen Unsinn, der durchs Netz schwirrt, klopfen auch mal seriöse Standpunkte, darunter steile Politiker-Thesen, ab. Dabei ist die Zukunft der meisten deutschen Faktenprüfer nach der Wahl ungewiss. Sicher werden spezialisierte Verifizierungs-Tools Teil des redaktionellen Alltags.
Initialzündung für das Wiederbeleben der Fact Checker, im letzten Bundestagswahlkampf gab es etwa den „Faktomat“ oder „Münchhausen-Test“, war der durch Fake News, Leaks und dreiste Lügenkampagnen kräftig aufgewirbelte US-Wahlkampf. Laut aktueller Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov hält fast die Hälfte (48%) der Bevölkerung Fake News für eine ernsthafte Gefahr. Seit der Wahl Trumps boomen Faktenchecks auf der ganzen Welt. Zurzeit gibt es 113 Fact Check-Teams weltweit.
Nicht jede Fehlinformation ist gleich Fake News, laut Duden eine in manipulativer Weise verbreitete Falschmeldung. Und der Begriff wird inzwischen oft missbraucht. Die Mehrheit der in den letzten Monaten untersuchten fehlerhaften Meldungen basieren eher oder mindestens teilweise auf Fakten und verstolpern sich mutwillig beim Verknüpfen auf dem Weg zu einer fragwürdigen Behauptung. Ursprünglich bezog sich die englische Wortschöpfung Fake News auf in satirischer Absicht erfundene Beiträge. Auch mit diesen beschäftigen sich die Faktenprüfer, wenn sich zeigt, dass sie beim Weiterverbreiten ernst genommen werden. Zahlt Deutschland zu wenig für die NATO?“ (eher ja), spendiert das „Finanzamt Bayern“ Flüchtlingen Bordellbesuche (ganz lange Pinocchio-Nase)? Oder „Asylbewerber auf Heimaturlaub“? So lauten etwa untersuchte Fragen.
Correkt!v und Faceboock
Während die erste Generation Faktenprüfer überwiegend im eigenen Medium publizierte, geht es jetzt darum, Falsches auch schon direkt am Fundort zu kennzeichnen und zu entlarven. „Man muss die Menschen dort erreichen, wo sie die Falschmeldungen aufschnappen, also in den sozialen Netzwerken“, meint denn auch Jutta Kramm von Correct!v zur Motivation, als arrivierte Journalistin Facebook zuzuarbeiten. Sie und ihre Kollegen wurden als Partner von Facebook auserkoren. „echt jetzt“ ist Teil des Facebook-Pilotprojekts in vier Ländern. Gefiltert wird nach Algorithmen, Verbreitungsmenge, Schlagwörter …, aus all den Posts, die User beanstandet haben. Correct!v sucht daraus interessante Fälle aus, „Justin Bieber hat sich die Haare gefärbt“ interessiert uns natürlich eher nicht, meint die „echt jetzt“-Chefin. Neben Beiträgen, deren Wahrheitsgehalt angezweifelt wird, wird mit dem Hinweis „Mehr zum Thema“ die „echt jetzt“-Recherche angezeigt. Bezahlt wird die Arbeit der fünf Correct!v-Faktenprüfer nicht von Facebook, sondern vorläufig für ein halbes Jahr von George Soros‘ Open Society Foundation. Kramm sieht das als Vorteil in Punkto Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit. „Die Menschen an den politischen Rändern mit verfestigtem Feindbild sind schwer zu erreichen: Unsere Zielgruppe sind eher die, die sich vielleicht mal in eine Verschwörungstheorie oder Falschmeldung verfangen haben. Bei denen wir noch etwas erreichen können.“ Für Kramm gilt: „Gründlichkeit muss beim Faktenprüfen vor Schnelligkeit gehen.“ Andererseits ist sie sich bewusst, dass man Falschmeldungen entlarven sollte, bevor sie viral werden und sich im Bewusstsein vieler festsetzen.
Google News Lab
Bei Google News Lab hat die „Trusted Verification“ aktuelle Priorität. Unter Isabelle Sonnenfeld werden seit 2015 Journalisten zur Verifizierung besonders von Bildmaterial geschult. Darüber hinaus wurde angefangen, zweifelhafte Meldungen sowohl bei der Suche als auch beim Newsfeed zu kennzeichnen und faktengeprüfte Berichte renommierter Medien anzuhängen.
Ebenso wie Faceboock dreht auch Google fragwürdigen Quellen den Geldhahn zu. Alphabet (Mutterkonzern von Google) schließt darüber hinaus Seiten mit falschen Angaben im Impressum und bei der Seitenbeschreibung vom Werbeprogramm aus, Facebook solche, die bewusst und mehrfach Falschmeldungen verbreiten.
ARD und ZDF
ARD und ZDF verweigern Google und Facebook die Zusammenarbeit beim Aufräumen, betätigen sich im Wahljahr getrennt voneinander aber ebenfalls als Faktenprüfer. Die größte Beachtung fand bisher der „Faktenfinder“ bei ARD aktuell. Dabei werden nur teilweise Falschmeldungen entlarvt und darüber hinaus gut recherchierte Einschätzungen zu aktuellen Streitfragen publiziert. Zum Beispiel: Der Streit um die Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, der immer wieder bemühte sogenannte Gender Pay Gep – Wie hoch ist er wirklich? Seit dem Start im April bis August wurde die Faktenfinder-Webseite fast 15 Millionen Mal besucht, alleine im Juli 5,6 millionenfach. In vier Schichten wird gearbeitet. Laut ARD Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke wird nach der Wahl die bisherige Arbeit ausgewertet und dann über eine dauerhafte Fortsetzung beraten.
Am Mainzer Lerchenberg setzt sich ein crossmediales Team unter „#ZDFCheck17“ in Debatten- oder Filmbeiträgen, Tweets und Online-Artikeln mit ausgewählten strittigen Meldungen auseinander, überprüft genannte Zahlen und Informationen. Kurz vor der Wahl werden zum Beispiel die Fakten in den Kandidaten-Interviews in Morgenmagazin mo:ma anschließend unter die Lupe genommen.
Bayerischer Rundfunk
Der Bayerische Rundfunk (BR) leistet sich eine eigene Spürnasenabteilung für die sozialen Netzwerke: „Social Listening und Verifikation“. Zwar war auch hier die Sorge um einen schmutzigen Wahlkampf der Auslöser, doch die Abteilung ist dauerhaft angelegt, gerade wurde der dritte Mitarbeiter beschäftigt. Alle BR-Redaktionen werden über die jeweils meistdiskutierten Themen auf Facebook und Co. informiert. Zudem werden Falschmeldungen, im Duktus passend zum Fund-Medium, aufgedeckt und korrigiert. In Hintergrundbeiträgen zur Medienkompetenz wird über Social Bots und Verbreitungswege von Falschmeldungen in sozialen Netzwerken aufgeklärt. Ein Team von BR24, Leipziger Volkszeitung und Main-Post entwickelte bei einem Google Hackathon ein eigenes Faktenprüfungs-Tool für Social Network-Redakteure: „Factfox“. Als Start-Up soll es weiter vorangebracht werden. Es ist eine erweitere Chrome-Datenbank, die Hintergrundinfos und Antwortbausteine zu Verschwörungstheorien und gängigen Falschmeldungen speichert.
Zeit Online
Zeit Online fragt „fakt oder fake?“. Man nimmt sich eher seriöse Diskussionsbeiträge vor und überprüft diese erfreulich ergebnisoffen. So wird etwa der Vorwurf des sonst bei den Medien unbeliebten Ryanair-Chefs O’Leary, Lufthansa und Bundesregierung machten gemeinsame Sache bei der Air Berlin-Abwicklung, nach gründlicher Recherche bestätigt.
Hoaxilla, Hoaxmap, wafana
Daneben gibt es einige kleinere Initiativen mit unterschiedlichem Ansatz. Ein Hamburger Paar zerpflückt schon länger in ihrem gut gemachten Podcast „Hoaxilla.com“, unterhaltsam Verschwörungstheorien. Auf „Hoaxmap – der skeptische Postcats aus Hamburg“ tragen Freiwillige falsche Gerüchte über Flüchtlinge zusammen. Unter wafana.de (für Wahrheit, Fakten, Nachrichten) bieten zwei Journalistinnen, gefördert vom MediaLab Bayern, Kurse in Faktenprüfung und Umgang mit sozialen Netzwerken für Journalist_innen an.
Vernetzung macht Sinn
Viele Falschmeldungen folgen bereits bekannten Narrativen, die an verschiedenen Orten wiederauftauchen. Insofern macht es Sinn, sich zur Faktenprüfung und -sammlung zu vernetzen. Das International Fact-Checking-Network ist eine Initiative der in der Thematik führenden amerikanischen Journalistenschule Poynter Institute, dessen ethische Richtlinien zum Maßstab geworden sind. Correct!v ist ein deutsches Mitglied.
Die First Draft Coalition wurde 2015 von Google lanciert, um große Medienhäuser, Investigative Journalistenbüros und HiTech-Unternehmen wie Google, Twitter, Facebook zur besseren Verifikation von Informationen, besonders von Augenzeugenberichten und Bildmaterial, zusammenzubringen. ARD, ZDF, Deutsche Welle, dpa, Deutschlandradio und Zeit Online sind deutsche Vertreter.
Zur heißen Phase des Wahlkampfes initiiert First Draft, unterstützt von dpa, Google News Lab und Facebook, den ersten Versuch eines zentralen Newsrooms, der allen Medien zuarbeitet und für eine saubere heiße Phase des Bundestags-Wahlkampfes sorgen soll. Unter dem Namen „WahlCheck 17“ durchkämmt ein Team aus zusätzlichen Correct!v-Rechercheuren, Mitarbeitern des internationalen First Draft-Netzwerkes, Journalismus-Studenten der Hamburg Media School und Freien unter Leitung von Jutta Kramm das Netz gezielt auf Falschmeldungen. Die Ergebnisse werden an alle Redaktionen und jene, die sich dafür interessieren, als Newsletter versandt. In Frankreich machten bei einer ähnlichen Aktion, genannt „CrossCheck“ 37 Redaktionen, darunter alle führenden Medien, mit. Verglichen damit wirkt die deutsche Variante ausbaufähig.
Auch geschickt in Anwendungen eingebundene Datenbanken machen Sinn, neben dem BR mit seinem „Factfox“ entwickelten DW-Mitarbeiter, gemeinsam mit Kollegen vom griechischen ATC, ein Verifikations-Tool das „Truly.Media“. Noch läuft die Probephase. Ab Oktober wird es allen DW-Redakteur_innen zur Verfügung gestellt. Es ist eine Software, die schnell Bilddokumente und Augenzeugenberichte verifiziert, dazu bindet sie verschiedene Google-Tools ein, wie die umgekehrte Bildsuche, die Domain-Registrationsstelle WhoI oder gespeicherte Wetterdaten von Wolfram Alpha.
Klar ist, dass Computer künftig die wichtigste Rolle beim Aufspüren von Falschmeldungen spielen werden, allein schon auf Grund der ständig zunehmenden Datenmenge. Der Verifizierungs-Experte Bill Adair (http://www.politifact.com/) entwickelte die bisher ausgereiftesten Tools. Auch Amazons Alexa ist über die Amazon Echo App mit Hilfe von Adair durch Einbindung der „Share the Facts“-Datenbank der Duke University schon Fact Checkerin. Noch fallen ihre Befunde nur zuverlässig aus bei erwartbaren, einfachen Sachverhalten.
Schwarmintelligenz nutzen
Interessant sind auch Ansätze, Schwarmintelligenz zum Fact Checking zu nutzen und so viel mehr Meldungen in verschiedenen Sprachen überprüfen zu können, wie etwa „4facts.org“ des lettischen investigativen Journalistenbüros Re:Baltica. Die Grünen können sich als deutsche Vorreiter betrachten. Sie setzen dabei auf ein Netzwerk von 2600 IT-affinen Sympathisanten. Die durchwühlen die sozialen Netzwerke auf die eigene Partei betreffende Falschmeldungen. Claudia Roth etwa ist die deutsche Politikerin, die am häufigsten Inhalt von solchen Nachrichten ist, etwa über gefakte Twitter-accounts unter ihrem Namen.
Ein Kampf gegen Windmühlen bleibt es. Denn gut gestrickte Falschmeldungen passen zum Userverhalten im Netz, besonders, wenn sie die eigene Informationsblase nähren, also jene Infos, die die bisherige Weltsicht stützen. Die Währung im Netz ist nicht Wahrheit, sondern Beliebtheit und Zustimmung. Im letzten Halbjahr vor der US-Wahl wurden die 20 populärsten Falschmeldungen auf Facebook öfter geteilt, gemocht oder kommentiert (8,7 Millionen Mal) als die 20 zutreffenden Topmeldungen (7,3 Mio.).
Und es ist noch nicht mal sicher, welche Erfolgsaussichten der Kampf gegen Falschmeldungen hat. Die Wirkungsforschung steckt noch in den Kinderschuhen. Untersuchungen unter Le Pen- und Donald Trump-Sympathisanten während der Wahlkämpfe zeigten, dass diese sich zwar mit gut belegtem Fact Checking über einzelne Aussagen ihrer favorisierten Kandidaten eines Besseren belehren lassen – aber dass dies nichts an der Wahlpräferenz ändert. Teilweise diese sogar verstärkte.
In jedem Fall trägt Faktenprüfen aber zur Sensibilisierung gegenüber der zunehmenden Informationsflut bei und zur Stärkung der Medienkompetenz, die schon im Schulunterreicht kompetent vermittelt werden sollte. Die App „fake news check“ des Vereins Neue Wege des Lernens etwa soll dabei helfen. Es werden Fragen zu Text und Verfasser gestellt, dann zeigt eine Ampel die Glaubwürdigkeit. Der SWR hat mit dem „Fakefinder“ zum gleichen Zweck ein unterhaltsames Online-Quiz erstellt.
Das derzeitige Faktenprüfen könnte als Impuls für den Journalismus wirken, sich auf seine Kernkompetenz – sorgfältige Recherche – zu besinnen. Und damit Vertrauen zurückzugewinnen.