Frauen vor – noch ein Tor

WDR-Rundfunkrat fordert mehr Frauen in Sportsendungen

Der WDR-Rundfunkrat hat ein Machtwort gesprochen: Er fordert, die extreme Unterrepräsentanz von Frauen bei der Sportberichterstattung und -moderation zu ändern und gezielte Nachwuchsförderung zu betreiben. Nötig ist das allemal: Bei der größten Rundfunkanstalt Europas sind ganze zwei Sportredakteurinnen angestellt. Erster Erfolg des Gremienwunsches: Die ARD-Programmdirektion sicherte den Frauenbeauftragten ihrer Sender zu, im Team für die Olympiade 2000 in Sydney den Frauenanteil zu verdoppeln.

„Tor in Leverkusen, Tor in Leverkusen!“ „Tor in Leverkusen? Ich gebe ab zu Sabine in die Bay-Arena!“ Bundesliganachmittag, Konferenzschaltung im Hörfunk. Das beste Beispiel dafür, wie berechtigt die Forderung des WDR-Rundfunkrates nach mehr Frauen für die Sportberichterstattung ist. Denn Sabine Töpperwien ist seit Jahren die einzige Frau, die im öffentlich-rechtlichen Hörfunk live Tore, Fouls und Abseits kommentieren darf. „Ein steiniger Weg bis dahin“, sagt die WDR-Frau. Als sie 1985 beim NDR-Sport als junge Freie nach ihren Vorlieben gefragt wurde, reagierte man auf ihre Antwort „Fußball“ mit „aha, und was noch?“ Für Töpperwien ein Schlüsselerlebnis: „Ich hatte mich immer für Fußball interessiert, meine Examensarbeit über Fußball geschrieben, für mich war das selbstverständlich, für die war das atypisch.“

Kein Klischee ist so schön wie die Realität: Tatsächlich wurde die Fachfrau gefragt, ob sie sich nicht für rhythmische Sportgymnastik begeistern könnte. Konnte sie nicht. Stattdessen ging sie „allen auf den Wecker“, „boxte sich durch“ von der Oberligakommentierung bis zur „Krönung, Bundesliga live“ und ist seit zwei Jahren stellvertretende Sportchefin im WDR-Hörfunk. In dieser Position versucht sie, Hospitantinnen und freie Mitarbeiterinnen auf dem „dornigen Weg“ durch die sportliche Männerwelt zu begleiten und zu fördern. Vor- und Nachberichte, das Interview mit dem vom Platz gestellten Stürmer: Das darf schon mal sein, aber noch merken die jungen Frauen schnell, „daß man einen unbändigen Willen braucht und wirklich fit sein muß“.

Wie im richtigen Leben: Besser sein als die Männer. Nach einer repräsentativen wissenschaftlichen Studie über Sportjournalist/innen von 1995* sind sie das längst: Signifikant besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen und mit größerer Medien- und Ressorterfahrung, zudem deutlich jünger – auch dies übrigens eine Forderung des Rundfunkrates an zukünftige Moderator/innen. Und was haben die Fachfrauen davon? Wesentlich seltener Festanstellungen, entschieden weniger Einkommen und quasi keine Aufstiegschancen. Wenn sie überhaupt einsteigen können: 7,1 Prozent beträgt ihr Anteil in den Sportredaktionen des Hörfunks, 8,4 Prozent im Fernsehen. Wie ihre Kollegin Töpperwien ist auch Sabine Hartelt im WDR-Fernsehen eine singuläre Erscheinung. Der Chefin des Regionalsports hat die Initiative des Rundfunkrates „sehr gut getan, das ist ein glaubhaftes Zeichen nach den jahrelangen Lippenbekenntnissen. Immer gab es die Ausrede, es gäbe keine kompetenten Frauen. Das stimmt einfach nicht, es kommen viele junge Frauen als Freie nach, man muss sich nur bemühen, sie einzubinden.“ Nur in den Regionalprogrammen klappt das gelegentlich.

Das Berufsbild wandelt sich. Seitdem der Sport ein Riesengeschäft mit Zuschauerrekorden ist, sind neben Know-how vermeintliche Show-Qualitäten gefragt. „Die Selbstdarstellung der Reporter wird immer wichtiger“, kritisiert Hartelt, „ich interessiere mich mehr dafür, wie eine Leistung zustande kommt, welcher Charakter, welches Umfeld eine Leistung möglich gemacht hat, und ich rücke den Sportlern nicht so auf die Pelle.“ Doch, den „anderen Blick“ von Frauen auf den Sport gibt es, sagt sie und wird durch die Wissenschaft bestätigt: Frauen berichten deutlich sachlicher und informativer und interessieren sich stärker für den Sport in all‘ seinen Facetten als für reine Rekordjagd.

Berichten darüber aber sollen sie bald öfter: „Bei den größeren Sportereignissen der jüngeren Vergangenheit“, sagt WDR-Rundfunkratsvorsitzender Reinhard Grätz, „besonders bei der Olympiade, war das Fehlen von Frauen bei der Berichterstattung schon auffällig und abweichend vom Stand der Beteiligung von Frauen in anderen gesellschaftlichen Bereichen“. Bei der Olympiade 2000 in Sydney sollen Frauen öfter ihren kritischen Blick auf Läufer und Werfer richten dürfen. Denn die Frauenbeauftragten der ARD-Anstalten haben den WDR-Rundfunkrat ernst genommen und wurden bei den Intendanten vorstellig. ARD-Programmdirektor Günter Struwe reagierte prompt. Auch als „programmprägende Persönlichkeiten“ seien Sportjournalistinnen alsbald einzusetzen, zunächst im sonntäglichen „Sportschau-Telegramm“, zur Olympiade (federführend ist der NDR) würden mit 20 Frauen mehr als doppelt soviele wie 1996 fahren, davon acht (von 15) als „Repräsentatoren“. „Ein Erfolg“, freut sich Rita Zimmermann, Frauenbeauftragte beim WDR, die „seit zehn Jahren“ mehr Frauen für den Sport fordert. Sie setzt auf Einsicht bei der Ausbildung. „Wir müssen bei der Volontärinnen viel mehr darauf schauen, wer sich für Sport interessiert und bei der Eingangsvoraussetzung ,Hochschulstudium‘ auch auf Sportstudentinnen achten.“

Einen „großen Nachholbedarf“ sieht auch Zimmermanns ZDF-Kollegin Dagmar Skropalik, aber es dauere alles „elendig lange, obwohl es genug talentierte junge Frauen gibt“. Immerhin ist man beim ZDF schon weiter als beim Ersten: Auf dem Bildschirm geht es nahezu paritätisch zu, die „Sportreportage“ teilen sich Kristin Otto, Norbert König und Rudi Cerne, im täglichen „heute“ Sport kommen Sissy de Maas und Alexandra Mutz hinzu, die gesamte Biathlon-Berichterstattung des kommenden Winters liegt in den Händen von Christa Haas. Dieter Gruschwitz, stellvertretender Sportchef des ZDF: „Natürlich wissen wir, daß die Sportwelt immer noch eine Männerwelt sein soll, aber das hält uns nicht zurück, Frauen zu fördern und die Nachfrage ist sehr gestiegen. Wir sind offen für alle Bewerbungen.“ Ehemalige Spitzensportlerinnen müßten im übrigen dieselbe Ausbildung machen, wie Hobbysportlerinnen – auch Mehrfach-Olympiasiegerin Otto begann als ordentliche Volontärin.

Auch beim ZDF aber wachsen die Bäume nicht in den Himmel, beziehungsweise fahren die Frauen nicht in die Pole-position: Im prestigeträchtigen Flaggschiff „Aktuelles Sportstudio“ blieben die männlichen Moderatoren bis Ende November unter sich, organisiert allerdings hinter den Kulissen von einer Frau. Nur im Verborgenen der Produktion und Technik wirken Frauen auch beim RTL-Sport. „Wir konzentrieren uns momentan auf reinen Männersport: Boxen, Formel 1 und Skispringen“, heißt es beim Kölner Kommerzsender. Deshalb seien Sportjournalistinnen „kein Thema“.

So unvorstellbar es scheint, daß Frauen über Männersport reden, so selbstverständlich ist es, daß Männer über Frauensport berichten – wenn er „in“ ist. Die Fußball- und Reitsportexpertin Sabine Hartelt hat erfahren, daß jene randständigen Spielwiesen, auf denen Frauen schon mal randürfen, ganz schnell zu Männerdomänen werden, wenn Quotenerfolg lockt: Die erste Frauenfußball-WM in China, die kaum jemanden interessierte, durfte Hartelt einschließlich Endspiel ganz alleine kommentieren – die diesjährige WM in den USA war live ausschließlich männlichen Reportern vorbehalten. „Das gilt dann plötzlich als Bewährungschance für unsere männlichen Nachwuchsgenies.“ Rückschritt statt Fortschritt? Hartelt sieht „weit und breit nicht“, daß in naher Zukunft ein wichtiges Männerfußballspiel von einer Frau kommentiert wird.

Erstmals am 28. November eine Frau als Moderatorin in der „Sportschau“ des „Ersten“ – Anne Will -, keine Moderatorin, keine Kommentatorin beim Männersportsender RTL, nur für den Sport innerhalb der Nachrichten ist dort eine Frau zuständig. Von neun Moderator/innen bei SAT 1 sind immerhin drei Frauen, Fußballspiele kommentieren darf aber keine einzige. „Wir würden ja gerne mehr Damen beschäftigen, aber ein Spiel zu kommentieren ist sehr spezifisch. Fußball ist eben eine Männergeschichte“ weiß man bei den „ran“-Leuten. Es sei denn, es spielen Frauen. Aber das können Männer auch.


  • Felix Görner,
    „Vom Außenseiter zum Aufsteiger“,
    Ergebnisse der ersten repräsentativen Befragung von Sportjournalisten in Deutschland,
    Vistas Verlag 1995
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