Wie riecht ein Grafikbüro?

Über Fotografieren gegen die Bilder in den Köpfen

Es scheint so, als hätten sie sich alle bei einem geheimen Treffen dazu verabredet, langweilig zu sein: die Fotografen und Fotografinnen, die Artdirektoren und Verleger und eben diejenigen, die all die wunderbar gleichunterschiedlichen Magazine kaufen, um diese anzuschauen oder zu lesen oder um beides zu tun. Vermutlich war dieses Treffen Ende der 80er Jahre. Seither beschuldigt man sich gegenseitig, dass man so langweilig ist und keine Aufträge, keine Auflage und keine interessante Zeitschrift bekommt.

Eines sei gleich zu Anfang gesagt, es wird hier nicht um die Betrachter gehen, die in der Regel nur Feiglinge sind, und auch nicht um die bösen Bildredakteure und Artdirektoren, sondern um die Verursacher im eigentlichen Sinne: die Fotografen und Fotografinnen. Denn früher hieß das, was heute eine Zeitschrift ist, Illustrierte und lebt nach wie vor – zumindest beteuern das alle – von ihren Bildern.

Mal angenommen, Sie sitzen nun zu Hause und blättern durch eine Zeitschrift und finden eine Reportage verabredungsgemäß einfach langweilig, allein schon die Bilder … Mal weiter angenommen, Sie treffen sich mal wieder mit all den anderen: Diejenigen, die diese Reportagebilder gefertigt haben, werden sagen, ich dachte die Zeitschrift will das doch so, der Verleger wird sagen, ich habe gedacht der Leser will das so und Sie werden sagen, das ist nicht nur langweilig, sondern auch einfach. Vielleicht ist es doch eher lanweilig einfach. Dass die Welt aber eher kompliziert ist, ahnte man schon, als die schwarzweiß Fotografie fast abgeschafft und die Farbfotografie statt dessen etabliert wurde. Nun besteht die digitale Welt zwar fast nur noch aus Nullen und Einsen, ist aber seither dennoch ungleich komplizierter geworden.

Natürlich sind nicht einfach die Bilder langweilig, sondern die Bilder, die wir schon im Kopf haben, machen sie dazu. Schönes Beispiel: Obdachlosigkeit ist nach wie vor ein Thema, leider kennt es nur jeder schon und all die Bilder, die von ambitionierten Fotojournalisten in den Redaktionen vorgelegt werden, haben es nicht geschafft, die Obdachlosen noch obdachloser zu fotografieren – verständlicher Weise und genauso verständlich, dass keiner diese Bilder drucken will. Unverständlich ist, dass Fotografen die Meinung haben, dass Bilder und Engagement für eine gute Bildstrecke ausreichen. Scheinbar wird vergessen, dass die Betrachter nicht nur Feiglinge sind, sondern fast immer klüger als die Fotografen selbst.

Mein achtjähriger Sohn verfügt heute schon über ein Bilderwissen, welches ich vermutlich erst mit zwölf Jahren hatte. Das einzige Bild welches ich ihm voraus hatte und noch habe, ist das Testbild, welches gegen 24 Uhr im ersten, zweiten und dritten Fehrsehprogramm eingespielt wurde. Wenn man heute mit Bildern arbeitet, kann man nicht mehr erwarten, dass da einer guckt, der die Welt kennenlernen will, in der Regel kennt er sie. Das ist das Problem der engagierten Fotojournalisten heute und eine Chance für die Fotografie. Neben der fotografischen Übersetzung und Gestaltung muss eine weitere Übersetzung ins Abstrakte geleistet werden. Journalistische Bilder können heute unanschaulich und von der Wirklichkeit abgetrennt (Brockhausdefinition für abstrakt) sein und bieten trotzdem die Chance, verstanden zu werden. Es reicht aus, ein Bild zu zeigen – ein Zeichen zu senden – welches beim Betrachter einen Film startet, der ihm all die schon gesehenen Bilder vor dem inneren Auge ablaufen lässt.

Bislang war man versucht, Obdachlosigkeit möglichst anschaulich zu fotografieren: Diese verwahrlosten Menschen, mitten im Müll, unter einer Brücke etc. Genauso ein Bild könnten Sie ja finden, wenn Sie zuhause sitzen und ein Magazin durchblättern. Sie werden sich sagen, schlimm, dieses Leben. Nichts an diesem Bild wird sie auffordern, sich näher mit dem Gezeigten zu beschäftigen. Das Bild erzählt nur das nochmal, was Sie schon wissen und im Zweifelsfalle sowieso jeden Tag vor Ihrer Haustür sehen und erleben. Ein Blick genügt und die Geschichte dieses Bildes ist zu Ende erzählt. Das Bild hat kein Geheimnis und somit gilt es auch nichts zu entdecken. Vielleicht sollte mal jemand mit dem Bedürfnis, Obdachlosigkeit zu thematisieren durch die Stadt laufen und nur die Pappen fotografieren, auf denen die Obdachlosen sitzen. Vielleicht enstehen dabei Bilder, die ganz unengagiert die Möglichkeit eröffnen, in ihnen zu lesen, statt von ihnen ständig nur etwas gezeigt zu bekommen.

Engagiert klingt heute im Zusammenspiel mit Fotografie auch nach bemüht und macht oft die fotografierende Person wichtiger als das Ergebnis: die Bilder. Bilder, von denen der engagierte Fotograf doch schon im Voraus weiß, wie sie auszusehen haben und was richtig und was falsch ist. Der Betrachter wird unterfordert und Sie sitzen zu Hause, blättern durch die Illustrierte und denken wie langweilig einfach oder einfach: langweilig.

In der komplizierten und aufgeregten WeltWeitWarten-Welt zeigt sich auch auf andere Weise, wie bemüht und eingeschränkt engagierte Fotografie heute ist. Die Arbeitswelt, die schon immer ein großes Feld des Fotojournalismus war, gestaltet sich heute so, dass man überall nur noch Computer vorfindet. Nichts weist darauf hin, was dort gearbeitet oder gar produziert wird. Es ist nicht nur so, dass der Betrachter diese Bilder von Computerarbeitsplätzen kennt, sie sehen auch noch überall gleich aus. Der Fotograf findet nur noch Oberfläche vor. Er steht vor dem Problem, dass allzu konkrete Bilder – von sagen wir mal einem Grafikbüro – nie wirlich etwas über dieses Büro erzählen können wird. Das Bild wird immer nur die Geschichte eines PC Arbeitsplatzes erzählen. Die Frage, die sich uns Fotojournalisten heute stellt, lautet nicht mehr, wie sieht ein Grafikerbüro aus, sondern wie „riecht“ es in einem Grafikerbüro und wie muss das Bild aussehen, damit der Betrachter zwar einen PC-Arbeitsplatz erkennt, aber „riechen“ kann, dass hier ein Grafikbüro gezeigt wird.

So hat es auch seine Berechtigung, dass engagierte Fotografie zunehmend verschwindet und vielleicht gibt es bald mal wieder ein geheimes Treffen, wo sich dann alle dazu verabreden, nicht nur gute Bilder, sondern auch intelligente zu machen.

Mal angenommen, Sie sitzen dann zu Hause und blättern durch eine Zeitschrift und finden eine Reportage verabredungsgemäß einfach intelligent oder intelligent einfach …


  • Andreas Herzau, Jahrgang 1962, Setzerlehre in Tübingen, Volontariat bei „Konkret“, freier Autor unter anderem für die taz und die Zürcher „Weltwoche“. Mitbegründer der Fotografengruppe Signum. Seit 1990 freier Fotograf für Magazine wie „Spiegel spezial“, „Stern“, „Brigitte“, „Time“. Mitglied der Agentur Laif, Fotografiedozent in Bielefeld. Lebt in Hamburg.Fotos von Andreas Herzau und Peter Bialobrzeski (Seite 29) und vielen anderen sind im Internet zu finden unter: www.photosinstore.com
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