Für einen engagierten Fotojournalismus – gegen formalen Ästhetizismus

Es ist kein Geheimnis, dass sich die journalistische Fotografie im Augenblick in einer Krise befindet. Allgemein wird beklagt, dass in den großen Magazinen kaum noch ambitionierte Reportagen abgedruckt würden.

Die Zeitschrift „American Photo“ warf vor einiger Zeit sogar die Frage auf: „Ist der Fotojournalismus tot?“ Die Antworten von 40 bekannten Agenturchefs, Bildredakteuren und Fotografen zeichnen ein düsteres Bild. Fachleute wie der Direktor der französischen Agentur VU, Christian Caujolle, beklagen, dass der Fotojournalismus in den letzten 10 Jahren 50 Prozent seiner Seiten in Magazinen verloren habe. Zusammengefasst sehen die Befragten ihren Pessimismus in der Kürzung von Bildstrecken in den Magazinen begründet, in der Niederlage der Fotografie gegen das Fernsehen beim Rennen um Aktualität und in einem Verlust an Autorenschaft.

Selbst unter den bedeutenden Fotojournalisten der Gegenwart gibt es nicht wenige, die sich über die Situation der Fotoreportage resigniert äußern, wie der für seine engagierten Reportagen bekannte Amerikaner David Turnley: „Meine Frustration hat dazu geführt, dass ich mit Video experimentiere, als eine Ergänzung zur Fotografie.“ Mittlerweile suchen in den USA zahlreiche Kollegen in dieser Art Zwitterberuf, halb Filmer, halb Fotograf, eine Alternative zu den fehlenden Abdrucken in Magazinen.


Der Essay von Andreas Herzau „Wie riecht ein Grafikbüro“ in M 5-6/2000 über Fotografie und die Bilder in den Köpfen hat Widerspruch ausgelöst, hier engagiert vorgetragen von Rolf Nobel.

Wir führen die Diskussion gerne weiter und hoffen auf rege Beteiligung.


Obwohl die engagierte Fotoreportage, die der Fotokritiker Ulf Erdmann Ziegler „Gewissensreportage“ nennt, bei den bedeutendsten Wettbewerben weltweit noch immer die meisten Preise einheimst, man erinnere sich nur an die gerade mehrfach ausgezeichneten Fotos aus dem Kosovo vom Dänen Claus Bj¿rn Larsen, haben sie die Magazinmacher bis auf wenige Ausnahmen aus den Blättern eliminiert.

Dabei hat es wohl nichts damit zu tun, dass sich die Betrachter angesichts solcher Fotos langweilen, wie es der Fotograf Andreas Herzau in seinem Artikel „Wie riecht ein Grafikbüro?“ in der letzten Ausgabe von „M“ behauptet. Natürlich ist es nicht das Dilemma humanistischer Fotografie, dass es keinem gelingen könne, „die Obdachlosen noch obdachloser zu fotografieren“, wie Herzau behauptet. Jeder Journalistenschüler lernt doch, dass man bei einer Thematik, die einen über einen längeren Zeitraum beschäftigt, nach immer neuen Zugängen suchen muss.

Für die Abstinenz der Blattmacher von sozialer Thematik steuern auch Fotografenkollegen Begründungen bei. „Mit Fotogeschichten eine klare Botschaft vermitteln zu wollen, ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt der Züricher Fotoprofessor André Gelpke, früher selbst ein Reportagefotograf. Und für Andreas Herzau klingt engagiert „im Zusammenspiel mit Fotografie auch nach bemüht“ und er kommt zu dem harten Urteil: „So hat es auch seine Berechtigung, dass engagierte Fotografie zunehmend verschwindet…“


„Die Alternative zum engagierten Bildjournalismus ist fotografische Nabelschau.“


Bei vielen Kritiken an der Bildsprache engagierter Fotografie hat man das Gefühl, dass eigentlich nicht deren Form gemeint ist, sondern deren Inhalte. Denn gerade die sozialdokumentarische Fotografie, oder besser vielleicht die humanistische Fotografie, hatte immer schon vielfältige Ausdrucksformen, das reicht von der Sachlichkeit Walker Evans bis zur emotionalen Ästhetik SebastiÐo Salgados.

Abgesehen davon ist das Mäkeln an der Tradition klassischer Ausdrucksformen eine Ebene der Kritik, die es nur auf dem Gebiet der Fotografie gibt, was schon recht seltsam ist. Hier soll es immer möglichst neu und modern sein. Unter Journalisten käme wohl kaum jemand auf die Idee, Cordt Schnibbens oder Erwin Kochs Reportagen zu kritisieren, weil sie sich einer Erzählweise bedienen, die schon seit Jahrzehnten von guten Reportern gepflegt wird. Und Kinokritiker nennen einen wunderbaren Film wie „Der Postmann“ zwar „klassisches Erzählkino“, loben seine Qualität dann aber über den Klee. Und eine Schauspielerin wie Meryl Streep darf gegenüber dem „stern“ ohne hämischen Kommentar gar äußern, dass sie mit ihren Filmen auch Botschaften vermitteln wolle. Keiner sagt: wie unmodern!

Die Alternative zum engagiertem Bildjournalismus, die sich gegenwärtig zum größten Teil auf deutschen Magazinseiten wiederfindet, ist im besten Fall fotografische Nabelschau, manchmal aber nicht mehr als dekorative Fotografie. Nach der Bildästhetik des Crossens, – ein Diafilm wird in Negativfilm entwickelt, oder umgekehrt, müssen wir jetzt eine blasse Farbnegativästhetik über uns ergehen lassen, in der man nach Elementen von Realität meist vergebens sucht.

Gemeinsam haben diese Moden – die häufig genug mit „modern“ verwechselt werden, eines: sie bieten den Magazinen ein stromlinienförmiges Designumfeld für die Platzierung von Anzeigen. Welche Anzeigen-Agentur hat es schon gern, wenn ihre Kellog«s Cornflakes-Reklame neben dem Bild eines hungernden Kindes aus Ruanda platziert wird?

nDa passt die bunte Bilderwelt des Inhaltslosen schon bedeutend besser ins Konzept der Blattmacher. Reine, aber hingehauchte Farben und partielle Schärfe sind das, was Bildredakteure oft als „frische Fotografie“ titulieren. Mit solcher Terminologie wird die Fotografie des Banalen dann aufgewertet. Wallpaper nennen sie solche Fotos in den USA. Dort, beim wohl bedeutendsten Wettbewerb für Fotografie und Zeitschriftenlayout, dem Press Photographer Of The Year Award, findet man in einer sich journalistisch nennenden Fotografie kaum formale Spielereien, dafür aber viel Engagement. Die Fotografen begreifen sich ohne Selbstverliebtheit als Journalisten und damit als fotografischer Part der Presse, der in der Gesellschaft eine Kontrollinstanz zu erfüllen hat.

Das eigens von Andreas Herzau zur Veranschaulichung seiner Thesen ausgewählte und abgedruckte Bild von Peter Bialobrzeski, das eine Badeszene am Ganges zeigt, vermag keine Alternative zu bieten. Wer die Bilder des gleichen Fotografen vom Hamburger Elbstrand kennt, hat Schwierigkeiten, in den Fotos signifikante Unterschiede zwischen beiden Flüssen auszumachen. Wenn Herzau behauptet, dass diese Bilder „eine Übersetzung ins Abstrakte“ bieten, muss man ihm Recht geben. In einem irrt er aber: sie starten nicht den Film im Kopf, „der all die schon gesehenen Bilder vor dem inneren Auge ablaufen lässt“. Es findet eher eine formal schöne Bagatellisierung der Wirklichkeit statt. Die Werber werden es dem Fotografen danken, denn es ist die Formensprache der Werbung – leicht und seicht.

Wer bei den Fototagen in Herten die Präsentationen einiger Kollegen gesehen hat, die offen ihre Freude darüber äußerten, wie nahtlos ihre Managerbilder sowohl in Redaktionen als auch in Unternehmensetagen Anerkennung finden, musste sich schon wundern. Tatsächlich war zwischen redaktioneller Auftragsarbeit und Lohnfotografie für Unternehmens-PR kein Unterschied auszumachen. Würden Zeitungen und Zeitschriften auf ihren Seiten den Unterschied zwischen Werbung und Redaktionellem derart aufheben, sie würden einen Rüffel vom Presserat bekommen.

Nur damit es nicht falsch verstanden wird: Es soll hier keine Verdammung von anderer als der klassisch-erzählerischen journalistischen Fotografie stattfinden. Es gibt auch zahlreiche Fotografen, die mit anderen Bildsprachen fotografisch Haltung bekennen. Die jüngeren Arbeiten Eva Leitolfs oder die Arbeiten Wolfgang Bellwinkel seien hier nur beispielhaft genannt.

Für solche jüngeren fotografischen Ausdrucksformen aber das Attribut „modern“ zu benutzen, fällt allerdings schwer, wenn man berücksichtigt, dass eine solche Fotografie in Deutschland schon seit den 80er Jahren von Angela Neuke gepflegt und später von ihr an der Gesamthochschule in Essen bis zu ihrem tragischen Tod gelehrt wurde. Das sind etwa 20 Jahre in einer gerade mal 160 Jahre alten Geschichte der Fotografie.

Was wir Fotografen, die sich einer engagierten, Erzählfotografie verschrieben haben, im Gegenzug aber auch nicht wollen, ist die pauschale Verdammung einer an eine lange humanistische Tradition anknüpfenden Fotografie. Die Kategorisierung in klassisch und ambitioniert gleich altbacken oder überholt ist dann doch etwas zu kurz gegriffen. Schon viel zu lange haben sich viele der engagierten und inhaltlich motivierten Fotografen angesichts der bunten watte-hatte-dudde-da-Fotografie in den Magazinen in die Defensive drängen lassen und trauen sich kaum noch, ihre eigene fotografische Position offen zu vertreten. Oder sie sind aus ökonomischem Druck auf marktgängigere Themen und Ästhetik umgeschwenkt. Glücklicherweise gibt es aber auch in Deutschland immer noch Fotografen der jüngeren Generation, wie Jan Wiedenhöfer oder Jordis Schlösser, die sich der humanistischen Reportage verpflichtet fühlen.

Nicht beeindrucken lassen sollten wir uns von jener kleinen Gruppe von Kuratoren, Kritikern, Fachjournalisten und Galeristen, die man bezeichnenderweise in fast allen Jurys in trauter Eintracht als Richter über gut und schlecht findet und die in einer Art Einheitsfront jeder neuen Form hinterher rennen und alles klassische – sofern es nicht bereits so oft geadelt wurde, dass man nicht mehr dran vorbei kommt – belächeln. Dabei meinte schon der amerikanische Schriftsteller T.S. Eliot: „Wer stets nach dem Neuen jagt, wird niemals Größe erlangen…“

Der amerikanische Fotograf W. Eugene Smith, der wohl bedeutendste Vertreter humanistischer Positionen in der Fotografie, die er selbst als „concerned photography“, anteilnehmende Fotografie bezeichnete und der Zeit seines Lebens für eine Mitbestimmung des Fotografen bei der Präsentation seiner Arbeit eintrat, hat einmal sinngemäß gesagt: „Fotografie ist eine leise Stimme, aber manchmal kann eine Fotografie unsere Sinne wecken und Bewusstsein schaffen.“

Es mag viele geben, die in einer Zeit, in der Moden und Trends immer kürzere Halbwertzeiten besitzen, eine solche Haltung unzeitgemäß finden. Wenn aber humanistisches Engagement in der Fotografie nicht mehr dem Zeitgeist entspricht, dann wird „unmodern“ schon fast zu einem Qualitätssiegel.


  • Der Autor Rolf Nobel ist Fotograf und Mitinhaber der Fotografenagentur VISUM. Er ist Professor für Fotografie an der FH in Hamburg.

 

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