Fast wie die Profis

Studenten der Universität Hamburg gestalteten ein Tagesprogramm von DeutschlandRadio Berlin

Ungewohnte Klänge im Radio: Statt der professionellen Stimme des Moderators, der zu dieser Stunde einen prominenten Gast befragt, sind Jugendliche zu hören – im Gespräch mit einem bereitwillig antwortenden Stefan Aust. Die Neugierde der jungen Leute scheint dem erfahrenden Journalisten Spaß zu machen. Und so erfährt der Hörer, wie sehr er die Stadt Hamburg liebt und wie wenig die Politiker dort, wie sein Arbeitstag beginnt und wie oft er Einladungen der Hamburger Gesellschaft annimmt, was er von den Reformen im Lande hält und mehr. Der Spiegel-Chefredakteur, wie man ihn noch nicht kannte. Etwas ist anders.

An diesem 20. Februar gestalten Studenten das Programm des DeutschlandRadios Berlin. Neun Stunden lang, von 9 bis 18 Uhr. Fast alle Wort-Sendeplätze sind von ihnen gefüllt worden – angefangen von „HörenSagen“, über „OrtsZeit“, „Kakadu“ bis hin zum Nachmittagsmagazin „Galerie“.

Was ein bißchen nach „Übernahme“ klingt, war natürlich bei genauem Hinsehen nicht der Fall. Schließlich haben alle unter Anleitung der Hausherren ihre Ideen entwickelt und umgesetzt. Dennoch: Tief Luft holen mussten die Verantwortlichen schon, als im vergangenen Jahr der Vorschlag auf den Tisch kam, Studenten könnten – als Teil ihrer Ausbildung – einen Tag lang Programm machen. „Natürlich ist das auch für uns eine Hürde“, sagt Dieter Jepsen-Föge, Chefredakteur des DeutschlandRadios Berlin. „Wir sind gewohnt, in einer bestimmten Art unser Programm zu machen und da fragt man sich immer, welche Risiken sind damit verbunden? Wenn plötzlich was ganz Unvorhergesehenes passiert, wie kriegen wir das geregelt?“ Aber schon der zweite Gedanke war: Eine phantastische Idee!

Auslöser war ein Aufruf der Programmdirektion, sich darüber Gedanken zu machen, wie DeutschlandRadio Berlin in Hamburg präsenter sein und mehr Hörer gewinnen könnte. „Ich weiß nicht, ob’s morgens unter der Dusche war. Irgendwann hatte ich die Idee, lass uns mal ein paar junge Leute ins Programm holen. Ich wusste, dass es da einen Journalistikstudiengang gibt, lass uns mal mit denen zusammen arbeiten“, beschreibt Redakteurin Susanne Führer die Geburtsstunde ihrer Idee, die schnell von der Programmdirektion aufgegriffen wurde und im Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaften der Universität Hamburg auf Begeisterung stieß.

Beeindruckende Qualität

Das Seminar, das daraufhin zum Wintersemester 2003 gestartet wurde, war innerhalb weniger Minuten ausgebucht. 21 Studentinnen und Studenten erhielten die Möglichkeit, an diesem einzigartigen Projekt mitzuwirken. Mit Unterstützung von Redakteuren haben sie Ideen gesammelt, recherchiert, Interviews geführt und Sendungen vorbereitet. Jedem Einzelnen wurden Sendeplätze zugeteilt. Hinzu kamen Sprech- und Schreibübungen. Ein zentraler Punkt: Der Umgang mit der Technik. „Das überraschendste war für mich, zu sehen, wieviel Aufwand die Technik bedeutet, wenn man sich da nicht richtig auskennt. Und dass es sehr viel Zeit kostet, das wirklich so zusammenzubauen, dass am Ende ein schöner Beitrag rauskommt“, erzählt die 24jährige Theresa Linke.

So konnten die Studenten all die Erfahrungen machen, die jeder Hörfunkjournalist früher oder später durchlebt: Interviewaufnahmen, die über- oder untersteuert, versehentlich gelöscht oder plötzlich verschwunden waren, ein Interviewpartner, der kurzfristig absagt oder ein Server, der abstürzt, wenn gerade alles geschnitten ist. „Das war zwischendurch ziemlich Nerven aufreibend“, versichert Theresa Linke.

Doch genau darin steckt das Besondere: Dass die Studenten erleben konnten, wie die Praxis tatsächlich funktioniert. „Es ist eine gute Möglichkeit zu sehen, bin ich wirklich der Typ dafür“, sagt Susanne Führer und empfiehlt jedem, solche Chancen wahrzunehmen, „um auch möglichst früh zu sehen, ist das wirklich ein Beruf für mich.“ Darum will auch Michael Beuthner, der das Projekt seitens der Universität Hamburg geleitet hat, mehr auf eine Praxis orientierte Ausbildung setzen. „Wir sind gerade dabei, neue Studiengänge zu kreieren“ erklärt er. „Jedes Institut muss sich überlegen, ob es berufsorientiert ausgerichtet ist. Solche Projektseminare, wo eine Universität zusammenarbeitet mit der Medienpraxis, sind zukunftsweisend.“ Beuthner hofft, dass es zu einer Neuauflage des Projektes kommt, „speziell mit dem Kooperationspartner DeutschlandRadio Berlin.“ Projektseminare sind, dank einer Kooperation mit dem NDR, nichts neues für sein Institut, „nur die Dimension von 9 bis 18 Uhr mit Wortbeiträgen von bis zu 13 Minuten, das war eine riesige Herausforderung“, erklärt er begeistert. „Die Leute haben gemerkt, da kommt wirklich dieser Tag bei raus.“

Was dann gesendet wurde, war von beeindruckender Qualität. Alle Beiträge drehten sich um die Hansestadt Hamburg. Das „Kalenderblatt“ würdigte den 95. Geburtstag des Komikers Heinz Ehrhardt, der „Länderreport“ begleitete Obdachlose bei ihrem Leben in der Innenstadt, die Kindersendung „Kakadu“ meldete sich mit einer Reportage aus dem Hamburger Hafen.

Frisch und freundlich

Und dann eben das Gespräch mit Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust. „Ich bin beeindruckt, mit wieviel Frische sie rangehen, die uns Älteren ja immer irgendwann verloren geht“, zieht DeutschlandRadio Berlin-Chefredakteur Dieter Jepsen-Föge vor den Studenten den Hut. Aber auch die Profis haben von den Nachwuchskollegen profitiert. „Ich hab mir das lange Gespräch mit Stefan Aust angehört“, sagt Jepsen-Föge. „Da ist mir natürlich auch der Gedanke gekommen, wie hätte ich das gemacht? Oder wie würden wir das heute mit einem professionellen konfrontativen Ansatz machen? Wahrscheinlich nicht so freundlich. Die Studenten waren sehr freundlich, sehr zurückhaltend, aber sie haben eine Menge rausgekriegt. Sie haben eine Gesprächsatmosphäre geschaffen, die es ihnen ermöglicht hat, Stefan Aust wirklich zum Sprechen zu bringen. Das hat mich durchaus nachdenklich gemacht. Und ich glaube, dass es für die Hörer mindestens so attraktiv war, als hätten wir sehr professionell dieses Gespräch geführt.“

 


Kontakt:
Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Uni Hamburg
Dr. Michael Beuthner
Allende-Platz 1
20146 Hamburg

Telefon: (040) 428 38 – 46 63
Telefax: (040) 428 38 – 24 18
E-Mail:

DeutschlandRadio Berlin
Susanne Führer
Hans-Rosenthal-Platz 1
10825 Berlin
E-Mail:

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ethisch kann KI berichten?

Ein ethischer Kompass ist angesichts zunehmender Desinformation immer wichtiger – für Journalist*innen, aber auch Mediennutzende. Positivbeispiele einer wertebewussten Berichterstattung wurden jüngst zum 20. Mal mit dem Medienethik Award, kurz META, ausgezeichnet. Eine Jury aus Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien HdM vergab den Preis diesmal für zwei Beiträge zum Thema „Roboter“: Ein Radiostück zu Maschinen und Empathie und einen Fernsehfilm zu KI im Krieg.
mehr »

VR-Formate im Dokumentarfilm

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).
mehr »

krassmedial: Diskurse gestalten

Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
mehr »

KI-Bots: Kompletten Schutz gibt es nicht

KI-Bots durchstreifen das Netz, „scrapen“, also sammeln dabei auch journalistische Inhalte, um damit KI-Modelle wie Chat GPT zu trainieren. Welche technischen Maßnahmen können Journalist*innen ergreifen, um ihren Content zu schützen? Tipps des KI-Beraters Branko Trebsche.
mehr »