Vermittlung von Handwerk und Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Öffentlichkeit
Ich glaube, es gab noch nie eine Zeit, in der angesichts von Fake News und Schlechtmacherei Journalismus so wichtig war.“ Leidenschaftlich warb Journalismusprofessor Thomas Hestermann, für diesen Beruf „voller Faszination, voller Herausforderungen, auch voller Risiken“. Er war einer von vier Ausbilder*innen, die während des jüngsten ver.di-Journalistentags über Qualifizierung und Berufschancen des Nachwuchses diskutierten.
Hestermann, der an der privaten Macromedia-Hochschule in Hamburg lehrt, sagte: „Wenn ich jetzt Anfang zwanzig wäre, würde ich diesen digitalen Zauber ausleben.“ Er schwärmte von der Stuttgarter Zeitung, die von Umweltschützern gemessene Schadstoffwerte erfasst und Roboterjournalismus nutzt, um daraus täglich für alle Stadtteile Info-Texte zu generieren. Damit habe sie einen Lokaljournalistenpreis gewonnen. „Wenn junge Leute die digitale Welt entdecken und intelligent mit Daten arbeiten, wenn jemand mit solchen Projekten und Ideen um die Ecke kommt, hat das nach wie vor den Heiligenschein des Neuen“, so Hestermann: „Da öffnen sich viele, viele Türen“.
Gute Berufschancen
Einig waren sich alle, dass sich die Berufschancen für Journalist*innen insgesamt verbessert haben, weil auch die Medien wegen des demografischen Wandels Fachkräfte suchen. Verlage und Rundfunkanstalten merkten inzwischen, dass es nicht so viele Nachwuchsjournalist*innen gibt, „die mehrere Plattformen und Erzählweisen beherrschen, die sehr gut recherchieren können, flexibel sind, die Dinge entwickeln und gut prüfen, die in Teams zusammenarbeiten können“, so Henriette Löwisch, Leiterin der Deutschen Journalistenschule in München (DJS). Onlinejournalismus-Professor Lorenz Lorenz-Meyer von der Hochschule Darmstadt nannte eine „zweite Qualifikationsschiene“, die „wirklich auch eine große Nachfrage hat“: Strategie- und Format-Entwicklung. Das Thema „Research und Development im Journalismus“ sei aber „ein bisschen unterrepräsentiert in den Ausbildungsgängen“, meinte er selbstkritisch.
Wie wichtig es ist, neben dem praktischen Handwerk auch Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Öffentlichkeit zu vermitteln, zeigte sich am Umgang der Ausbildungsinstitutionen mit dem Fall Claas Relotius, dem einstigen Storytelling-Star beim Spiegel, der seine Reportagen durch Auslassungen und Verfälschungen schönte.
Leonard Ottinger, Geschäftsführer der RTL-Journalistenschule sagte: „Bei uns wird Herr Relotius jetzt Michael Born ablösen.“ Im nächsten Seminar Ethik und Qualität werde anhand der Fälle über Verfehlungen im Journalismus diskutiert und welche Schlussfolgerungen Redaktionen daraus gezogen haben. Ottinger: „Das Thema Recherche haben wir schon lange und umfänglich auf unseren Lehrplänen, Verifizierung und Factchecking ist dazugekommen.“
Lorenz-Meyer befürchtete: „Wir werden irgendwann den nächsten Relotius haben und dann werden wir uns wieder furchtbar aufregen. Aber diese Skepsis, gegenüber dem Storytelling und der Mode des Storytelling ist angebracht, denn mit Storys kann man eigentlich jede journalistische These belegen. Man muss sich nur das richtige Beispiel aussuchen.“ Auch Hestermann warnte vor dem „Fluch des Narrativen“: „Ich glaube, da ist es wichtig, neugierig zu bleiben, vielleicht auch mal zu sagen, ich muss die Geschichte beerdigen, so dramatisch ist es nicht. Oder der Alarm liegt woanders, aber nicht in der ersten Annahme.“ DJS-Leiterin Löwisch schätzt die Diskussionen, die der Fall Relotius auch bei ihren Schüler*innen ausgelöst hat, dass dem „Primat des schönen Erzählens jetzt wieder stärker das Primat des Prüfens und der Fakten entgegengesetzt wird“.
Keine klare Zielvorstellung, nur „irgendwas mit Medien“
Angehende Journalist*innen bringen recht unterschiedliche Motivationen und Voraussetzungen mit, wenn sie eine Ausbildung beginnen. Der Darmstädter Professor Lorenz-Meyer meinte, anders als an den Journalistenschulen, wo sehr viele für den Beruf brennen, gebe es an Hochschulen manchmal Leute, die keine klare Zielvorstellung hätten und „irgendwas mit Medien studieren“ wollten. Seiner Erfahrung nach sei es deshalb wichtig, „diese Leute sehr früh darauf zu bringen, in sich hinein zu horchen, dass sie ihr Thema finden und auch die Plattform finden, die ihre ist. Dann entsteht tatsächlich so etwas wie eine wachsende Leidenschaft.“ Im ersten Semester gebe es in Darmstadt deshalb eine Veranstaltung, in der Ehemalige über ihre Karrierewege berichten. Eine von ihnen war „Dunja Sadaqi, die jetzt das Studio Rabat der ARD übernimmt und erzählte, sie habe sich immer Einjahresziele gesetzt.“ Thomas Hestermann hatte drei Ziele, als er in den Journalismus ging: Spaß, Ruhm und Geld. Tatsächlich hatte er alles unter einen Hut bekommen, als er bei Phoenix eine Talksendung entwickelte: „Die hat Spaß gemacht, es war gut fürs Renommee und auch noch gut bezahlt.“
Manchmal sind die Ausbilder*innen verwundert, wer Journalist*in werden will. So berichtete Leonard Ottinger von RTL-Bewerbungsgesprächen, in denen sich „ein gewisser Grad der Uninformiertheit“ bei Kandidat*innen zeige. Auf die Frage nach Themen, die sie gerne bearbeiten wollen, komme „bei vielen eine tolle Idee, aber bei einigen gar nichts. Da sind wir ein bisschen erstaunt, dass man sich da nicht vorbereitet hat.“ Auch Henriette Löwisch machte diese Erfahrung: “Das Witzige ist, die Leute bereiten sich vor auf die Frage „Warum willst du Journalistin werden“. Aber auf genau die Frage: „Wenn du jetzt eine Geschichte machen könntest, worüber würdest du sie machen“, haben sie sich komischerweise nicht vorbereitet.“
Auch viele Praktika im Vorfeld der Bewerbung können sich als kontraproduktiv erweisen. Ottinger schätzt zwar längere Praxiserfahrungen, aber viele kurze Praktika gelten bei ihm als verdächtige „Lebenslaufkosmetik“. Auch Löwisch kritisiert viele Praktika, die vor dem Volontariat oder vor der Journalistenschule gemacht werden. „Sie sind nicht so wertig. Die Leute dürfen da gar nicht viel machen.“ Außerdem würden Praktika meist nicht bezahlt: „Wie viele Jahre sollen eigentlich junge Journalistinnen und Journalisten kostenlose Arbeitskräfte sein, ehe sie dann tatsächlich entlohnt werden für ihre gute Arbeit?“
Ausbildung als Luxusgut
Während an der Hochschule Semestergebühren bezahlt werden müssen, die DJS vollen Einsatz, aber kein Geld verlangt und RTL unter Volontärstarif 1.000 Euro monatlich zahlt, verlangt die private Macromedia 890 Euro pro Monat von den Studierenden. Wer könne sich das leisten, fragten sich viele im Publikum. Und wie solle Vielfalt in den bürgerlich-homogenen Redaktionen verwirklicht werden, wenn junge Menschen aus ärmeren Familien keine Chance haben, weil ihnen das Geld fehlt und ihre Eltern Bild statt Die Zeit lesen? Stereotype Geschichten, mediale Einfalt, die Unterrepräsentation der Arbeitswelt in den Medien – all das werde durch die journalistische Ausbildung reproduziert, denn “die Volontäre kommen eher aus dem Bürgertum.“
Das Geld, das für die Ausbildung aufgewendet werden muss, sei „natürlich auch schon ein Filter. Da müssen wir uns nichts vormachen“, so Leonard Ottinger von RTL. „Bei uns gibt es tatsächlich auch ein paar Studenten, die aus reichen Familien kommen“, gestand Macromedia-Professor Hestermann. Viele würden aber auch Kredite aufnehmen. Man könne sich angesichts von Alternativen ja auch überlegen, ob man in eine private Hochschule investieren wolle und verglich das mit einer selbst finanzierten Reise: „Ich weiß zwar nicht genau, ob mir jemand eine Reportage abkauft, aber ich bin von der Geschichte überzeugt. Ich mache das jetzt einfach.“ Er glaube, zu einer journalistischen Ausbildung und Karriere gehöre „Anstrengung und Investition“.