Fest oder frei: Zwei Erfahrungsberichte

Angestellt mit geregelten Arbeitszeiten und festem Gehalt – oder doch lieber ein Unternehmen gründen oder es als Solo-Selbstständige versuchen? Viele Gründe sprechen für eine Selbstständigkeit in der Medienbranche, aber wahrscheinlich ebenso viele dagegen. Wir haben mit zwei Menschen gesprochen, die beide Seiten kennen. Sie haben uns erzählt, wie sie den Weg in die Selbstständigkeit gefunden haben – und warum sie selbstständig bleiben beziehungsweise doch wieder in die Festanstellung gehen.

„Ich brauche ein gutes Bauchgefühl“

Mehr als bloßes Hin und Her: Lisa-Martina Klein (32) ist von einem festen Job bei einer Tageszeitung in die Freiberuflichkeit gewechselt. Seit Kurzem ist sie wieder festangestellt – weil der neue Arbeitgeber sie überzeugt.

Eigentlich war es ein Traumjob: Redakteurin mit unbefristetem Vertrag in der Tageszeitung eines kleinen norddeutschen Zeitungshauses, nach Tarif bezahlt, samt Sonntagszuschlägen und Weihnachtsgeld. Das passte, ich liebe Tageszeitungsarbeit. 2018 eingestiegen, baute ich ein ambitioniertes Online-Bezahlportal mit auf, was in der Region letztlich nicht funktionierte.

Lisa-Martina Klein Foto: privat

Zunächst freute ich mich, ungewöhnliche Geschichten aufzuspüren. Mir gelang einiges, was andere schwer für möglich hielten – so einen Gerichtsvollzieher bei seinem Einsatz zu begleiten oder über Mutter und Tochter zu schreiben, die lebensechte Reborn-Babypuppen herstellten. Die Recherchezeit, die ich dafür brauchte, war nicht unbedingt vorgesehen. Und gewürdigt wurden die Reportagen kaum. Was zählte, waren die Klicks auf die Artikel. Klick, klick, klick. Natürlich hatten die Polizeimeldungen die meisten.

Nach 2,5 Jahren war ich frustriert, das Redaktionsklima stimmte nicht mehr. Für mich stand fest: Ich will hier raus. Obwohl es mir im Herzen weh tat, die Tageszeitung zu verlassen – ich kündigte zum Januar 2021 mitten im Lockdown.

Und nun? Ich mag das Risiko, deshalb lag der Gedanke an Selbstständigkeit nahe. Veränderung stand sowieso an, denn meinen Freund und mich zog es nach Berlin. Er machte während seiner juristischen Ausbildung drei Monate beim Auswärtigen Amt Station. Uns gefiel die Stadt, wir blieben. Mir war zudem recht, aus der norddeutschen mentalen Kühle wegzukommen.

Zwar klappte es mit dem Gründungszuschuss, doch ich brauchte Kontakte zu Redaktionen, zur Stadt. In Berlin hatte ich kein Netzwerk. Die Hürden waren hoch, es dauerte, bis ich meine Geschichten los wurde. Ein Jahr mindestens, so wurde mir prophezeit, musst Du Dir geben, um als Freiberuflerin auf den Füßen zu stehen. Doch ich hatte Glück. Ich ergatterte ein Stipendium des Internationalen Journalisten-Programms und arbeitete drei Monate in Estlands Hauptstadt Tallinn bei der Tageszeitung „Postimees“. Ich verfasste Artikel auf Englisch. Nebenbei schrieb ich auch für Welt.de und deutsche Tageszeitungen.

Inzwischen schätzte ich die Selbstständigkeit mit freier Zeiteinteilung, unterschiedlichen Auftraggebern und immer neuen Herausforderungen. Das finanzielle Auf und Ab allerdings ist kaum zu kalkulieren. Weil man als Freie anfangs wohl fast jeden Auftrag annimmt, den man kriegen kann, hatte ich manchmal vier bis fünf verschiedene Sachen gleichzeitig offen und fragte mich: Wo ist der Mehrwert bei Deinen Beiträgen? Ich zweifelte.

Dann hörte ich, dass das neue digitale Medienhaus Table Media mit täglichen und wöchentlichen Briefings für Entscheidende in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und NGOs freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchte – und ich durfte ab Februar 2022 als feste Freie dabei sein.

Mir gefiel, dass dort Journalismus – Deep Journalism wie Herausgeber Sebastian Turner ihn bezeichnet – mit sorgfältigen Analysen und gründlich recherchierten Metathemen im Mittelpunkt steht. Ich machte Schichten, arbeitete mich ein. Und fühlte, dass es hier um Journalismus mit anderem Anspruch und anderer Flughöhe als bei Tageszeitungen geht. Natürlich hat auch Table Media Wachstumsschmerzen, aber die bewegen sich in einem kaum spürbaren Rahmen.

Obgleich es mit der Freiberuflichkeit inzwischen klappte und ich nie auf Jobsuche war, habe ich Ja gesagt, als Table Media mir die Festanstellung anbot. Journalistinnen und Journalisten dort sind aufgrund ihrer Fachexpertise Vorbilder. Dahin möchte ich kommen. Uns Jüngeren lässt man Zeit für die Entwicklung. Die Themen im neu aufgelegten Security.Table reizen mich. Ich spezialisiere mich auf Bevölkerungsschutz, also den Zivil- und Katastrophenschutz – Bereiche, die öffentlich zu wenig wahrgenommen werden. In der zweiten Ausgabe ist mein Porträt über Claudia Major, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik, zu lesen.

Nie hätte ich mich für die Festanstellung entschieden, wenn ich ein schlechtes Bauchgefühl gehabt hätte. Bei Table Media ist es ein gutes. Das brauche ich. Ab Januar 2023 bin ich fest dabei. Es hat des Ausflugs in die Selbständigkeit bedurft, um da zu landen.

Protokolliert von Bettina Erdmann 

„Die Selbstständigen vernetzen sich zu wenig“

Ralf Berger (59) hat sich aus der Not heraus selbstständig gemacht. Doch er bereut diesen Schritt nicht, auch wenn er nicht üppig verdient. Eine Sache fehlt ihm: mehr Kontakt zu anderen Solo-Selbstständigen.

Ich habe mich 2009 als Internetdienstleister selbstständig gemacht und biete Webhosting, Webdesign und Webmarketing an. Geplant war das nicht: In die Selbstständigkeit bin ich aus der Not heraus gekommen. Ich habe lange als Fernmeldehandwerker gearbeitet, erst bei der Bundespost, dann bei der Telekom. 2006 gab es ein großes Abfindungsangebot bei der Telekom. Die Höhe der Abfindung war sehr attraktiv – ich habe es angenommen und das Unternehmen verlassen.

Ralf Berger Foto: privat

Zu diesem Zeitpunkt war ich schon über 40. Ich habe mich auf dem Stellenmarkt umgeschaut, aber mein Eindruck war, dass es für mein Alter keine Festanstellung gibt, in der ich mich weiterentwickeln kann. Also habe ich mich relativ spontan selbstständig gemacht.

Ich unterstütze meine Kunden dabei, im Internet sichtbar zu werden. Eine Kundin von mir ist zum Beispiel eine Frau aus meiner Region, die sich ein zweites Standbein als Schinken-Sommelière aufbaut. Ich habe ihr einen Internetauftritt eingerichtet, den sie nun selbst pflegt. Manchmal betreue ich auch Seiten komplett, das heißt, ich stelle neue Beiträge und Fotos ein und halte die Seite aktuell. Für manche Kunden bin ich Ansprechpartner im Notfall, also wenn etwas mit dem Auftritt nicht funktioniert.

Ich finde meine Kunden überwiegend über Portale, auf denen Freelancer ihre Arbeit anbieten. Manchmal aber auch über private Kontakte. Für mich funktioniert das sehr gut.

Zu Beginn der Selbstständigkeit habe ich auch schlechte Erfahrungen gemacht – zum Beispiel mit einem Unternehmen, das plötzlich pleitegegangen ist und meine Rechnungen nicht bezahlt hat. Mittlerweile kann ich gut abschätzen, wann ein Kunde es ernst meint und wann nicht. Ich investiere keine Zeit mehr in ein Projekt, bevor ich nicht sicher bin, dass auch etwas daraus wird. Das bedeutet: Ich führe Kennlerngespräche, in denen ich über meine Leistungen informiere. Danach mache ich ein Angebot, lege das Projekt aber beiseite, bis eine seriöse Zusage kommt.

Von dem, was ich verdiene, kann ich einigermaßen leben, aber reich werde ich davon nicht. Es ist gut, dass meine Frau als Lehrerin einen sicheren und gut bezahlten Job hat, sonst müsste ich mich wohl anders aufstellen.

Zurück in die Festanstellung zu gehen, kommt für mich nicht infrage. Ich finde es gut, dass ich als Selbstständiger flexibel bin und mir meine Aufträge gut einteilen kann. Wenn wenig los ist, zum Beispiel im Sommer, nehme ich mir auch mal vier Wochen frei, um mich fortzubilden – das wäre in einer Festanstellung kaum möglich.

Ich stelle immer wieder fest, dass ich in meiner Region im Münsterland und mit meinen Leistungen eine richtige Rarität bin. Viele Selbstständige gibt es in meiner Branche anscheinend nicht, und wenn, dann vor allem in den großen Städten. Der Vorteil ist natürlich, dass potenzielle Kunden schnell bei mir landen, wenn sie mit einem Anbieter aus ihrer Region zusammenarbeiten möchten.

Was ich schade finde, ist, dass die Selbstständigen sich so wenig gewerkschaftlich vernetzen. Ich bin seit vier Jahren in der ver.di-Landeskommission der Selbstständigen in NRW und merke, dass das Interesse, Netzwerke aufzubauen, sehr gering ist. Für mich persönlich ist es sehr wichtig, einen engen Kontakt zu den anderen Solos zu halten – als Selbstständiger ist man ja schon oft genug Einzelkämpfer.

Protokolliert von Sarah Schaefer 

 

 

 

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